Was Hänschen nicht lernt …

Ein mit dem Handy gefilmtes Video, wackelig und unscharf, machten den Tod der jungen Neda zum Symbol des Protestes im Iran. Ins Internet gestellt, wurde es Millionen mal geklickt. Wo Reporter des Landes verwiesen wurden, bahnten sich ungesicherte Informationen ihren Weg über das Internet. Mangels Alternativen zeigen inzwischen sogar die großen Fernsehsender Bilder aus dem Netz.

Ein anderes Beispiel: New York im Januar. Eine Kurznachricht mit dem Inhalt „da ist ein Flugzeug im Hudson River. Bin auf der Fähre, die versucht, die Leute aufzusammeln. Verrückt“ versendet über den Internetdienst Twitter, macht weltweit Schlagzeilen. Fotos von Notlandung, veröffentlicht bei flickr, erreichen ein Millionen-Pubikum.

Beides zeigte auf spektakuläre Weise, wie das Internet und alle seine Spielarten den Journalismus beeinflussen – längst aber auch im redaktionellen Alltag. Steffen Büffel (s.a. Beitrag Seite 56) fand in seiner Studie „Zeitungen online 2009“ heraus, dass schon 82% der reichweitenstärksten Tageszeitungen RSS Feeds anbieten, 83% ihre Internetseiten mit Bewegtbild ausstatten und immerhin 48% „twittern“.

Es ist schon eine Binsenwahrheit, dass zeitgleich mit den Möglichkeiten der Redaktionen die Ansprüche an die Redakteure wachsen – in allen Gattungen. Crossmedia ist das Zauberwort vieler Redaktionen. Entsprechend wirbt eine Vielzahl von journalistischen Fortbildungseinrichtungen damit, die Journalisten für ihre neuen Aufgaben fit zu machen. Wochenendseminare konkurrieren mit berufsbegleitenden Angeboten, „All-in-one“-Veranstaltungen mit Spezial-Trainingseinheiten.

Grob lassen sich die Weiterbildungsangebote in zwei Bereiche unterteilen: Recherchehilfen und Produktion eigener multimedialer Inhalte. In Rechercheseminaren lernen Journalisten Blogs, Foren oder Twitter als Fundort für Themen und Informationen kennen. Die Seminare vermitteln Hilfen in der Einschätzung der Glaubwürdigkeit von Blogs oder zeigen, wie man die Person hinter dem Twitterer ausfindig macht. Crossmedia-Seminare dienen dagegen der Arbeit mit neuen Erzählformen.

Aber: „Leider kommen einige Teilnehmer mit der Einstellung in das Seminar: „Crossmedia, das soll ich nun auch noch machen!“, sagt Ulf Grüner, Dozent an der Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg und der Klara Journalistenschule in Berlin. „Gerade Web 2.0-Anwendungen wie Twitter sind für viele Kollegen noch ein rotes Tuch. Sie betrachten dies Werkzeug noch mit Abscheu und Empörung“, berichtet auch Kai Voigtländer, Seminarleiter an der Akademie für Publizistik in Hamburg. Nicht wenige fühlen sich von der Geschwindigkeit der neuen Entwicklungen überrollt: gestern war der Live-Chat mit den Zuschauern noch ganz verwegen, heute soll ein Redakteur nebenbei twittern, bloggen und mit dem Handy filmen – wer weiß, was morgen kommt.

Überblick oder Spezialwissen? Die Axel Springer Akademie, die sich nicht nur als Aus-, sondern auch als Fortbildungsstätte versteht, kennt das Problem gut: „Alles kann man gar nicht kennen, dafür ist die Halbwertszeit des neuen Wissens viel zu gering. Die Leute müssen ja auch noch Zeitungen oder Zeitschriften produzieren,“ sagt deshalb Rudolf Porsch, Geschäftsführer und Dozent der Akademie, der als Ideal „den methodischen Generalisten“ vor Augen hat: „Man muss nicht alles können, aber alles kennen“. Das ist im redaktionellen Alltag allein kaum zu stemmen. Gerade die Journalisten-Generation ab 45 aufwärts tut sich oft schwer mit Extra-Kursen: „Sie sagen oft, dass sie keine Zeit dafür haben. Das halte ich für falsch“, sagt Porsch und meint: „Es müsste sich eine Kultur entwickeln, dass jeder 4-6 Tage im Jahr für Fortbildungen nutzt, ganz selbstverständlich.“

