Sehhilfe mit Rundum-Paket

Alle stöhnen über die Medienkrise – wir nicht“: „Monocle“-Gründer und Chefredakteur Tyler Brulé kennt keine Globalisierungsangst, im Gegenteil: Das Juli-August-Doppelheft ist das bisher umsatzstärkste Heft seit dem Start von „Monocle“ vor zwei Jahren, im Juni eröffnete Brylé in Palma einen dritten „Monocle“-Shop (nach London und L.A.) und im Mai kam zum ohnehin großen Korrespondenten-Netz mit eigenen Büros in London, New York, Tokio und Zürich und festen Reportern in neun weiteren Metropolen der Welt von Bogota über Moskau bis Nairobi ein weiterer Korrespondent in Washington. Selbstbewusst verkündete Brulé da schon: „Zu einer Zeit, in der viele große Medien-Gruppen Personal entlassen, erweitert, Monocle‘ sein internationales Netzwerk – und wird es zum Ende 2009 auch in Lateinamerika und Asien ausbauen“. Was nur ist das Erfolgsgeheimnis dieses Kult-Magazinmachers aus Winnipeg, der einst schon mit „Wallpaper“ Blattgeschichte geschrieben hat?

Die Strategie. Zum Gespräch in die kleine, aber feine „Monocle“-Zentrale am Londoner Boston Place, gleich hinter dem Marylebone-Bahnhof, fährt der 41-jährige Fitness-Fan Brulé auf einem grünen Fahrrad vor – mit „Monocle“-Logo. Das kleine „Unisex-Skepshult-V-Bike“, hergestellt in Schweden, wird neuerdings auch in den „Monocle“-Shops verkauft, für 750 Pfund. Neben Büchern, CDs, Parfüms, Kleidung – und alles, wie das Magazin, unter dem „Monocle“-Label. Das Crossover-Konzept von Magazin und Shops gehört fest zur Firmenphilosophie: „Wir wollen einen positiven globalen Outlook mit neuen Ideen und Projekten präsentieren und Interesse wecken für neue Vorhaben und Trends, die sich auch auf andere Länder auswirken“, erklärt Tyler Brulé. Aber: „In diesem Kontext sind die Shops nicht nur kommerzielle Outlets, sondern bieten auch optimale, unmittelbare Kontakte zu unseren Lesern“.

Die Crossover-Idee steckt auch im Magazin-Konzept: „Tagesaktuelle Themen wie den General Motors-Crash oder eine wichtige Rede von Präsident Obama diskutieren wir direkt auf unserer Website im Audio-Kanal, wo auch andere Beiträge zu globalen Trends und aktuellen Themen zu hören sind“. Das auf hochwertigem Papier gedruckte Magazin setzt dagegen auf eigene Bildsprache und Themen jenseits der Tagsaktualität und ist online nur für Magazin-Abonnenten zu lesen..

Das Konzept geht auf: Das aktuelle Juli-August-Doppelheft mit der Hitliste der „25 most liveable cities“ ist die bisher erfolgreichste Ausgabe: „Wir haben ein Anzeigenplus von 35 Prozent erreicht“, verkündet Tyler Brulé strahlend. „Das ist schon ziemlich komisch in diesen tristen Zeiten“. Und trotz des beinah prohibitiven Verkaufspreises von zwölf Euro und Verzichts auf Werbekampagnen gehen heute 150.000 Exemplare des 170-Seiten-Heftes an die Kioske und 8.500 Leser in 87 Ländern zahlen weltweit einheitlich 75 Pfund (rund 88 Euro) für das Jahres-Abonnent.

Die Werbe-Marke. Bereits „Wallpaper“, das von ihm erfundene Kultmagazin für Designer und Fotografen, hatte Tyler Brule eher als Markenartikel denn als Magazin verstanden. Von „Monocle“, seinem aktuellen Prestige-Objekt, spricht er daher nie als Magazin – immer nur von „our brand“, also von „unserer Marke“. Als Brulé „Wallpaper“ 1997 für rund 1,6 Millionen Dollar an Time-Warner verkaufte, hatte er die Idee für ein Projekt wie „Monocle“ bereits im Kopf – und mit diesem Finanzpolster eine Basis für das neue Magazin, das inzwischen auch von Sponsoren wie dem japanischen Badezimmerarmaturen-Hersteller Toto mit umfangreichen Anzeigenserien unterstützt wird. Über seine eigene Werbe- und Design-Agentur Winkreative in London verfügt Brulé zudem über hervorragende Kontakte zu internationalen Konzernen, was den Inseraten nicht schadet.

