„Laotse geht von Bord“

Friedrich Küppersbusch über Bascha Mika – Die Rede beim Abschiedsfest der langjährigen taz-Chefredakteurin am 3. September 2009

Liebe Bascha,
liebe KollegInnen und Kollegen –

“Sitze am Fluss und warte, bis Du die Leichen Deiner Feinde vorbeischwimmen siehst.“ –
Es ist in der Literatur umstritten, ob dies Wort von Laotse stammt. Oder von Angela Merkel. Und es taugt ja eh nur, um etwa den Taoismus zu begründen oder Deutschland zu regieren. Um die unführbare „taz“ elf Jahre lang zu leiten, braucht es mehr : „Sitze am Fluss und sehe die Leichen der Freunde vorbeischwimmen und halte durch.“

Die wunderbare “Woche“, von Bissinger, Jörges und anderen, nahm 2002 die „Wochenpost“ gleich mit in den Abgrund. Das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt“, 2000. Und ungezählte regionale Titel, die nur noch als Hülle existieren.

Andere Blätter wurden verlegerpromisk, wie die „Berliner Zeitung“ : PDS, dann Gruner & Jahr, kurz Holtzbrinck, dann doch Montgomery, dann NevenDuMont, ínzwischen auch Heinen. Das ist, von der taz gelernt, so ne Art „gestreckte Genossenschaft“: irgendwann hat das Ding jedem mal gehört.

Und das alles überlebt hat – ausgerechnet die kleine Zeitung, die das Publikum 18 Jahre lang mit unausgesetzten Selbstmorddrohungen behelligt hat. „Rettungskampagne“, „taz muss sein“ – wie ein pubertierender Teeny drohte die taz ein ums andere mal: “Ich bring mich um, dann heult ihr an meinem Grab, und dann guck ich mir das an, und hab gute Laune, und bin tot.“

Hof1_IMG_0763
Lauscher im Hof der "taz" an der Berliner Rudi-Dutschke-Straße

Dass also die taz heute den Abschied ihrer langjährigen Chefredakteurin begeht, vermag – nüchtern betrachtet – schon darin zu überraschen : Dass, neben Bascha Mika, auch die taz selber noch gesund und munter an dem Ereignis teilnehmen kann. Dies lässt sich vermutlich nicht unabhängig von Person und Amtsausübung dieser Chefredakteurin erklären. Und die beginnt mit dem

Führungsstil

Ohne Bascha, sagen Kollegen, hätte halt das Töten der KönigInnen seine Fortsetzung gefunden. Die taz war fast 20 Jahre chefredakteursverfressen. Mit dieser Chefin kostete die Redaktion erstmals die Vorzüge einer festen monogamen Beziehung. Auch eine Frage der

Kommunikation

Als hereinragende Fähigkeiten Baschas werden Zähigkeit genannt, Engelsgeduld, hart im Nehmen. Auf Management-Seminaren wird gelehrt : Kommt der Mitarbeiter, mache Dir Notizen, wertschätze was er sagt, nicke verständnisvoll, warte bis der Mitarbeiter raus ist, werfe den Zettel weg. Kurz : Nur n Doofa hat kein Rotes Sofa. – Bascha geht weiter, auf ihrem Sofa gibt es einen feinen Unterschied zwischen „verstanden“ und „ein-verstanden“. Eine Art „Findung statt Führung“ oder eben „Führung durch Findung“ : Die taz wählt sich eine Führung, um sich dann standrechtlich zu verbitten, von ihr geführt zu werden. Kollegen erklärten mir : „Chefredaktionen brauchen tazzler – immer nur für die anderen“

Wie Laotse sagt : „Andere beherrschen erfordert Kraft. Sich zu beherrschen, erfordert Stärke“.

Elf Jahre ein solches Kollektiv von Individualisten zu moderieren – gab mir den Argwohn : was immer die Unternehmensberatung Debis hier offiziell gemacht hat – inoffiziell wollten die Bascha auskundschaften.

