Was nun?

Demnächst also ist es so weit, nach der Wahl Ende September: Beim ZDF in Mainz steht die Entscheidung über den künftigen alten oder neuen Chefredakteur an (s. Kasten). Zeit, um unabhängig aller parteipolitischen Querelen einen objektiven Blick auf das ZDF-Informationsprogramm zu werfen. Was lief in den knapp zehn Jahren unter Nikolaus Brender gut, was schief? Welche Baustellen sind offen? Eine Bestandsaufnahme.

Magazine & Dokus. Brenders erstes Jahr als Chefredakteur ging mit einem radikalen Schnitt bei den politischen Magazinen einher. Ende 2000 trat die erste „Frontal“-Generation mit Ulrich Kienzle und Bodo Hauser ab; im März 2001 ging das letzte „Kennzeichen D“ für „Deutsches aus Ost und West“ über den Sender.

Auf „Frontal“ folgte „Frontal21“ mit Claus Richter als Redaktionsleiter und Theo Koll als Moderator – ein Volltreffer: Mit seinem Konzept – ein faktenorientiertes Recherchemagazin ohne pseudoreißerische Aufmachung – wurde es zum erfolgreichsten Politmagazin im deutschen Fernsehen. Erst 2008 zog „Panorama“ (ARD) in der Zuschauergunst knapp vorbei. Trotzdem kann „Frontal21“ unverändert als Erfolgsstory gelten.

Warum, so fragt man sich, macht da das ZDF nicht mehr aus dem Ableger „Frontal21 Dokumentation“? Seit drei Jahren produziert die von Claus Richter geführte Redaktion 45-Minüter, die aber bisher nur sporadisch auf Sendung gehen, meist in der Sommerpause. Dann laufen jedoch gute Dokus mit Enthüllungscharakter, zum Beispiel das „Pharma-Kartell“ über die Pillen-Industrie.

Die Schattenseite der Magazin-Sparte bilden die „ZDF.reporter“, die „junge Leute mit mehr Nähe und Authentizität ins Zweite locken“ sollten, wie es zum Start 2001 hieß. Doch statt mit ambionierten Geschichten zu punkten, mutierte das Magazin bald zum Blaulicht-Format – wohl nach dem Motto „Quote statt Qualität“.

Ein ähnliches Schicksal ereilte auch die „ZDF-Reportage“. 1984 mit dem Anspruch auf außergewöhnliche Geschichten gestartet, dient sie heute als Abspielstation für die „ZDF.reporter“, die dafür Beiträge über das „Abenteuer Mallorca“ und Heavy-Metal-Festivals auf 30-minütige Reportagen strecken. Wie anders das laufen könnte, zeigt die qualitativ hochwertige und erfolgreiche WDR-Reihe „die story“ – die einst übrigens unter Nikolaus Brender entstanden ist.

Dabei kann das ZDF durchaus Qualitätsjournalismus vorzeigen. Sie versteckt ihn nur allzu oft in der Nacht. Beispielsweise lief im Sommer der wichtige Film „Neue braune Welle“ über die Jugendaktivitäten der Neonazis erst um 0.35 Uhr zu nachtschlafender Zeit. Wer da argumentiert, Digitalkanäle und Mediatheken böten eine „zeitsouveräne Nutzung“, muss sich fragen lassen: Nimmt das ZDF sein Hauptprogramm nicht mehr ernst?

Auslandsberichterstattung. Einst ein Renommierfeld des ZDF, heute eine Baustelle: 2008 kam es gar zum Eklat, als mehrere erfahrene Auslandskorrespondenten – von Alexander von Sobeck, Uwe Kröger über Karin Storch und allen voran Ulrich Tilgner – öffentlich eine Entpolitisierung in den eigenen Sendungungen und ein Desinte- resse an Auslandsthemen jenseits der Schlagzeilen-Aktualität kritisierten. Hinzu kommt: Das „Auslandsjournal“, einst Fixpunkt im Freitagabendprogramm, sei so oft hin und her geschoben worden, bis es auf dem 22.45-Platz am Mittwoch gelandet, auf 30 Minuten geschrumpft und fast nicht mehr auffindbar sei.

Immerhin: Die Kritik hat gewirkt. Interne Gesprächsrunden zwischen Chefredaktion und Korrespondenten halfen, die Wogen zu glätten. Und seit Anfang 2009 Theo Koll Chef der ZDF-Außenpolitik und des „Auslandsjournal“ wurde, scheint der Themenbereich wieder an Wert zu gewinnen. Zuletzt liefen mehrere „Auslandsjournal extra“, teils auf 60 Minuten ausgedehnte Dossiers, etwa über die Wahl in Afghanistan.

Nachrichten. Trotz Publikumsliebling Claus Kleber: Bei den Nachrichten herrscht im ZDF enormer Handlungsbedarf. Die „heute“ verlor im Jahresschnitt seit 2000 gut 900.000 Zuschauer (auf 3,96 Millionen) – deutlich mehr Verluste als „RTL-aktuell“. Dreht der Trend nicht um, wird „heute“ 2009 erstmals weniger Zuschauer haben als „RTL-aktuell“, bei den Marktanteilen zur Sendezeit (statt totalen Zuschauerzahlen) hat RTL schon die Nase vorn.

