Zeitung für das dritte Jahrtausend

21 angehende Journalisten und Journalistinnen im Alter zwischen 23 und 25 Jahren, die im 7. Semester Online-Journalismus an der Hochschule Darmstadt studieren, haben sich ein halbes Jahr lang mit der Frage beschäftigt: Wie sollte die Zeitung der Zukunft aussehen? Das Ergebnis: Ein eigener, gedruckter Entwurf für eine Zeitung, die sie „Qube“ nannten (s. a. Die ePaper-version unter ww.mediummagazin.de) und neun Thesen zum Konzept, die Martin Hoffmann hier stellvertretend für die Guppe vorstellt:

1. Schluss mit dem Aktualitäts-Zwang: Drei Mal Tageszeitung pro Woche reicht!

Die Zeitung der Zukunft wird nicht mehr an jedem Wochentag erscheinen. Denn bei der täglichen Aktualitäts-Hatz kann das Trägermedium Papier gegenüber dem Internet nur den Kürzeren ziehen. Darum wird der Erscheinungsrhythmus der Zeitung auf drei Ausgaben pro Woche reduziert. So bleibt der Redaktion mehr Zeit, aktuelle Themen aus ungewöhnlichen Perspektiven zu beleuchten und dem Leser so einen hohen Mehrwert gegenüber dem herkömmlichen Nachrichtenüberblick zu liefern, der heute immer noch den größten Platz in den allermeisten Tageszeitungen einnimmt.

2. Das alte Rubriken-Konzept wird aufgelöst: Qube ist eine Zeitung der Themen

Die klassischen Ressorts wie Politik, Wirtschaft oder Feuilleton sind nicht mehr zeitgemäß. In unserer komplex vernetzten Welt hat alles mit allem zu tun. Qube verabschiedet sich von traditionellen Rubriken und wird zu einer Zeitung der Themen. Ressortübergreifend werden diese aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet. Um traditionelle Nutzungsgewohnheiten der Leser nicht vollkommen zu ignorieren, wird Qube an jedem seiner drei Erscheinungstage mit einer Zusatzrubrik (Wirtschaft, Sport/Lifestyle, Kultur) veröffentlicht. Mit dem „Thema des Tages“, das sich nicht zwingend am aktuellen Tagesgeschehen orientiert, gibt es außerdem die Möglichkeit, auch Themen abseits des Mainstreams aufzugreifen.

3. Nordisches Format oder Tabloid: Weder, noch!

„Frankfurter Rundschau“ und „Handelsblatt“ haben es vorgemacht: Das alte Nordische Format (40 x 57 cm), in dem viele Zeitungen in Deutschland traditionell gedruckt werden, ist auf dem Rückzug. Aber auch das Tabloid-Format (28,5 x 40 cm) ist für die neue Generation der Zeitungsleser noch zu unpraktisch. Stattdessen hat Qube gefaltet ein Format von 24 x 48 Zentimeter. Durch die um 16 bzw. 4,5 cm geringere Breite wird Qube für die junge, mobile Zielgruppe noch attraktiver. Denn nicht die Höhe, sondern die Breite einer Zeitung behindert den Sitznachbarn in Bus und Bahn. Die Entscheidung für das kleinere Format folgt dabei auch einem internationalen Trend, der sich in den skandinavischen Ländern bereits etabliert hat. Ganz nebenbei korrespondiert die quadratische Blattform auch hervorragend mit dem Zeitungstitel.

4. Segeln unter einer Flagge: Online und Print ergänzen sich komplementär

Ein Leben ohne Internet ist für die meisten Menschen schon heute unvorstellbar. Umso wichtiger, dass diese Erkenntnis auch in den Redaktionen und Verlagen Einzug hält. Dabei geht es für die Journalisten aber nicht darum, von Geschäftsführern oder Verlegern diktierte Maßnahmen nur widerwillig umzusetzen. Vielmehr bedarf es eines grundlegenden Mentalitätswechsels. Denn Online und Print sind keine Gegner, sondern Verbündete!

Für „Qube“ gilt: Die Inhalte der Print-Ausgabe erscheinen überhaupt nicht (!) online. Denn den Markenkern bildet die gedruckte Zeitung. Im Web finden sich neben der Community aktuelle und ergänzende Informationen zu den Themen der Print-Ausgabe. Es braucht keinen hundertsten Online-Nachrichtenaggregator, der lediglich die immer gleichen Ticker-Meldungen von dpa & Co. veröffentlicht.

Auch die Frage, ob für die Online-Version von Qube Geld verlangt werden sollte, stellt sich nicht: Auf der Website gibt es keine Texte, für die bezahlt werden muss. Denn die Haupteinnahme-Quelle liegt in der Print-Ausgabe, die durch die hohe Exklusivität gezielt verknappt und möglichst „begehrt“ gemacht werden soll. Zwar ist uns als Onlinern diese Entscheidung nicht leicht gefallen, sie wurde durchaus kontrovers diskutiert. Aber in Zeiten des Umbruchs wird nur der Mutige belohnt.

