„Raus aus der Komfortzone“

Nach mehreren Sparrunden beim Mittelrheinischen Verlag stehen diesmal strategische und inhaltliche Überlegungen im Vordergrund. Was wird der Umbau der Rheinzeitung zu einem Multimediahaus kosten?

Thomas Rochel: Die Strategie ist kostenneutral. Durch die Zentralisierung der Fertigung – nicht der Produktion von Inhalten – mit den technischen Möglichkeiten des Internets sparen wir Geld und können damit Neuerungen wie Web 2.0-Projekte finanzieren. Es wäre heute gar nicht denkbar, auf der Kostenseite etwas draufzulegen, denn die Werbeerlöse und Auflagenhöhen der vergangenen Jahre werden sich nie wieder einstellen. Bei Print könnten wir eventuell noch mit Preiserhöhungen reagieren, weil die „Rheinzeitung“ mit einem monatlichen Abopreis von 23,90 Euro zu den preiswerteren Tageszeitungen in Deutschland gehört. Aber das Potenzial ist endlich.

Welchen Stellenwert sollen Web 2.0-Projekte wie Blogs, Twitter, WKW etc. künftig für die „Rheinzeitung“ haben?

Das kommt darauf an, wie man Stellenwert definiert. Monetär betrachtet hat das Web 2.0 keinen unmittelbaren Stellenwert. Wenn man es unter dem Aspekt sieht, zusätzliche Zielgruppen anzusprechen, dann hat es einen hohen Stellenwert. Am Ende wird es wahrscheinlich Substanz bringen. Mit der Tageszeitung erreichen wir die Zielgruppe, die twittert, überhaupt nicht. Das Gleiche gilt für andere soziale Netzwerke wie StudiVZ oder Facebook etc. In diesen Netzwerken können wir uns als Zeitung imagemäßig positionieren. Wir haben die Chance, die- se Zielgruppen später auch für ein Zeitungsabonnement zu gewinnen oder für eine zukünftige Monetarisierung dieser neuen Inhalte im Netz. Dabei planen wir aber in einem sehr langen Zeitraum von fünf bis 15 Jahren.

Nach 20 Jahren Druckvorstufe in den Redaktionen kommt jetzt die Kehrtwende um 180 Grad – die Aufgabentrennung zwischen Reportern und Zentralredakteuren. Inwiefern ist das eine Maßnahme zur Qualitätssteigerung?

Es ist die Voraussetzung, um aus einem Zeitungshaus ein Medienhaus zu machen. Wenn ich den Redakteur am PC einsperre, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass er relevante Inhalte aus der Region liefert, relativ gering. Er wird sich im Wesentlichen damit beschäftigen, seine Seiten fertig- zustellen. Wenn aber der Lokalreporter selbst die Inhalte sucht, die uns die Zukunft sichern, dann sorgt das automatisch für Qualität. Und wahrscheinlich auch dafür, dass er die Inhalte auch für andere Kanäle erschließen kann – Audio, Video und Online, was dann allerdings zentral technisch umgesetzt wird. Dann gibt es noch einen zweiten Aspekt: Um publizistisch sicherzustellen, dass das Blatt inhaltlich, strukturell und optisch eine durchgehende Qualität hat, reicht es nicht, wenn die Blattmacher die Seiten erst spätabends am Computerbildschirm sehen. Das ist nun anders: die Blattmacher in der Zentalredaktion haben die publizistische Hoheit über das, was am nächsten Tag erscheint. Und zwar in jeder Form: in Online, Twitter, sozialen Netzen und natürlich auch in Print.

Können Sie verstehen, wenn manche Redakteure auch hinter der neuen Umstrukturierung eine erneute Sparmaßnahme vermuten?

Natürlich kann ich das verstehen. Die Redakteure sollen jetzt raus der Komfortzone, also raus aus den Redaktionsstuben, weg von den PCs und draußen für die richtigen Inhalte sorgen. Das ist natürlich ein Angstmacher: Man nimmt mir die Seite und den geregelten Arbeitsablauf weg. Das, was man früher als Redakteur eigentlich nicht wollte, will man nun wiederum nicht hergeben. Der Grad der Eigenverantwortung war bisher nicht so hoch. Früher wusste ein Redakteur: Ich komme morgens in die Redaktion und muss die Lokalseiten 2 bis 4 bauen und wenn die 4 fertig ist, kann ich heimgehen. Jetzt haben wir eine völlig andere Situation.

Wie begegnen Sie dem Misstrauen?

Gespräche, Gespräche und nochmals Gespräche führen. Überzeugungsarbeit leisten. Das gelingt in den meisten Fällen, aber natürlich nicht durchgängig.

Was bedeutet das für diejenigen, die nicht mitziehen wollen?

Eine Verweigerungshaltung treffen wir bisher nicht an. In konkreten Einzelfällen müsste man die Frage stellen, ob man am Ende noch zusammen-arbeiten will. Wir üben dabei keinen Druck aus. Aber wir lassen uns natürlich nicht von unserem strategischen Kurs abbringen.

Erschienen in Ausgabe 10+11/2009 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 33 bis 33 Autor/en: Interview: Ulrike Langer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.