„Tagesschau“-Chef Kai Gniffke im Wortlaut

Ergänzend zu unserem Redaktionsportrait von ARD-aktuell in mediummagazin 12-2012  (siehe Vorabmeldung) dokumentieren wir im Folgenden die Äußerungen von Chefredakteur Kai Gniffke im Wortlaut. Er hat unsere Fragen schriftlich beantwortet.

Die „Tagesschau“ wird nun 60 und ist nach wie vor die Nachrichtenmarke Nummer 1 in Deutschland. Wie hat sie auch in der Zukunft eine Chance, in der das lineare Fernsehen ebenso infrage steht wie die ausdauernde Nutzung von Medien?

Das lineare Fernsehen wird noch eine ganze Weile lang Leitmedium bleiben. Gleichzeitig wächst die non-lineare Nutzung rasant. Die Tagesschau wird ihre Stärke nur behalten, wenn wir den Menschen unsere Nachrichten überall dort anbieten, wo sie Informationen von uns erwarten: im TV, online, als App, auf internetfähigen Fernsehgeräten oder auf öffentlichen Plätzen. Dabei wird es entscheidend darauf ankommen, die Marke klar und wiedererkennbar zu halten. Alles was unter dem Icon mit der „1“ angeboten wird, muss den Qualitätsstandards der Tagesschau um 20 Uhr entsprechen. Das bedeutet Nachrichten, die nach dem Kriterium der Relevanz ausgesucht sind und der Versuchung der Boulevardisierung widerstehen.

Ihre Redaktion bereitet einen Relaunch vor: Ein Neues Studio mit diversen Touch-Elementen, am Hintergrund ebenso wie an den Tischen. Wie multimedial müssen und dürfen „Tagesschau“, „Tagesthemen“ und „Nachtmagazin“ werden – was darf das Publikum erwarten und wie sehr werden Sie „heute“ und „heute journal“ mit den Erklärräumen aus der „grünen Hölle“ nacheifern?

Das Wichtigste ist: Tagesschau bleibt Tagesschau. In der Hauptausgabe um 20 Uhr wird es einen sehr zurückhaltenden Einsatz von multimedialen Elementen geben. In den moderierten Sendungen insbesondere Tagesthemen und Nachtmagazin sollten wir aber zusätzliche Möglichkeiten nutzen, um Hintergründe anschaulich zu erklären. Es ist selbstverständlich, dass wir mit Touch-Elementen auf eine Technik zurückgreifen, die mittlerweile aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken ist – sei es am Fahrkartenschalter, Bankautomat oder dem Smartphone. Dabei gehen wir nicht den Weg in die virtuelle Welt, sondern setzen auf „anfassbare“ Technik. Alles was der Zuschauer sieht, ist tatsächlich real im Studio vorhanden. Das passt unserer Meinung nach am besten zu Nachrichten und zu ARD-aktuell.

Die Verleger werfen Ihnen eine ungebremste digitale Expansion vor: vom Fernsehen ins Netz, vom Netz auf Mobilgeräte. Verstehen Sie die Sorge der Zeitungen und Zeitschriften, die ebenfalls auf diesen Markt drängen – und sind Sie zu Einschnitten bereit?

Wir haben vor nicht allzu langer Zeit drei Viertel unserer Inhalte aus dem Netz nehmen müssen.Wer kann da von Expansion sprechen? Zugleich verstehen wir die Sorge der Verlage angesichts der Herausforderungen einer sich rasant verändernden Medienwelt. Aber die Tagesschau ist nicht Schuld daran, dass es bislang erst wenige funktionierende Erlösmodelle für Qualitätsjournalismus gibt. Gäbe es die Tagesschau nicht, würde das Geld bei den Verlagen trotzdem nicht sprudeln. Gerade in der Flut digitaler Nachrichtenangebote ist es wichtig, dass es auch öffentlich-rechtliche Angebote gibt. Wir wollen, dass sich junge Menschen für Politik interessieren. Dafür braucht es gerade im Internet einer starken Nachrichtenmarke wie die Tagesschau. Das ist unser Auftrag und bedeutet zugleich eine sehr große Verantwortung.