Das neue 30 Millionen teure Studio (s. a. MM 7/09) ist ein wichtiger Schritt für den Sender ins digitale Zeitalter. Die Erwartungen an die neuen Möglichkeiten waren groß. Das Ergebnis bleibt aber weit dahinter zurück: Die „heute“ setzt allzu oft auf technikverliebte Show statt Inhalt. Für so manche Anfangshürde ist Brender zwar nur bedingt in die Pflicht zu nehmen, für einen Dauerflop wäre er das indes sehr wohl.

Boulevard. Inzwischen haben Infotainment und Boulevard täglich mehr als eine Stunde Anteil am ZDF-Programm. Auch diese Informationsschiene im ZDF fällt unter Brenders Verantwortung. „Leute heute“ kommt zwar noch als harmlose Unterhaltung daher. Das als ambitioniertes Ländermagazin gestartete „hallo Deutschland“ ist jedoch zu einer Kopie von RTL-„Explosiv“ verkommen. Ein Trend, der auch das aktuelle Mittagsmagazin, die „Drehscheibe“, erfasst hat, wo Sensation offenbar mehr als Information gilt. Und in der Sportberichterstattung macht die ARD mit ihrem Doping-Rechercheteam dem ZDF vor, wie öffentlich-rechtlicher Qualitätsjournalismus aussehen kann.

Statt mit diesem Kurs zu konkurrieren, setzt das ZDF lieber dem schicksals- und unfallträchtigen ARD-Boulevard-Magazin „Brisant“ Gleiches entgegen – zur parallelen Sendezeit. Nun laufen auf beiden Kanälen mitunter gleichzeitig dieselben Bilder, die teils bei RTL oder der TV-Tochter von „Bild“ gekauft wurden. Das lässt das ZDF nicht gut aussehen.

Führung. „Brender lässt sich von niemandem einvernehmen. Er hält Distanz und macht sich nicht gemein“, lobte ihn die Jury des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises, als sie ihn in diesem Jahr auszeichnete. Und das ist zweifellos sein größter Verdienst: der Widerstand gegen den Parteienfilz. 2000, als ihn der damals SPD-dominierte Verwaltungsrat holte, war noch von einer Karriere auf Parteiticket die Rede. Tatsächlich aber weigerte sich Brender stets, mit Gremien zu paktieren. Beispielhaft seine Anweisung, Beschwerden nur schriftlich entgegenzunehmen.

Im Sender zeigte er sich als ein Mann mit Rückgrat. Öffentlich wurde das zum Beispiel, als er sich gegen die Werbeverträge von Johannes B. Kerner aussprach und auch dagegen, dass Maybritt Illner eine Runde zum Telekom-Spitzelskandal moderierte xx xxx xxxx xxxxxxx x xxxxxxxxxxxx xxx xxxx xxxxxxx xxxxxxxxxxxxx x xxxxxx xxxxxx. Das Problem: Illner moderierte die Runde trotzdem. Warum, so fragt man sich, hat sich der ZDF-Chefredakteur da nicht durchgesetzt? Schließlich fällt ihr Talk auch in Brenders Verantwortungsbereich – anders als der Talk von Kerner (heute Markus Lanz), der Programmdirektor und Unterhaltungs-Chef Thomas Bellut untersteht. Brender sorgte zwar dafür, dass Werbestar Kerner nicht mehr das „Sportstudio“ moderierte, für Fußball-Spiele und Olympia verhinderte er das aber nicht. Ebenso wenig verhinderte er das immer populärere „Outsourcing“ erfolgreicher Moderatoren wie bei Claus Kleber, der vom angestellten „heute-journal“-Chef zum hochdotierten freien „Ersten Moderator“ mutierte.

Fazit. Nikolaus Brender hat seinen eigenen, oft proklamierten Qualitätsanspruch im Programm bisher nicht ausreichend realisiert. Statt Autorenfernsehen herrscht ein Trend zum Mainstreamfernsehen, das sich an Quote orientiert, nicht anders als im Privaten. Wer allerdings die Verantwortung dafür allein dem Chefredakteur zuschreiben will, tut ihm Unrecht. Seine Freiheit im hierarchiestarren und intrigenstarken ZDF-System ist lä
ngst nicht so groß, wie er und andere sich das vielleicht wünschen. Der politischen Unabhängigkeit des Programms hat er zweifellos entscheidend gedient. Gleichwohl zwingt ihn keiner, das Programm zu „privatisieren“ statt deutlichere journalistische Akzente zu setzen. Das würde auch die Argumente der Kritiker zunichte machen. Dass er das sehr wohl kann, hat er oft genug bewiesen.

Erschienen in Ausgabe 09/2009 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 24 bis 24 Autor/en: Daniel Bouhs. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.