Inhalte

Diese Strategie, den eigenen Standpunkt eher als letzte Patrone im Gurt aufzuheben, entspricht der tapferen Offenheit, mit der die taz eine Katastrophe nach der anderen überlebt hat :

– Endlich grün-feministisch im Bund, und zwar Frau Schröder, Frau Fischer, Frau Rau

– da kommen die Grünen Friedensbewegten an die Regierung und machen Krieg bis der Hindu kuscht

– die soziale Frage kriegt ne asoziale Antwort: gestern noch Maoist, heute schon Standortenführer, der Durchmarsch der neoliberalen Heilsprediger.

Die taz der letzten Dekade hat mindestens und schlimmstenfalls die jeweils anderen zu Wort kommen lassen. Das geht nur wenn oben eine, einer sitzt der nicht alles besser weiss. Taz als „Zeitung der Bewegung“ hat das Problem, dass die Bewegung – stillsteht. Oder rückwärts geht.

Hof2_IMG_0764
"Küppi" spricht, das Auditorium lauscht.

Bascha Mika hat wenig eingegriffen in politische Debatten.

Laotsse sagt : „Der Weise hat keine unumstößlichen Grundsätze, er passt sich den anderen an“.

Hey – Laotse jetzt bei der FDP ?

Das heißt auch: wer diese Weise auf diese Weise kritisiert, kritisiert die anderen auch. Und sollte vielleicht vorher kurz nachgucken, ob er einer von diesen anderen ist.

Enttäuschungen

Das mag zu den Enttäuschungen gehören: der Wald hat nicht so zurück kommuniziert, wie Bascha hineinkommuniziert hat. Allerdings : Enttäuschen kann einen noch lange nicht jeder. Sondern nur die, denen man was zutraut. Wem besonders Du da mehr zugetraut hättest – habe ich in einer wichtigen deutschen Tageszeitung gelesen.

Bascha Mika war diese 11 Jahre „die einzige Chefredakteurin einer überregionalen Zeitung in Deutschland“. Nachdem dies allein eine historische

Errungenschaft

der taz ist, und bleibt, sollen die weiteren auch betrachtet werden :

– das Ende der Rettungs-, Erpressungs- und Bettelkampagnen. Ich persönlich lese auch lieber eine Zeitung, weil sie gut ist. Und nicht, weil sie mir leid tut. Und so hat die taz jetzt 10 Jahre Vorsprung vor der deutschen Autoindustrie.

– der letzte Abschied von der Lose-Blatt- oder auch Lose-Flugblatt-Sammlung hin zu einer kleinen feinen ZeitungsFeinschmeckerZeitung.

– Bascha kam, sagte mir ein Kollege, als die taz die Verwechslung zwischen Politik und Journalismus beendete. (Was immer das bedeuten mag, ich fand es klang riesig. Und hoffe, dass ich es auch bald lerne.)

– Die taz wurde in dieser Zeit erstmals nicht nach außen vertreten. Vertreten muss man nur einen, der nicht da ist. Sondern : personifiziert. Mutig für beide, taz und Bascha Mika. Also von Presseclub bis Medienboard.

Das machte aus dem ewigen Geben der taz, dem journalistischen Talentschuppen, hie und da auch ein nicht weniger riskantes : Nehmen.

– Bascha Mika hat Milieus für die taz erreicht, die vorher nicht erreicht wurden. Manche, weil die taz sie gar nicht erreichen wollte. Andere, weil sie sich besonders gut vor ihr versteckt hatten.

– Schon früher gab es Anzeigen von BMW, der Atomindustrie, und just ´98, als Bascha in die Chefredaktion eintrat – drohte eine von der Bundeswehr. Das nicht ! fanden ein paar Freunde, die heute nicht mehr hier sind – Wiglaf Droste, Benjamin von Stuckrad-Barre, Fritz Eckenga – und ich. Und boten der Anzeigenabteilung „immer 100 Mark mehr als Volker Rühe“. Für eine Anti-Bundeswehr-Anzeige stattdessen. OK, sagte die Anzeigenabteilung, nahm das Geld, und am nächsten Tag waren beide Anzeigen im Blatt. Die taz hatte mal ordentlich verdient und gratis-Werbung und tüchtig Aufregung bei allen Gralshütern. – Wir waren irritiert, ob das ein Ausblick auf die neue Ära der taz sein würde.

