Was hat Peter Seewald bekehrt?

Sein Interview mit dem Papst macht weltweit Schlagzeilen: Peter Seewald war mal KPD-Anhänger, heute ist er  gläubiger Katholik. Carla Woter porträtierte den Bestsellerautor bereits 2005 für „medium magazin“: „Ich bin nicht auf einmal entflammt, das hat Jahre gedauert.“:
Das Porträt (hier auch als pdf-download) zum Nachlesen:

„Nicht weit vom Sankt-Anna-Platz, quasi hinter dem Klostergarten, wohnt die Familie Seewald in einem großen alten Mietshaus
mitten in München. Der Name steht gleich dreimal am Klingelschild. Einmal die komplette Familie, einmal der erwachsene Sohn und einmal der Vater. Dafür entschuldigt er sich fast. „Das Büro musste sein“, beichtet Peter Seewald. „Sonst kann ich nicht arbeiten.“

Hell und gemütlich ist es, man bekommt Espresso, Wasser und Einblicke in eine ansehnliche Bibliothek, akkurat eingeräumt in weißen Billy-Regalen. „Das ist alles Jesus, da sind die Klöster, und da hinten steht die ganze Theologie“, erklärt der Hausherr. Und setzt die Führung gleich fort: Auf einem Regal steht eine anrührende kleine Prozession aus Zinn. „Ein Geschenk meiner Frau.“ Daneben eine kleine Marienstatue, an der Wand hängt Johannes Paul II. Peter Seewald trägt ein Lederband um den Hals, daran zwei Kreuze, aber versteckt unterm Hemd. Auf einem kleinen Tisch liegt der Rosenkranz. Wenn das so weiter geht, könnte man denken: Oh Gott.

SCHICKSALHAFTE TREFFEN. Immerhin,der Autor sieht bayerisch-barock und lebenslustig aus und er raucht. Heilig ist er nicht. Der 51-Jährige ist ein frommer Mann, aber er war es nicht immer. Und er ist ein erfolgreicher Mann, auch das war er nicht immer. Peter Seewald ist derzeit einer der gefragtesten Journalisten des Landes. Er kennt nämlich den Papst. Persönlich. Er hat mit ihm über alles Mögliche und Unmögliche gesprochen, sogar über Sex. Kein anderer Journalist ist Joseph Ratzinger so nah gekommen wie er, drei Bücher sind daraus entstanden. Und nun verzweifelt er am vierten. „Schreiben ist furchtbar! Ich formuliere einfach nicht gern.“ Seewald recherchiert lieber. Aber Gespräche mit Benedikt XVI. wird es auch für ihn erst mal nicht geben. „Da sind 200 Leute davor, ein Riesenapparat. Alles ist anders geworden. Papst ist nun mal Papst“, sagt der Mann, der weder „Ratzinger-Intimus“ noch „Vatikan-Journalist“ sein will. Darauf legt er größten Wert. „Ich sitze in München und nicht in Rom.“
Vor zehn Jahren hat Seewald Joseph Ratzinger zum ersten Mal getroffen, zwölf Begegnungen gab es insgesamt. Erst für ein paar Minuten, dann Stunden, später sogar eine Woche lang, Tür an Tür haben sie gewohnt. Denkwürdige philosophische, theologische, menschliche Bücher sind daraus geworden, „Salz der Erde“ und „Gott und die Welt“ heißen sie. Mehr als 30 Stunden Tonbandmaterial liegen den reinen Frage- und Antwort-Werken zugrunde. „Ich war schon stolz auf meine Fragen, aber ohne Antworten wären sie natürlich nichts wert“, räumt Seewald ein und schildert den umstrittenen Kirchenmann als wunderbaren Interviewpartner. „Einer, der sich auseinandersetzt, extrem gut zuhört und beim Gegenlesen nicht beharrt.“ Das ist ziemlich bemerkenswert. Ebenso wie die Tatsache, dass Joseph Ratzinger auf sein Honorar verzichtete. Warum? „Vielleicht, dachte er, ich bin ein armer Familienvater, kann es gebrauchen. Die genauen Gründe kenne ich nicht“, sagt der Autor.

Über diese Begegnungen, die sein Leben veränderten, wird Seewald später schreiben: „Und plötzlich sitzt man hoch oben in der ehrwürdigen Abtei von Monte Cassino einem Kardinal gegenüber und schreibt Bücher, die man früher nicht einmal ignoriert hätte.“ So plötzlich geschah das aber doch nicht: „Ich bin nicht auf einmal entflammt, das hat Jahre gedauert. Ich saß ja nicht mit Ratzinger im Gebetsstübchen. Wir haben intensiv geredet, und ich habe Antworten auf Fragen unserer Gesellschaft gefunden. Das hat letztlich den Anstoß zu meiner Rückkehr gegeben.“ Am 27. Dezember 1996, relativ kurz nach Erscheinen des ersten Buches, tritt Peter Seewald wieder in die Kirche ein. Bis dahin war es ein langer Weg.

