Lindner & Knüwer zum Lagerdenken von Print und Online

Ein Schlagabtausch zwischen Christian Lindner, Chefredakteur der „Rhein-Zeitung“ und Thomas Knüwer, „indiskretion ehrensache“ : „medium magazin“ hat beide um einen Kommentar  gebeten, was Zeitungsmacher und Onliner aneinander kritisieren.

Christian Lindner: „Der Stellungskrieg nervt“

Der Chefredakteur der „Rhein-Zeitung“, mag nicht mehr lesen, dass nur die Netz-Geeks das Internet verstanden und die Verlage nichts begriffen haben:

CHRISTIAN LINDNER (53) ist Chefredakteur der webaffinen „Rhein-Zeitung“ in Koblenz und unter @RZChefredakteur bei Twitter bekannt.
CHRISTIAN LINDNER (53) ist Chefredakteur der webaffinen „Rhein-Zeitung“ in Koblenz und unter @RZChefredakteur bei Twitter bekannt.

„Eins vorab: Ich mag das Internet und ich lese gerne gute Texte von Autoren mit Leidenschaft. Also mag ich auch euch Blogger, Netz-Nerds, Social-Media-Geeks und Web-Evangelisten – auch und gerade als jemand, der seit über 30 Jahren Zeitung macht.

Und doch nervt ihr aus dem Netz mich immer öfter.  Weil ihr euch in einem arroganten Irrtum eingerichtet habt: Ihr im Netz alleine habt verstanden und wisst, wie es geht – das ist eure Botschaft an uns Printgeprägte. Wir in den Verlagen hingegen sind angeblich von gestern, blenden die Realität aus und haben das Internet nicht begriffen. „Totholzgemeinde“, so seht und nennt Ihr uns. Medienhäuser mit Printbasis sind für euch per se rückständig, unkreativ oder böse – mit Vorliebe aber alles zusammen.

Dermaßen konditioniert bringt ihr es fertig, die vielen spannenden Evolutionen von Verlagen in Print wie im Web zu übersehen. Mit dieser Perspektive verzerrt ihr selbst Best-Practice-Konferenzen von zupackenden Veränderern aus vielen Ländern wie den European Newspaper Congress zum „Spitzentreffen der Beharrer“.

Mit diesem Vorurteil behauptet ihr wider besseres Wissen, dass Zeitungen nur alte Nachrichten verbreiten. Und ignoriert dabei, dass auch viele regionale Medienhäuser relevante Themen setzen, Communitys bilden und in Teilen längst den Charakter täglicher Wochenzeitungen haben.

Jedes Maß verlierend geht ihr dabei auch über die nach wie vor große Bedeutung der Zeitungs-Welt hinweg: 18,2 Millionen verkaufte (!) Auflage, 332 Zeitungstitel mit 1.531 Lokalausgaben, 660 Online-Angebote, 13.516 Redakteure, 1.192 Volontäre (Zahlen aus 2012), 8,5 Milliarden Umsatz (2011) – Deutschlands Zeitungen sind in Gänze, anders als ihr behauptet, kein „Totholz“, sondern voller Leben.

Das basiert auch darauf, dass Print nach wie vor das funktionierende Geschäftsmodell ist, das ihr gerne hättet: Unsere Leser bezahlen regelmäßig und aus freien Stücken für Inhalte – millionenfach auf Kohlenstoff, stark wachsend im Digitalen in Form von E-Paper-Zeitungen, mit Achtungserfolgen für Einzeltexte bei Paywalls. Wir ertragen dabei gerne, dass ihr etwa den tausendfachen Verkauf unserer E-Paper als Beleg dafür wertet, dass die Verlage die Möglichkeiten des iPads nicht begriffen haben.

Umgekehrt staunen wir Print-Profis, wie nett ihr Netz-Nerds mit digitalen Angeboten umgeht, die nicht von Verlagen stammen. Sublokale Plattformen etwa scheinen für euch schon dann gut zu sein, wenn sie keine Verbindung zu Medienunternehmen haben. Vieles dort wertet ihr für eure Verhältnisse ungewohnt milde. Dabei wisst ihr doch auch: Es gibt egomanische Lokalblogger, die Fakten, Vermutungen und Wertungen hoch problematisch vermischen. Es gibt Lokalblogs, die örtliche Firmen als ihre „Partner“ in einer Weise belobhudeln, die jeder Zeitung Rügen des Presserates einbrächte. Es gibt eine Selbstausbeutung der Gründer und Mitarbeiter bei Lokalblogs, die system-immanent scheint. Wo aber wird das im Web mal so seziert wie etwa jede neue App des „Handelsblatt“? Eine interessante Form von Netzneutralität …

Das ist euch zu viel Pauschalierung? Stimmt. Auch mir als Zeitungsfan ist klar, dass das ungerecht verallgemeinert. Euch ärgert das? Kann ich gut nachvollziehen. Weil wir Printer genau das seit Jahren ertragen müssen – das generalisierende und schwarmhafte Bashen der klassischen Medienhäuser durch das Netz samt unserer Produkte im Analogen wie im Digitalen, inklusive der bei uns arbeitenden Menschen.

