Wie Zeitungen sich neu erfinden – und wer dahinter steckt

Eine Relaunch-Welle hat zahlreiche Blätter erfasst, große wie kleine. Von der Nordsee bis zu den Alpen erscheinen zurzeit Zeitungen in neuer Aufmachung, bauen ihre Redaktionen um, ändern ihre Workflows und basteln am eigenen Profil. Auf der Suche nach neuen Lesern verabschieden sich Blattmacher und Verlage von alten Traditionen und versuchen, sich auf eine neue Zeit einzustellen. Selbst die 230-jährige „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) ließ ihr Layout umbauen, vornehm vorsichtig versteht sich, und holte sich Designer Mike Meiré ins Haus; jenen Profi, der die Optik von „Brand Eins“ prägte. Der vergrößerte den Zeilenabstand, ließ Texte in fünf Spalten fließen (außer im Feuilleton) und gab Grafiken und Fotos mehr Raum. „Wir sind überzeugt, die „NZZ“ in einem wirtschaftlich schwierigen Umfeld weiter zu stärken“, so Chefredakteur Markus Spillmann (42). Er benennt damit, was viele Blätter zur Renovierung treibt – die Marktlage, der Leser- und Anzeigenschwund.

Wenn es jedoch bei der Relaunch-Welle auch etwas Inhaltliches gibt, das die Blätter gemein haben, dann ist es die Konzentration auf den eigenen Markenkern – oder zumindest die Suche nach ihm.

Deutlich weiter als die „NZZ“ geht Bernd Ziesemer mit dem „Handelsblatt“ (HB) ab November. Einen Komplett-Relaunch aller Kanäle verspricht Online-Chefredakteur Sven Scheffler (38). Zeitung, Website und mobile Angebote werden ab November in neuem Format (Tabloid) und neuer Optik erscheinen. Er hofft damit auch, die Besucherzahlen auf der Website von monatlich neun bis zehn Millionen zu steigern. Scheffler spricht von „einer klaren Wachstumsstrategie bei der Reichweite“, bereits im vergangenen Jahr legte seine Seite bei den Visits um mehr als 30 Prozent zu. Aber: „Unsere Reichweite wird nicht in den Himmel wachsen.“ Vielmehr setze das HB auf eine „spitze Ausrichtung“: Konzentration auf Unternehmens- und Finanzberichterstattung, mehr Meinung und Analyse, auch online. Neue Wege geht das „HB“ mit einem reinen Online-Abo, das etwa zehn Euro pro Woche kosten wird, wenn man nicht schon die Zeitung abonniert hat.

Regionale Zeitungsmacher, die ihre Blätter ebenfalls renovieren, wie Jost Lübben, (45) Chefredakteur der „Nordsee-Zeitung“ (NZ), und Bodo Zapp (65), in gleicher Funktion bei der „Westfalenpost“ (WP), nennen ihr Konzept „Heimatzeitung“ – mehr Nachrichten aus der Nachbarschaft, Service, Lesermeinung. Und ein zielgenauerer Zuschnitt der Ausgaben auf ihre jeweiligen Verbreitungsgebiete. „Wir setzen in der Berichterstattung zwar auch überregionale Akzente, sehen uns jedoch nicht als Zeitung, die in der überregionalen Liga einen vorderen Platz anstrebt“, sagt Zapp. Also habe man sich auf die eigene Stärke konzentriert: das Lokale. „Auch auf dem Titel hat Regionales jetzt Vorrang vor der großen Welt“ sagt Zapp, „das setzt sich im Blatt fort“. Statt wie bisher klassische vier Bücher ist die „WP“ Ende September umgestellt worden auf nur noch zwei, einen Mantel- und einen Lokalteil, der Gesamtumfang sei jedoch nicht reduziert worden. Neu ist zum Beispiel die täglichen Seite „In der Nachbarschaft“ im lokalen Buch, mit Infos über Veranstaltungen und Entwicklungen in der Umgebung, die den individuellen Interessen der Leserschaft in Orten wie Hagen, Olpe, Brilon und Bad Berleburg angepasst werden sollen. Mit seinem Konzept hat es Zapp schon mal geschafft, die WAZ-Oberen zu überzeugen: Die „WP“ ist die einzige NRW-Zeitung im Konzern, die eine eigene Mantelredaktion behält, dazu kommen nun zwei Regionaldesks. Nur Online darf auch die „WP“ keine eigenen Wege gehen, sie bleibt Teil des Portals „Der Westen“.

„Wir machen das nicht, um Arbeitsplätze wegzurationalisieren, uns geht es um mehr Qualität. Wir arbeiten in der gleichen Mannschaftsstärke von etwa 40 Redakteuren weiter“, sagt Lübben, dessen „NZ“ seit Anfang Oktober deutlich luftiger daherkommt; gestaltet hat die neue Optik Peter Johansmeier aus Dortmund. Von der klassischen Ressort-Organisation hat er sich verabschiedet und auch bei der „NZ“ das Newsdesk-Prinzip eingeführt – und damit einen Pool von 24 Reportern, die mehr Zeit haben sollen, um Geschichten aus der Region einzusammeln.

Über Personalplanung will Peter Pauls (56) vom „Kölner Stadtanzeiger“ nicht so gerne reden, in der heutigen Zeit könne man nichts versprechen. Man müsse vernünftig wirtschaften. Er verweist auf die Schwester aus dem DuMont-Verlag: „Bei der „Frankfurter Rundschau“ konnte man sehen, was passiert, wenn man die Dinge über Jahrzehnte schleifen lässt.“ Er hat sein Blatt jetzt „optisch aufgerüstet“, wie er sagt, neue Schrift, mehr Weißraum. Demnächst will er auch die eigene Meinungsseite abschaffen, und stattdessen die Kommentare direkt neben den Artikeln platzieren, zu denen sie thematisch gehören. Für die Renovierung hat er die Berliner Agentur „KircherBurkhardt“ engagiert, die schon „Stuttgarter Zeitung“ und die „Weltwoche“ aufhübschte. Eine positive Zwischenbilanz zieht Pauls, was die Zusammenarbeit mit den anderen Zeitungen des Verlags angeht: Vom „Syndication-Modell profitieren alle“, sagt Pauls. So sei es beispielsweise gelungen, eine Reportage des Ex-Abgeordneten und Afghanistankriegskritikers Jürgen Todenhöfer zu bekommen, weil man dem Autoren mehrere Abspielflächen anbieten konnte. Dass er und seine Kollegen sich mit den Relaunches für die eigene Beerdigung schönmachen, hält Pauls für Unsinn, an das Zeitungssterben glaubt er nicht: „Das Geschäftsmodell Zeitung funktioniert nach wie vor. Es lässt sich eine Menge Geld verdienen.“ otr

TIPP: Die neuen (und zum Vergleich alten) Seiten der genannten Zeitungen sind zu besichtigen unter www.mediummagazin.de,

Rubrik Bilder

Erschienen in Ausgabe 10+11/2009 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 11 bis 11. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.