KLASSENKÄMPFER. Sein Geburtsort ist Bochum, aber vier Wochen nach seinem Geburtstag am 10. Juli 1954 zieht die Familie nach Passau. Als kleiner Junge geht er immer gern in die Kapelle, wird Messdiener, genießt eine „unbeschädigte katholische Kindheit“ – und wird als Jugendlicher revolutionär. „Wir wollten die Gesellschaft verbessern“, erzählt Seewald. Mit welchen Methoden, sagt er nicht genau. „Wir haben halt viel demonstriert, Streiks organisiert, klassenkämpferische Pamphlete verteilt.“ 1970 wird er Mitglied der „Gruppierung für den Wiederaufbau der KPD“, bleibt fünf Jahre dabei. Mit 19 tritt er aus der Kirche aus. „Der schönste Tag in meinem Leben.“ Dachte er damals. Rund 30 Jahre später steht Seewald am Tag der Papstwahl auf dem Petersplatz in Rom und heult vor Freude. „Dieser Tag bedeutet einen Einschnitt in meinem Leben“, sagt er. Was war in der Zwischenzeit passiert? Passau, seine geliebte Heimat, mag ihn nicht. Wegen seines klassenkämpferischen Engagements wird er mit 19 von sämtlichen bayerischen Schulen gesperrt. Er hat kein Abitur, kein Volontariat, aber ein Ziel: Journalist werden.

Schon als Elfjähriger tippte er Nachrichten aus der Nachbarschaft zusammen und verteilte sie. Als 22-Jähriger gründet Seewald die linksliberale „Passauer Kleine Zeitung“, „bei der ich alles in einer Person war, Chefredakteur, Herausgeber und Reporter“. Eine Art bayerische „taz“, die zwei Jahre überlebte. 1981 geht der passionierte Provinzler, der „heute noch Angst vor Rolltreppen hat“, nach Hamburg. Und wird beim „Spiegel“ der jüngste Redakteur, den es dort bis dahin gab. „Im Norden bin ich fast verstummt, aber ich konnte ja schreiben“, sagt der Bayer. Einer wie Seewald hätte heute keine Chance: ohne Abitur und Ausbildung. Er sieht das anders. „Mit Talent klappt des immer noch“, meint er. Mit diesem Talent wird er beim „Spiegel“ mit Themen beauftragt, die keiner machen will. Zum Beispiel Ferien im Kloster. Und er wird gedruckt – mit Autorenzeile!

EINE SCHÖNE WELLE. Doch der junge Mann, inzwischen Familienvater, vermisst seine Heimat. Er wechselt ins Münchner Büro des „Spiegels“. 1987 wirbt ihn der „Stern“ ab. Seewald schreibt aus München Gesellschaftsreportagen. 1990 findet er bei dem neu gegründeten „SZMagazin“ seinen Traumjob. Von dieser Zeit schwärmt Seewald noch heute. „Eine Redaktion wie eine Familie.“ Sein erster Vorschlag: eine Geschichte über das Beten. „Damit fing alles an“, sagt er: Heute betet Peter Seewald täglich den Rosenkranz, das sei „wie eine Meditation“. Seine Rückkehr zur Kirche vergleicht er mit einer Häutung, nachzulesen in einem hoch gelobten kleinen Bändchen: „Als ich begann, wieder an Gott zu denken“. Stellenweise banal, fast populistisch, aber es zeigt ohne missionarisches Anliegen sein Ringen mit dem Glauben und seine Beglückung. „Vielleicht ist der Glaube etwas, das dich trifft wie eine schöne und nicht allzu harte Welle, die aus dem Meer auf dich zukommt.“ Der alte Revoluzzergeist in ihm lebt dennoch weiter: Ganze Redaktionsfeste sprengt Seewald mit religiösem Zündstoff. Lustvoll verteidigt er die Kirche und den Papst. „Weil nichts so sehr provoziert wie die Frage, ob denn diese alte verkrustete Kirche mit ihrer so unbeugsamen Position doch Recht haben könnte.“

LEBENSAUFGABE. Eines Tages ist ein Ratzinger- Porträt fällig. Seewald soll mit ihm sprechen, natürlich, der mit dem Beten. Er liest Ratzingers Werke, arbeitet sich durch dessen Predigten und merkt: „Der ist gar nicht so, wie alle schreiben.“ Sondern? „Auf keinen Fall reaktionär oder engstirnig, einer, der wahrhaftig nach Antworten sucht und keine Statements liefert wie Politiker.“ Da fasst er einen Entschluss. „Ich wollte dieses Porträt anders machen, wollte die Wahrheit wissen.“ Die „SZ“ druckt den Artikel, auch wenn sie mit dem positiven Tenor nicht einverstanden war. Das Porträt markiert seinen Abschied aus seinem alten Journalistenleben. Seit 1994 arbeitet er frei, wird 1997 auch Unternehmer und verkauft Produkte aus europäischen Klöstern – von der Seife bis zum Olivenöl. 2000 verkauft er sein Unternehmen „Gutes aus Klöstern“ an Manufaktum und konzentriert sich fortan aufs Bücherschreiben.

Für Zeitungen schreibt Seewald heute selten. Keine Zeit. Und wenn, dann über Ratzinger. „Das ist wohl meine Aufgabe“, sagt er, und es klingt wie Schicksal. Im August ist Weltjugendtag. Seewald soll Fernsehbeiträge liefern, und, wie gesagt, er muss schreiben. Ein Bestseller- Autor ist er geworden: über 300.000 seiner Bücher sind bereits verkauft. Das muss verteidigt werden. Seewald rauft sich die Haare, er freut sich, aber er ist auch entsetzt. Überfordert. Dann wieder begeistert. Und meist alles gleichzeitig. Seewald sagt gleich zu Anfang des Gesprächs: „Ich kann den Namen Ratzinger nicht mehr hören“, und lacht. Aber man merkt, er meint es nicht nur lustig.

Text: Carla Woter (erschienen in „medium magazin“ Nr 8 – 2005)