Da gleichzeitig aber klare Fortbildungskonzepte und -Empfehlungen in den meisten Medienhäusern Mangelware sind, muss derjenige Eigeninitiative zeigen, der sich nicht von der Entwicklung und jungen Kollegen abhängen lassen will. Denn die fragen rege nach Multimedia-Fortbildung. So hat allein die Akademie für Publizistik in Hamburg im zweiten Halbjahr 2009 elf Seminare zum Thema Online im Programm, darunter Titel wie „die crossmediale Lokalgeschichte“, „mobile Reporting“ oder „Schreiben fürs Netz“. Für das Seminar „Schreiben fürs Netz“ musste die Akademie zwei Zusatztermine einrichten, weil die Nachfrage so groß war. Demnächst will sie auch verstärkt mit ausländischen Partnern wie dem Poynter Institut zusammenarbeiten, weil – so sagt Jens Voigtländer: „Unserer Beobachtung nach gibt es im deutschen Journalismus einen kleinen Entwicklungsrückstand.“

Fragt sich nur, wo und wie soll der Einzelne da mit der Aufholjagd anfangen?

Basiskurse bieten einen Überblick über die gängigen Begriffe: Was ist eigentlich Web 2.0 und warum reden alle von content? Solche Seminare dauern meist nur einen Tag, bieten inhaltlich aber gerade genug Stoff zum Smalltalk. „Ich halte Überblicksseminare für völlig überflüssig“, sagt deshalb Ulf Grüner. Um mitreden zu können über Internetentwicklungen, biete das Internet allemal selbst genug Informationen (s.a. Linktipp). Auch Jens Schröter, Leiter der Burda Journalistenschule, die ebenfalls die Verlags-Mitarbeiter multimedial fortbildet, meint: „Es ist gut, wenn man die Dinge mal gehört hat, aber dieses Wissen geht schnell verloren, wenn die Teilnehmer sie nicht ausprobieren.“

Was also dann? „Eine allgemeine Empfehlung gibt es nicht. Ich frage Interessenten am Anfang immer, aus welchem Bereich sie kommen und finde ihre Bedürfnisse heraus“, sagt Gabriele Hooffacker, Leiterin der Journalistenakademie München. Die meisten seriösen Fortbildungsreinrichtungen bieten ein Beratungsgespräch vorab an, entweder am Telefon oder persönlich. Geklärt werden sollten dabei Fragen wie: Welche Vorkenntnisse hat der Interessent, was ist der Anlass für die Weiterbildung, gibt es konkrete Anforderungen in der Redaktion oder geht es um eine allgemeine Wissenserweiterung?

Eine Frage des Preises? Einige Redaktionen lassen sich Schulungen für ihre Bedürfnisse maßschneidern, freie Journalisten hingegen sind auf das Angebot offener Fortbildungseinrichtungen angewiesen. „Wenn es um reine Software-Schulungen geht, reicht ein Volkshochschulkurs völlig aus“, rät Jens Schröter Kollegen, die solche Kurse aus eigener Tasche bezahlen müssen. Diese Kurse richten sich nicht ausschließlich an Journalisten, sind dafür aber erheblich preisgünstiger. Einen Kurs zum Thema digitaler Videoschnitt über 24 Unterrichtsstunden bietet beipielsweise die Volkshochschule Berlin für rund 100 Euro an.

Wer jedoch neue journalistische Spielarten trainieren will, ist dort fehl am Platz und sollte zu Fachinstitutionen gehen – und sich dort den jeweiligen Hintergrund der Seminarleiter genau ansehen. Günstig und trotzdem journalistisch ist beispielsweise das Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung. Sie führte schon mehrere Seminare zum Thema Crossmedia im Lokaljournalismus durch, oft mit hochkarätigen, praxisorientierten Referenten. Für bereits etwa 120 Euro wird dort, oft über rmehrere Tage, diskutiert und ausprobiert.

Offene Seminare haben durchaus Vorteile: Vor Fremden bestehen oft weniger Hemmungen vor bei den eigenen Kollegen. Mögliche Fehler werden nicht gleich als Inkompetenz gewertet. In neuen Gruppen können auch zurückhaltende Mitarbeiter unbefangen neue Talente entdecken.

Doch der Nutzen von offenen Seminaren ist begrenzt – jedenfalls für diejenigen, die auf vorgegebene redaktionelle Soft- und Hardware angewiesen sind. „Viele Seminare sind nur dann gut, wenn sie genau auf die Bedürfnisse der Teilnehmer abgestimmt sind“, sagt Jens Schröter. Offene Seminare hält er nur bedingt für geeignet. „Beim Webvideo zum Beispiel kommen die Teilnehmer oft zurück in die Redaktion und treffen auf ganz andere technische Vorausse
tzungen. Programme, die sie gelernt haben, laufen in der Redaktion nicht“, sagt er. Ein offenes Seminar muss sich nun mal beschränken und kann die Bandbreite der verschiedenen Systeme nicht abdecken. „Dann haben Teilnehmer Zeit und Geld investiert und können das Gelernte in der Redaktion nicht anwenden – da ist die Enttäuschung groß“, sagt Schröter.