Natürlich gibt es in unseren Verlagen und Redaktionen auch BeharrerDie meisten von ihnen tun das aber nicht, um sich netzfeindlich einzubunkern. Vielmehr arbeiten sie hart für unsere real existierenden und reell zahlenden Leser. Mit ihnen zusammen wirken in unseren Unternehmen zunehmend mehr Veränderer, die neue Formen des Publizierens und weitere Geschäftsmodelle entwickeln. Viele Verlage experimentieren gedruckt und digital so viel wie noch nie, ändern ihre Produkte und Strukturen so konsequent wie nie zuvor.

Und das tun wir offener, reflektierender und selbstkritikfähiger, als – sorry – „ihr“ glaubt: Innovative Verlage entsenden gleichzeitig Spitzenkräfte zum Zeitungsdesign-Kongress in Wien und zur „re:publica“ in Berlin. Pragmatische Redaktionen kooperieren längst mit Bloggern. Unverkrampfte Medienhäuser lassen Talente volontieren, die viel im Netz, aber noch nie für Print geschrieben haben. Offene Journalisten von Print und Verlags-Sites lernen von Bloggern. Weitsichtigen Zeitungsleuten (und auch vielen Geeks!) geht der Stellungskrieg beider Milieus zunehmend auf die Nerven. Und es gibt immer mehr Chefredakteure, die fruchtbare Schnittmengen zwischen beiden Welten in puncto Content und „res publica“ sehen.

Lasst uns lieber darüber reden und daran arbeiten als übereinander hetzen und einander abgrenzen. Versucht dabei einfach nur mal, uns nicht immer wieder als gestrig und Web-unfähig zu kritisieren, nur weil wir weiter mit Print Geld verdienen wollen. Und lasst uns dann beidseitig respektieren. Oder endlich wirklich zusammenarbeiten. 

Thomas Knüwer: „Der Hass auf das Internet“

Der Blogger und Internetberater meint, dass Deutschlands Medien sich nicht in der Lebenswelt der Leser befinden. Denn das Web sei für sie der Feind:

THOMAS KNÜWER (43) ist Gründer der digitalen Strategieberatung „kpunktnull“ und Autor des Medienblogs „Indiskretion Ehrensache“.
THOMAS KNÜWER (43) ist Gründer der digitalen Strategieberatung „kpunktnull“ und
Autor des Medienblogs „Indiskretion Ehrensache“.

Die digitale Spaltung ist da. Mitten durch Medien-Deutschland verläuft sie und auf der analogen Seite sitzen – die Journalisten. Glauben Sie nicht? Tippen Sie mal, wie viele Gewinner des Henri-Nannen-Preises 2013 ein Blog haben, auf dem sie unabhängig von Redaktionsschlüssen und CvD-Vorgaben schreiben und kommunizieren? Keiner. Und auf Twitter? Bewegt sich nur Essay-Sieger Bernd Ulrich.

Damit ist die Henri-Generation 2013 ein Abbild des Medienkonzern-Alltags: Die meisten Redaktionen gerieren sich als mentale Bremser des digitalen Wandels. Abscheu und Hass ernten die wenigen, die sich für das Digitale begeistern. Das spiegelt sich in der Berichterstattung wider: Digital-Themen drehen sich vor allem um Raubkopien, nackte Jugendliche und Datenschutzverstöße.

Schwerwiegendster Auslöser der Anti-Netz-Haltung ist der Medienwandel, insbesondere das Sterben der Tageszeitung. 

Das Internet ist für viele Redakteure der Feind ihres Arbeitsplatzes, aus dem nichts Gutes erwachsen kann. Und wer immer sich dort freiwillig und noch dazu erfolgreich bewegt, ist ein Gegner. Seit Jahren beleidigen selbst scheinbar seriöse Blätter Menschen, die Texte ins Internet schreiben auf eine Art, wie sie es nie bei einer anderen Bevölkerungsgruppe wagen würden.