Für diesen Sommer kündigt er dafür eine „Summer Series“ an – ein typisches kommerzielles „Monocle“-Crossover-Konzept : „Wir werden auf unserer Internetseite Buch-, Musik- und Filmtipps für den Sommer anbieten – zusammen mit kurzen Videoclips, in denen das neue 5er-Modell von BMW vorgestellt wird. Das ist eine sehr interessante Entwicklung.“

Der Inhalt. Trotz der Mode- und Designstrecken oder Shopping-Guides ist das Magazin alles andere als ein aufgemotzer Verschnitt von „Vanity Fair“. Die exzellent geschriebenen und recherchierten Porträts wie die einer radikal-liberalen afghanischen Parlamentsabgeordneten oder einer thailändischen Gerichtsmedizinerin im Kampf gegen Korruption, Berichte über die einflussreichsten Scheichs im Nahen Osten oder aus der Mongolei, wo ein Run von Großinvestoren eingesetzt hat – brilliant geschrieben und recherchiert – all das könnte genauso gut im „Spiegel“ oder „Economist“ stehen.

Der Unterschied: Tyler Brulé hat meist einen ästhetischen Kick im Visier, viele „Monocle“-Geschichten tragen einen modischen „Vogue“-Look. Gleichzeitig aber verweigert sich Brulé konsequent dem Promi-Kult: „Klatsch über Celebrities oder Gala-Glamour wird es bei, Monocle‘ nicht geben“, hatte er schon bei der Gründung des Magazins versprochen.

Auch das „Monocle“-Ranking der internationalen Städte unterscheidet sich deutlich von üblichen Bestenlisten, führt beispielsweise auch die Kategorie „Chain store pollution“: Eine Übersättigung durch Ketten wie Star Bucks oder Zara führt zur Abwertung. London, immerhin die Monocle-Zentrale, hat es wieder nicht ins diesjährige Ranking geschafft. Tyler Brulé begründet das so: “Hier gibt es keine Service-Kultur, das Erziehungssystem ist zu sehr auf Eliten ausgerichtet, das Verkehrssystem ist kurz vor dem Kollaps und das soziale Gefälle ist zu extrem“. Und offenbart damit zugleich viel von seinem persönlichen Wertesystem.

In den 90ern war er als Reporter für „Focus“ als Kriegsreporter in Afghanistan. Dem Einsatz hat Brulé seine lädierte Hand zu verdanken: „Hier, diese drei Finger, kann ich seit dem Beschuss durch einen Heckenschützen nicht mehr bewegen“, erklärt er, während er lässig seine Hand schüttelt und den „Stern“ kritisiert, für den er ebenfalls mal gearbeitet hat: „Früher habe ich den, Stern‘ ja wegen seiner großartigen Fotos gesammelt – aber der viel zu medioker geworden ist“. Aus seiner Aversion gegen alles, was nach Mainstream-Kompromiß aussieht, macht er kein Geheimnis, wohl ein Teil seines Erfolges. So ist Tyler Brulé stolz darauf, dass „Monocle“ als einziges Magazin der westlichen Welt ein eigenes Manga-Ressort betreibt. Er selbst ist oft in Japan, das er wegen seiner außerordentlichen Servicekultur schätzt.

Die Leser. Einen „typischen“ „Monocle“-Leser hat Brulé nicht im Auge. Ihm geht es vor allem um den Blick über den engen europäischen Horizont hinaus und internationale Entwicklungen – wie die „Zurück aufs Land-Bewegungen“, Titelstory im Juni-Heft: „In Japan und den USA hatte man zuerst nur jugendliche Kriminelle zur Landarbeit in abgelegenen Gebieten verurteilt, dann haben immer mehr Leute auch in Europa die Vorteile des gesunden Landlebens entdeckt – dieser Trend kann natürlich auch auf weitere Länder übergreifen“.

Gehört man als Monocle-Leser also zur avantgardistischen Pfadfinder-Truppe, die weltweit neue Trends beobachtet und daher die echte Info-Elite bildet? Diese Klientel will Brulé zwar auch bedienen. „Wir gehen aber eigentlich nur so ähnlich vor wie die Lufthansa, die viel mehr Locations anfliegt als irgendeine amerikanische Airline, weil die alle ihr Flugnetz beschnitten haben.“ Mit „Monocle“ hat Tyler Brule schließlich mit Bedacht eine Sehhilfe als Markennamen gewählt: “Wir erweitern unsere Perspektive konsequent und nehmen un
sere Leser mit zu spannenden Ecken auf dem Globus. Dieser Planet bietet immer noch faszinierende Events“.

Linktipp:

www.monocle.com

Erschienen in Ausgabe 07+08/2009 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 28 bis 28 Autor/en: Peter Münder. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.