Viele Journalisten-Akademien bieten deshalb neben ihrem offenen Programm auch auf die Bedürfnisse der Redaktion abgestimmte Inhouse-Seminare an. Der Vorteil dabei: Redakteure müssen sich nicht irritieren lassen von für sie unnützen Feinheiten anderer Software. Daher lohnt es sich auch, den Redaktionsleiter vom Nutzen einer solchen gemeinsamen Schulung zu überzeugen.

Quickie oder Langzeitprojekt? Doch Vorsicht vor dem „All-in-one“-Prinzip: „Uns erreichen immer wieder Anfragen von Menschen, die alles an einem Tag lernen wollen“, sagt Herbert Knur, Direktor der Akademie der Bayerischen Presse, „wir wehren uns gegen den multimedialen Vollwaschgang an einem Tag.“ Denn jede neue Darstellungsform erfordere neues technisches Wissen. Die Akademie in München konzentriert sich deshalb auf ein Genre pro Seminar: Also entweder wird die Slideshow produziert oder der Podcast. Die neue Technik in zwei bis drei Tagen zu begreifen und zu nutzen, fordert viele Neulinge schon genug heraus. Das sehen die meisten Journalistenausbilder so.

Ist da ein Langzeitprojekt, berufsbegleitend, eine Alternative? Die Journalistenakademie in München beispielsweise wirbt mit einem neunmonatigen Seminar „Journalismus crossmedial“. An verschiedenen Wochenenden plus Hausaufgaben sollen Teilnehmer die Palette von multimedialem Arbeiten, vom Texten fürs Internet bis hin zu Webdesign erlernen. Die Kosten dieses Angebots belaufen sich auf 3.500 Euro, Mitglieder der deutschen Journalistenunion erhalten 50% Rabatt. Jedem Interessierten wird ein einstündiges Vorgespräch angeboten, in dem Erwartungen und Bedürfnisse geklärt werden sollen. „Crossmediales Arbeiten in kurzer Zeit zu vermitteln, ist schwierig“, sagt Gabriele Hooffacker. Wer so viel Geld investiert, sollte sich seiner Sache sicher sein.

Jens Schröter hält allerdings nicht so viel von berufsbegleitenden Seminaren. „Viele Teilnehmer verlieren bei Veranstaltungen, die über mehrere Wochen gehen, schnell die Lust“, sagt er. Und auch Michael Neugebauer, Fortbildungsleiter der Electronic Media School Babelsberg, sieht diese Herangehensweise kritisch: „Manche Arbeitgeber träumen immer noch von dem Redakteur als Eierlegende Wollmilchsau, die alles Neue nebenbei macht.“

Journalisten, die sich für Multimedia interessieren, sollten lieber ihre Neigungen erforschen. Nicht jeder muss einen Blog schreiben, Webvideos drehen und gleichzeitig noch den/das Redaktionswiki bestücken. „Aber ein Interesse an Online sollte inzwischen jeder haben, das hat auch mit der Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes zu tun“, betont Neugebauer.

Wer in einem Wochenendseminar seine Neigungen entdeckt hat, für den lohnt sich vielleicht auch der berufsbegleitende Lehrgang – wenn er sich gezielt spezialisieren will. Letztlich erfordert jede dauerhafte Weiterbildung ein hohes Maß an Eigeninitiative. Neu erworbene Computerkenntnisse, die monatelang brach liegen, verblassen schneller als Wasserflecken in der Sonne.

Leider lässt sich schwer vorhersagen, welche Anwendungen sich dauerhaft im Redaktionsalltag durchsetzen. „Es gibt viele Entwicklungen, die plötzlich ganz modern sind, zum Beispiel Podcast. Eine Zeitlang wollten alle Redaktionen Podcasts einrichten, jetzt ist die Resonanz eher verhalten“, sagt Michael Neugebauer. „Ich kann jedem Journalisten nur raten: Bleiben Sie wach, aber lassen Sie sich nicht verrückt machen“.

Linktipp

Service

Eine kommentierte Übersicht über die Anbieter von Seminaren finden Sie unter ww.mediummagazin.de, Rubrik Magazin +

Literatur

ftp://ftp.oreilly.de/pub/katalog/web20_broschuere.pdf : Guter Überblick zum Thema Web 2.0 von Corina Lange.

www.poynter.org (auf Englisch): Gute Analysen aktueller Trends

Erschienen in Ausgabe 07+08/2009 in der Rubrik „Special“ auf Seite 52 bis 55 Autor/en: Mareike Fuchs. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.