– Es gab auch Zusammenarbeit mit der Daimler-Tochter Debis, es gab die „Besatzer-taz“ mit BILD- und RTL-Abgesandten im Dutschke-Haus.

– Bascha Mika hat Nicht-taz-affine interessiert, taz-affine irritiert. Umgekehrt kann jeder.

– Mir unvergessen – wie die ganze zu früh verstorbene taz-Ruhr : Baschas Kultnummer. Sie hatte Bodo Hombach auf der Höhe der taz-Ruhr-Krise gewonnen, eine Plakatkampagne „pro Zeitung“ zu spendieren. Und so kam es, das die WAZ-Gruppe warb. Auch für die taz. In der dann wiederum stand : Uns gibt es eigentlich nur, weil man die WAZ nun echt nicht lesen kann. – Respekt.

Rückzug

Mika@ami
Sag zum Abschied leise Servus: Bascha Mika

Bascha hatte den Rückzug früher schon mal erwogen; und sich dann die „30 Jahre taz“ und den Kongress im Frühjahr als Abschied gesetzt. Mir kam es zu, im letzten Winter die Offerte einer Führungsaufgabe bei einem Öffentlich-Rechtlichen Sender an Bascha heranzutragen. Vielleicht habe ich es so schlecht verkauft, weil ich sie unterbewusst auch lieber bei der taz sah. Sie lehnte ab. Begründung : Weil sie das „der taz kurz vor dem 30ten und dem Kongress nicht antun könne.“

Wie – schon wieder ! – Laotse sagt : „Reich ist, wer weiß, dass er genug hat“

Und nun hat Bascha also genug. Durchaus auch in der traurigen Bedeutungen: Von manchem und manchen genug zu haben. Das tut leid und weh und gehört dazu und darf stattfinden. – Und es möge der Reichtum, die Freude, auch der Stolz überwiegen,und ich bin sicher, das tut´s !

Vielleicht ist es nur noch was für alte Hirsche, diese Karriere-Logik : Entweder wirst Du irgendwann – aus vielen Wunden blutend – von den jungen Hirschen von der Lichtung gejagt. Oder Du schreitest erhobenen Geweihes zur noch größeren Lichtung, die deine Führung ersehnt, weil die Welt auf Zwanzigender Deines Formates nicht verzichten kann.

Der Bascha – Weg dagegen : Die Aufgabe war groß, sie ist absolviert. Und nun hallt die Geschichte und ihr Ende in Ruhe nach. Und was dann kommt, wird man sehen. – Diese Weg ist so untypisch wie Chefredakteurin, die ihn geht. Reich ist, wer weiss, dass er genug hat.

Sohl_IMG_0778
Gaby Sohl, B.Mikas langjährige Assistentin, moderierte bühnenreif das Fest und überreichte das Abschiedsgeschenk der "taz"-ler: lauter Rezepte

Was fehlt ?

Die ehedem typische, witzige, originelle taz-Schlagzeile zum heutigen Ereignis. Naheliegend, hier an die legendäre „Punch“-Karikatur zu denken zum Abschied Bismarcks. Aber fast nichts an dem Vergleich passt wirklich : Ich sehe da keinen Wilhelm II über Reling gebeugt grinsen. Und allem Menschenrechts-Bellizismus zum Trotz : die taz ist noch kein Schlachtschiff. Und, wenn man zeitgenössischen Berichten glauben darf : Hatte Bismarck ´ne wesentlich höhere , weniger schöne Stimme als Bascha Mika. Also – hier ist alles ein bisschen anders. Und die Schlagzeile heisst:

„Laotse“ geht von Bord.

Vielen Dank, liebe Bascha, Glück auf.