Auch der Text meines Gegenredners Christian Lindner (siehe oben bzw Seite 37-Print) bewegt sich ja in diese Richtung: Die im Netz sind Besserwisser. Wollen nicht sehen, wie toll Zeitungen sind. Und wie groß! So viel Auflage! Wer da die schlichte Wahrheit ausspricht, ist schon der Böse: Tageszeitungen sterben, ihre Auflage ist im freien Fall, ihre Mitarbeiterzahl parallel dazu. Online haben sie keinerlei Innovationen zu bieten, wollen einfach nur ihr Geschäft weitermachen. Wer dann einwirft, dass Zeitungsinhalte keine Online-Zahlungsbereitschaft auslösen, weshalb Paid Content der aktuellen Inhalte nicht funktioniert, ist ein Häretiker. Die Leute sollen zahlen, weil sie zahlen müssen. Ansonsten sind sie Piraten, Räuber, vor Gericht mit denen oder gleich auf die Planke. So entstand eine befremdliche Distanz zwischen Netz-Vielnutzern und Medien. Noch 2007 dürften die meisten aktiven Blogger überdurchschnittlich viele Print-Abos gehabt haben. Doch die schrille Kritik an ihrem Hobby entfernte sie von den „Totholz-Medien“ genauso wie die schlichte Tatsache, dass diese nicht mehr ihre Welt widerspiegelten. Beispielhaft kündigte der freie Journalist und Blogger Don Dahlmann zu jener Zeit sein langjähriges „Süddeutsche“-Abo wegen der „widerwärtigen Weicheiigkeit der gesamten Redaktion“ im Umgang mit Leserkommentaren, „die mich ankotzt und mit der ich nichts mehr zu tun haben möchte“.  Jener aggressive Ton ist dabei nur die Reaktion. Denn es waren die fest angestellten Journalisten, die zuerst die dicke Beleidigungsberta auspackten. Redaktionen erachteten selbst nüchtern gehaltene Kritik an ihrer Arbeit als Majestätsbeleidigung und reagierten entsprechend indigniert.

Wer solches Verlagsmenschen ins Gesicht spricht, gilt als unverschämt. Und wer dann noch eine gute Meinung von Google oder Facebook hat, der ist inakzeptabel. Es ist die verlagstypische Filterblase, wenn Lindner keine Kritik aus der Blogosphere gegenüber diesen Diensten sieht. Nur ist sie eben nicht so undifferenziert wie die schamlose Kampagne der Verlage in Sachen Leistungsschutzrecht.

Sie hat den digitalen Graben vertieft. Nun gilt: Die (Verlage) gegen uns (Netznutzer). Das mit Lügen und Demagogie durchgedrückte Gesetz schafft nicht nur eine unabsehbare Rechtsunsicherheit für jeden, der sich im Internet bewegt – es hat auch die letzte verbliebene Bindung zwischen Digital-Freunden und Medienkonzernen zerschnitten. Noch wissen die Verlage gar nicht, was sie damit angerichtet haben, wenn selbst Deutschlands meistgelesener Medienblogger Stefan Niggemeier schreibt: „Ich habe mich selten so unwohl gefühlt, Mitglied dieser Branche zu sein“, und Multimedia-Journalist Richard Gutjahr in seinem Blog beobachtet, dass „journalistische Integrität auf dem Altar der Druckmaschinen geopfert wird“. Wenn digitale Multiplikatoren solches schreiben, darf niemand erwarten, dass ihre Leser bereit sein werden, den kritisierten Medienkonzernen noch Geld anzuvertrauen. Auch bei den Anzeigenkunden dürfte dies Nachhall finden: Für sie sind Blogs eine Fortschritts-Avantgarde. Gerade erst hat Audi in seiner Konzernkommunikation beschlossen, Blogger und Journalisten gleichzustellen.

Eine Brücke bauen über die beiden Seiten der digitalen Spalten konnten über die Jahre nur wenige digitale Renegaten, die optimistisch hofften, die Analog-Kultur ihrer Arbeitgeber aufbrechen zu können. Viele verließen die Medienhäuser nach wenigen Jahren frustriert und arbeiten heute für Unternehmen oder PR-Agenturen.

Eine Innovationsoffensive wäre nötig, das Vorleben von Social Media durch die führenden Köpfe in den Medienhäusern. Doch wo soll dieser Wandel herkommen? Unter Deutschlands Chefredakteuren sind Christian Lindner, Wolfgang Büchner („Spiegel“) und Roland Tichy („Wirtschaftswoche“) die Online-Exoten. Honoratioren wie Kurt Kister, Giovanni di Lorenzo, Gabor Steingart oder Jörg Quoos dagegen finden im Internet nicht statt, Frank Schirrmachers Twitter-Account liegt seit Monaten tot darnieder. Das prädestiniert sie vielleicht für den Nannen-Preis – aber nicht dafür, ihre Häuser für die Zukunft fit zu machen.

Die beiden Texte sind zuerst erschienen in medium magazin Ausgabe 03/202013 in der Rubrik “Rubriken” auf Seite 10 bis 12. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Das Verlinken und auszugsweise Zitieren ist ausdrücklich erlaubt.  Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion redkaiton@mediummagazin.de