Wie aus dem Schaufenster

?Animierte Hintergründe, 3-D-Animationen und sogenannte Erklärräume: Da kommt auf Ihre Zuschauer viel Neues zu. Und auch auf Ihre Mitarbeiter, oder?

Elmar Theveßen: Ja. Nehmen wir die Hintersetzer. Bisher illustrieren wir die Anmoderation eines Beitrags mit einem Bild, das wir hinter dem Moderator anzeigen. Künftig können das mehrere Bilder sein, die wie ein Stapel übereinander liegen und gewechselt werden, während der Moderator spricht. Dafür müssen wir die Anmoderation künftig wie eine kleine, in sich geschlossene Geschichte begreifen. Ebenso, wie wir auch Beiträge planen: der Text muss genau zum Bild passen – und umgekehrt. Heißt konkret: Der Moderator, der den Text schreibt, muss mit dem Bildredakteur viel enger als bisher zusammenarbeiten. Unterm Strich müssen die Moderationen früher geschrieben sein.

Moderatoren und Autoren müssen künftig noch stärker im Bild denken?

Natürlich, aber sie werden gleichzeitig auch entlastet. Hier ist ein völlig neues Berufsbild entstanden. Bisher gab es einerseits Redakteure, die nichts mit Grafiken am Hut hatten, und andererseits Grafiker, die nicht wie Journalisten dachten. Jetzt haben wir den Beruf des Grafikredakteurs. Das sind Menschen, die sowohl journalistisch Erfahrung haben als auch eine Ausbildung als Grafiker. Sie können nicht nur Fakten recherchieren und bewerten, wie klassische Journalisten, sondern das Material auch grafisch durchdenken. Wichtig ist, dass sie Inhalte verstehen – etwa den Unterschied zwischen Geschäftsbanken und Privatbanken – um das für Zuschauer verständlich darzustellen.

Also eine Art Scharnier?

Genau. Unsere Grafikredakteure sind Teil der Redaktion, nicht der Grafikabteilung. Einige haben in Ludwigsburg studiert, wo es bereits einen ersten Studiengang in diese Richtung gibt, andere haben wir umgeschult und ein paar von unserer Kindernachrichtensendung „logo!“ geholt. Dort haben die Kollegen ja schon früh gelernt, das komplizierte Geschehen auf der Welt so aufzubereiten, dass es sogar Kinder und Jugendliche verstehen.

Wie binden Sie diese Kollegen ein?

Sie sollen in den Planungssitzungen ihre grafische Denke einbringen und schon während der Diskussionen erkennen, welche Themen sich für eine aufwendige optische Aufbereitung eignen. Das wird nicht nur eine inhaltliche, sondern auch eine räumliche Zusammenarbeit: Wir werden unser „heute“-Großraumbüro verändern, dass Grafikredakteure an einem Tisch mit 3-D-Grafikern sitzen, um über den Tag hinweg gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten.

Wie früh müssen Sie beginnen, eine 3-D-Grafik zu bauen?

Das hängt wie so oft immer vom Thema ab. Vieles ist planbar, wie beispielsweise der 40. Jahrestag der ersten Mondlandung oder eine Wahl. Da lässt sich einiges vorbereiten, das am Tag nur noch mit aktuellen Daten gefüllt werden muss – wenn überhaupt. So wie wir Themen in eigenen Sitzungen planen, um in unseren Studios Beiträge zu bestellen und Gesprächspartner anzufragen, planen wir künftig eben auch den Einsatz von 3-D-Grafiken. In der Regel passiert das in der Woche, bevor das Thema aktuell wird.

Was ist mit Unglücken, etwa einen Tsunami oder einem Flugzeugabsturz?

Auch das wird klappen. Dann werden die Animationen im Zweifel eben nicht so aufwendig wie mit einem längeren Vorlauf. Außerdem halten wir uns viele Modelle in Datenbanken vor. Wenn wir etwas schnell selbst modellieren müssen, können wir auf ein paar Details verzichten – auf Außenmarkierungen oder Fenster etwa. Außerdem haben wir ja immer die Möglichkeit zu entscheiden, auf eine Grafik zu verzichten.

