Blasen und Phrasen

„Print und Online müssen zusammenwachsen!“

Beziehungsweise: sind zusammengewachsen. Der fortschrittliche Phraseur, wenn wir uns diese nicht ganz dudenfeste Wortschöpfung hier mal kurz erlauben dürfen, redet in puncto On- Offline-Konvergenz schon längst nicht mehr im Futur, sondern im Präteritum. Print und Online sind doch längst zusammengewachsen, Mensch! Jedenfalls verbal. Auch wenn sich in den eigenen Redaktionsstuben zwischen Print-Redakteuren und „den Onlinern“ noch Wälle auftürmen, gegen die die Berliner Mauer wie ein Gartenzaun gewirkt hätte – es gilt das gesprochene Wort. Und wenn der Boss behauptet, dass da etwas zusammengewachsen ist, dann ist das auch so. Gerne genommen wird die Phrase, wenn eines der beiden Felder augenscheinlich schwächelt oder scheinbar gar nicht vorhanden ist. Print und Online sind doch längst zusammengewachsen! Das Ausrufezeichen ist dabei stets mitzudenken bzw. in der Autorisierung reinzuredigieren. Das illustriert den heiligen Zorn des Phrasen-Kings vor der unwürdigen und offensichtlich inkompetenten Nachfragerei.

„Das greift zu kurz …“

Und wenn der freche Fragen-Mann dann denkt, er hätte einen besonders cleveren Punkt gelandet, zaubert man mir nichts dir nichts diese Phrase aus dem Schatzkästlein, die den Knilch dann ganz schnell wieder dastehen lässt, wie einen dummen August. Egal, auf welchen wunden Punkt der Finger gelegt wurde und wie sehr es wehtut … einfach knapp und kaltschnäuzig kontern: „Das greift zu kurz …“ Das hat diesen leicht ins Arrogante changierenden Von-Oben-Herab-Tonfall, ohne aber zu sehr ins Böse-Bubenhafte abzudriften. Es ist vielmehr so, dass der Interviewte hier mal kurz klarstellt, wer eigentlich den Über- und Durchblick hat, ja nur haben kann. Nachdem diese Phrase wirkungsvoll platziert wurde, befindet sich das Gegenüber meist in einer Art akuter Schockstarre. Und während der Fragesteller im Kopf schon seinen Fragenkatalog nach dem passenden Paroli durchrattern lässt, kann man selbst genüsslich die Welt- und Geschäftslage nach der eigenen Façon ausbreiten.

„Wir sprechen mit allen …“

Und zwar wirklich „mit allen“. Mit allen Marktteilnehmern, Konkurrenten, Übernahmekandidaten, Bewerbern und was da sonst noch kreucht und fleucht in der weiten Business-Welt. Diese Frage gehört zum Standard-Repertoire, wenn konkrete Personal-, Übernahme- oder Kooperationsspekulationen abgefragt werden. „Stimmt es, dass Sie Gespräche mit xy geführt haben?“ Was für eine wunderbare Vorlage! „Wissen Sie, in einer Krisensituation wie der jetzigen sprechen wir selbstverständlich (!) mit allen Kandidaten/Marktteilnehmern/Verlagen/Zulieferern.“ Das eingefügte „selbstverständlich“ signalisiert, dass es geradezu eine verdammte Pflicht ist, das zu tun. Das Schöne an dieser Phrase: Alles bleibt im Wolkig-Ungefähren hängen. Kann sein, dass man mit den angesprochenen Leuten spricht, kann auch nicht sein, vielleicht ja mit jemand ganz anderem oder gar keinem, wer weiß das schon. Wer solche verbale Pirouetten zu drehen imstande ist, der tanzt seinem Gesprächspartner fürwahr auf der Nase herum und kann sprachlich auf mancher Glatze Locken drehen.

„Strukturkrise, Strukturanpassungen, Strukturanpassungsmaßnahmen“

Ganz Recht, es handelt sich um eine Steigerungsform. Zuerst kommt die Strukturkrise. Dies Wort taugt zu allerlei geschwollenem, aufgeblähten Dahergeschwätz. „Meine Herren, sie verkennen, dass es sich hierbei nicht nur um einer Konjunkturdelle handelt, sondern um eine ausgewachsene Strukturkrise …“ Oho, da hat aber einer VWL studiert. Nachdem die Strukturkrise schulbuchmäßig diagnostiziert wurde, folgt die Behandlung in Form von Entlassungen, Stilllegungen und Auslagerungen. Äh, wir meinen natürlich: Strukturanpassungen. Kann ja keiner was dafür, dass sich die Strukturen ändern und der Manager hätte ja versagt, wenn er versäumen würde, selbige dem Lauf der Zeit und der Dinge anzupassen. Den Gipfel von Mount Blähsprache erklimmen wir dann mit den Strukturanpassungsmaßnahmen. Ein Wort-Ungetüm im schlimmsten Bürokratendeutsch. So riesenhaft sperrig, dass man es kaum unfallfrei in den Mund bekommt. Aber wer es schafft, kann dahinter alle möglichen unangenehmen Dinge sprachlich unter den Teppich kehren.

Erschienen in Ausgabe 10+11/2009 in der Rubrik „Service“ auf Seite 73 bis 73. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.