5. Keine Hierarchien: Die Leser sind der Redaktion ebenbürtig

Egal, ob Gastbeiträge, Kommentare, Umfragen oder Fotos: Qube bezieht seine Leser und die Nutzer der Online-Community direkt in die Gestaltung der Zeitung ein. Der viel zitierte Bürgerjournalist wird ernst genommen und als gleichwertiger Partner akzeptiert. Denn es gibt für nahezu jedes Thema, das in einer Zeitung behandelt wird, unter den Lesern mindestens einen, der zu einer qualitativen Verbesserung der Inhalte beitragen kann. Warum sollte man diese potenziell riesige Wissensquelle nicht nutzen? Crowdsourcing à la „Guardian“ oder Wikipedia und Beiträge von Bloggern oder Gastautoren können modernem Print-Journalismus nur gut tun.

6. Mehr Transparenz wagen: Wir stehen zu unseren Fehlern und Quellen

Trotz allen Bemühens: Irren ist menschlich und Fehler kommen auch in Qualitätszeitungen vor. Anders als im angelsächsischen Raum, wo sich zum Beispiel das Blog „The Editors“ der BBC großer Beliebtheit erfreut, werden diese Fehler in Deutschland aber noch viel zu oft unter den Teppich gekehrt. Hier ist ein Umdenken erforderlich: Falschinformationen müssen so schnell und so transparent wie möglich richtiggestellt werden. Die Glaubwürdigkeit wird in Zukunft zu einem der wichtigsten Pfunde einer Medienmarke. Zur redaktionellen Arbeit von Qube gehört daher auch ein offener Umgang mit Quellen – ein weiterer Mosaikstein, um die Credibility zu stärken.

7. Meinung, Meinung, Meinung: Wir beziehen Stellung

Das Aufkommen von Blogs und Social Networks hat zu einem Aufblühen des Meinungs-Journalismus im Web geführt. Daran sollte sich auch die Zeitung der Zukunft ein Beispiel nehmen. Der trockene, nachrichtenartige Stil, der bis heute in vielen Zeitungen vorherrscht, hat keine Zukunft. Qube bezieht daher eindeutig Stellung und scheut sich auch nicht davor, unpopuläre Meinungen zu vertreten. Es ist tausendmal besser, ein Leser reibt sich an einem Text, als dass er ihn ignoriert.

8. Orientierung erleichtern: Den Überblick behalten dank guter Usability und Tagging

Qube versucht, die Nutzungsgewohnheiten, die sich viele Leser im Web angeeignet haben, auf das Printprodukt zu übertragen. Ob Tagging in der Titelzeile oder der schnelle Nachrichtenüberblick, wie ihn z. B. auch das „Handelsblatt“ seit seinem Relaunch auf der letzten Seite bietet – wichtig ist, dass der Qube-Leser sich schnell einen Überblick verschaffen kann, worum es in der Zeitung bzw. dem jeweiligen Artikel überhaupt geht. Verstärkt wird dieser Effekt durch die gute Usability des Blattes, die den Leser beinahe automatisch über die einzelnen Seiten leitet. Denn in der Aufmerksamkeitsökonomie unserer Gegenwart zählt jede Sekunde.

9. Slams, Mash-Ups, Graphic Novels: Wir schaffen Platz für Nischenkulturen

Die Gesellschaft zersplittert sich immer mehr und dieser Entwicklung muss auch die Zeitung von morgen Rechnung tragen. In den Weiten des World Wide Web gibt es so ziemlich alles für jeden. Alle Interessen – und seien sie noch so abwegig – werden abgedeckt. Es ist natürlich utopisch, zu versuchen, diese dem Netz eigene Vielfalt auch in einem Printprodukt widerzuspiegeln. Nichtsdestotrotz muss die Zeitung der Zukunft versuchen, auch über die neuen Nischenkulturen der Gesellschaft zu berichten. Von Graphic Novels über Mashups bis hin zu Slams bietet das Internet genug Inspiration und Themen, um Millionen von Zeitungsseiten zu füllen. Ziel ist, die Perlen herauszupicken und ihnen im Blatt eine Bühne zu geben. Auch um den Leser über den eigenen Horizont hinausblicken zu lassen.

Linktipp:

Das vollständige „Qube – Zeitung für das dritte Jahrtausend“ ist komplett als ePaper anzuschauen unter www.mediummag
azin.de

Erschienen in Ausgabe 12/2009 in der Rubrik „Special“ auf Seite 40 bis 41 Autor/en: Martin Hoffmann. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.