Welche Themen eignen sich für 3-D?

Das spielen wir gerade durch. Es könnte aber etwa zum Standard werden, dass unser Wirtschaftsexperte Michael Opoczynski die Arbeitsmarktzahlen monatlich im Erklärraum vorstellt und Bettina Schausten die Ergebnisse des „Politbarometers“. Auch Chronologien eignen sich sehr gut..

Können Sie die Erklärräume in das Internet übersetzen?

Daran arbeiten wir noch. In jedem Fall werden wir viele 3-D-Grafiken als Aufzeichnung ins Netz stellen, so wie die Modelle auch in der Sendung zu sehen sein werden. Wenn wir das Studio in Betrieb genommen und Routine im Umgang mit den Erklärräumen gewonnen haben, werden wir uns aber auch daran machen, das eine oder andere Modell als interaktive Version ins Netz zu stellen. Gut denkbar wäre doch, dass sich bei einem Zeitstrahl hinter jedem Element ein Film aus dem Archiv verbirgt, den Zuschauer per Mausklick abrufen können.

Sendungen werden lebendiger, das Studio größer. Was ändert sich noch?

Eigentlich die ganze Art, wie wir Nachrichten präsentieren. Wir kommen weg von der klassischen Bühne: dem Tisch, an dem ein Moderator bisher weitgehend starr saß, sich allenfalls mal leicht bei der Übergabe zum Sportmoderator oder Experten aus dem eigenen Haus eindrehte. Nehmen wir auch die Interviews: Bisher war es so, dass sich die Gesprächspartner nicht in die Augen schauten. Der Zuschauer sah beide nur gleichzeitig im Bild, wenn sie im „Altar“ zu sehen waren, bei dem in einem Ausschnitt der Gesprächspartner und in einem zweiten der Moderator eingeblendet war. Die schauten den Zuschauer an, nicht sich gegenseitig.

Und jetzt?

Jetzt haben wir zwei Möglichkeiten: Haben wir Gäste im Studio, was wir im „heute journal“ öfters machen wollen, kann der Moderator seine Position verlassen, zum Interviewten gehen und sich von Angesicht zu Angesicht mit ihm unterhalten.

Und schalten wir unsere Gesprächspartner, sieht es so aus, als würden wir sie per Beamer auf die Studiokulisse werfen. Dann steht der Moderator dem Politiker, Unternehmer oder Kollegen direkt gegenüber, der ihn wie aus einem Schaufenster ansieht.

Der Vorteil: Wir können mit den Kameras um die Situation herumfahren. Damit können wir Gespräche endlich auch in unseren Nachrichten richtig als Gespräche auflösen. Das war bisher vor allem Talkshows vorbehalten.

Wo ziehen Sie denn Grenzen zur Albernheit: Werden künftig wie bei CNN zur US–Wahl auch Korrespondenten ins Studio „gebeamt“?

So etwas wird es bei uns nicht geben. Und auch unsere 3-D-Animationen werden immer klar als am Computer geschaffene Modelle erkennbar sein. Natürlich könnten wir Hubschrauber im Studio landen lassen, bei denen die Rotoren sogar Schatten über den Moderationstisch und den Moderator werfen, wenn sie sich drehen. Aber wir wollen eines auf keinen Fall: Realität konstruieren. Wir stehen im Gegenteil vor einer Renaissance der seriösen Nachrichtenvermittlung, in der wir modernste Technik nur einsetzen, um verständlicher zu sein.

Tipp

Das komplette Interview mit Elmar Theveßen, in dem er auch über Aktualitäts-Probleme in den sogenannten ARD-Wochen, Herausforderungen für den TV-Nachwuchs und weitere Änderungen im Redaktions-Management spricht, finden Sie auf www.mediummagazin.de in der Rubrik Magazin+

Erschienen in Ausgabe 07+08/2009 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 24 bis 24 Autor/en: Interview: Daniel Bouhs. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.