„Traut euch was!"

?Herr Peichl, was sind denn nun die Trends des letzten Jahres?

Markus Peichl: Ein wesentlicher Trend ist die Versachlichung: Der Journalist nimmt sich zurück, im Vordergrund steht allein die Geschichte – ohne künstliche Rüschen. Wie im „stern" zum Thema Irakkrieg, fünf Jahre danach: wir sehen Menschen, deren Bilder vor fünf Jahren um die Welt gingen, erfahren, was aus ihnen wurde – eine nüchterne Bilanz. Ganz sachlich bleibt auch die Spiegelgeschichte „der Bankraub": Im Tagebuchstil werden die Ereignisse bis zur Finanzkrise erzählt – auch das Layout ist pragmatisch. Die Themenlage ist derzeit so spannend, jede Überbetonung wäre kontraproduktiv.

Soll der Lead Award noch Vorbild für Magazine sein? Falls ja, wie kommt es dann, dass ein Magazin abräumt, das nicht am Kiosk bestehen muss?

Das stimmt ja gar nicht. Eine Zeitung gewinnt und hält Leser durch ein Supplement – das sehen wir an der gesteigerten Auflage der „Süddeutschen Zeitung" am Freitag, wenn das Magazin beiliegt. Supplements wie das „Zeit Magazin" müssen sehr wohl am Kiosk bestehen.

Trotzdem sind hochgelobte Finessen wie der doppelte Titel eher schwierig für eine Zeitschrift, die am Kiosk verkauft werden muss.

Ich persönlich halte von einem Doppelcover sowieso nicht viel. Wichtiger ist: im „Zeit Magazin" oder dem „SZ Magazin" werden journalistische Formen gepflegt, die wir leider in anderen Publikumszeitschriften nur selten finden. In der letzten Ausgabe der Vanity Fair schrieb Moritz von Uslar über die Berlinale. Er hatte sich mehrere Tage ins Café Borchardt gesetzt und von dort das Treiben des Filmfestes beschrieben: Die Gespräche, das Sehen und Gesehenwerden – eine Form, wie sie normalerweise Supplements zugeschrieben wird. Das Ergebnis ging viel tiefer als alle anderen Berichte über die Berlinale. Auf diese Form – präzise und abseits des Häppchenjournalismus – müssen wir als Lead Award hinweisen und sagen: Leute, traut euch was!

Dabei haben doch gerade die großen Zeitschriften dieses Jahr die Preise geholt, ganz im Gegensatz zu Nischenprodukten wie 032c aus dem letzten Jahr.

Der Lead Award bildet ab, was der Markt hergibt: 2007 kamen viele kreativen Impulse aus dem Independent-Bereich. 2008 stagnierte dieser Markt leider völlig. Dafür fanden wir auffällig viele herausragende Arbeiten bei etablierten Zeitschriften.

Was ist aus der Kategorie Newcomer geworden, gab es keine Lichtblicke in 2008?

Doch, ein paar gab es durchaus. Es kamen jedoch weniger Neuerscheinungen auf den Markt als die Jahre zuvor. Daher verleihen wir den Newcomer Preis künftig nur alle zwei Jahre. Wir haben dafür drei Magazine aus 2008 bereits vorgemerkt: „Ramp", „Kultur und Gespenster" und „Effilee".

Wenn ein Leserreporterfoto auf einer der wichtigsten Veranstaltungen der Branche einen Preis bekommt, was soll das für ein Signal senden: Journalisten beiseite, macht Platz dem Bürgerjournalismus?

In der Kategorie „Foto des Jahres" geht es immer um den einen Moment, der sich ins kulturelle Bewusstsein gräbt: begeisternd, betrübend oder emotionalisierend. Dieser ist nicht mehr den Profifotografen vorbehalten – die gesamte Menschheit ist mit Handyfotoapparaten bewaffnet. Der Lead Award bildet so eine Entwicklung ab. Wir haben übrigens auch Cover ausgezeichnet, deren Bilder aus der Hand von Bürgern stammen: Die Tsunami-Welle oder die einstürzenden Zwillingstürme.

Warum wurde dieses Foto denn als „stern"-Bild deklariert, es stammt doch aus der „Bildzeitung"?

Unser Regelwerk gibt vor, dass wir ausschliesslich Fotos aus Zeitschriften und Magazinen sichten. Insofern kommen Bilder aus Zeitungen für uns nicht in Betracht.

In der Kategorie online wurde „BauNetz" ausgezeichnet, ein online Magazin rund ums Bauen, gemacht von Architekten und Interessierten. Hat der Journalismus im Netz nichts mehr zu melden?

Heutzutage ist der klassische Journalismus an allen Stellen gefährdet: In der Fotografie, in der Zeitung, im Internet. Jeder Mensch kann sich medial äußern – amateurhaft oder professionell. Der Journalismus muss seine Funktion durch mehr Güte und Qualität unter Beweis stellen, sonst geht er unter. Wer exzellent und kreativ ist, wird auch bestehen.

Erschienen in Ausgabe 04+05/2009 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 28 bis 28 Autor/en: Interview: Mareike Fuchs. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.