Das „Azubi“-Projekt

Projekte wie „Schüler lesen Zeitung“ gibt es seit langem. Warum haben Sie sich nun mit den Partnerzeitungen zum Projekt „Zeitung lesen macht Azubis fit“ zusammengeschlossen?

Friedrich Roeingh: „Schüler lesen Zeitung“ verfolgt das Ziel, Kinder und Jugendliche zu einem Zeitpunkt mit der Zeitung vertraut zu machen, in dem sich ihr Medienverhalten ausprägt. Unter diesem Aspekt ist „Zeitung in der Grundschule“ noch wichtiger als das Mittelstufenprojekt. Die Dritt- und Viertklässler lassen sich für das angeblich so langweilige Medium Zeitung nämlich regelrecht begeistern. Das Azubi-Projekt ist dagegen nicht nur Gattungswerbung. „Zeitung lesen macht Azubis fit“ ist vielmehr der Versuch, durch regelmäßige Zeitungslektüre konkrete Bildungsdefizite auszugleichen, die heute fast alle Arbeitgeber bei ihren Azubis feststellen.

Worin unterscheidet sich das Azubi-Projekt von den Schüler-Projekten?

Die Schüler bekommen die Zeitung in der Regel für vier bis acht Wochen ins Klassenzimmer. Sie arbeiten dann im Unterricht mit der Zeitung. Die Azubis dagegen sollen regelrechte Zeitungsleser werden. Sie bekommen die Lokalzeitung für ein Jahr nachhause geschickt. Der Schlüssel des Erfolgs liegt in einem 14-tägigen Quiz, den die Universität Koblenz-Landau den Azubis über ihre Ausbilder zustellt. Dort wird das Wissen zu aktuellen Themen abgefragt. Die Ergebnisse gehen vor dem nächsten Quiz an die Azubis und ihre Ausbilder zurück. Da sich niemand bei seinem Arbeitgeber blamieren möchte, führt dieser Mechanismus dazu, dass die Azubis zu intensiven Zeitungslesern werden.

Die Urheberin des Azubi-Projekts war 2006 die „Rheinpfalz“. Inwieweit übernehmen die anderen Zeitungen deren Konzept?

In den Grundzügen haben wir das Konzept dieses Erfolgsprojekts übernommen, inklusive der Betreuung und der wissenschaftlichen Begleitung durch die Universität Koblenz-Landau. Das Konzept wird insofern angepasst, als jede Zeitung ihre eigenen Akquise-Unterlagen und auch das Rahmenprogramm eigenständig gestaltet. Das Quiz wird zudem jedes Mal mit lokalen und regionalen Fragen aus dem Verbreitungsgebiet der Zeitung angereichert.

Wie ist das Gemeinschaftsprojekt organisiert?

Der Verband der Zeitungsverleger in Rheinland-Pfalz und Saarland hat die Federführung übernommen. Er koordiniert das Gesamtprojekt. Die Chefredakteure und Vertriebschefs tauschen sich in eigenständigen Zirkeln zur Weiterentwicklung des Projekts miteinander aus.

Was muss eine teilnehmende Redaktion dafür bereitstellen?

Die Chefredaktionen sind über die jeweiligen Verlagszirkel in den Fortgang und die Weiterentwicklung des Projekts eingebunden. Die Zusammenstellung, Aussendung und Auswertung des Quiz übernimmt die Universität Koblenz-Landau als Dienstleister. Die Redaktionen begleiten das Projekt vor allem über die Darstellung im eigenen Blatt. Wir leisten diese Begleitung ohne zusätzliche Mittel.

Wie funktioniert die Akquise der teilnehmenden Betriebe? Welche Hürden gibt es?

Die Akquise verursacht den höchsten Aufwand im Projekt. Während die Vertriebsabteilung die telefonische Ansprache einsetzt, sprechen Geschäftsleitung, Chefredaktion und auch die Anzeigenleitung gezielt Unternehmen in der Region an. Wir haben gelernt, dass immer die Unternehmenschefs persönlich angesprochen werden müssen, die von der Idee des Projekts dann häufig begeistert sind. Die Personalabteilungen und die Ausbilder reagieren dagegen zuweilen zurückhaltender, weil sie zusätzlichen Aufwand durch das Projekt auf sich zukommen sehen.

Das Projekt wird seit den ersten Veranstaltungen der „Rheinpfalz“ wissenschaftlich begleitet. Wie werden die Erfahrungen mit den Auszubildenden dokumentiert? Wie schlägt sich das redaktionell nieder?

Die Universität Koblenz-Landau überprüft jedes Jahr den Erfolg des Projekts aufs Neue. Dazu wird allen teilnehmenden Auszubildenden zu Beginn des Projekts und nach knapp einem Jahr ein anerkannter Test zur Allgemeinbildung vorgelegt. Diese Tests werden ebenfalls mit einer Referenzgruppe von Berufsschülern durchgeführt, die nicht am Projekt teilnimmt. Die Ergebnisse sind bisher in jedem Jahr signifikant positiv. Die Teilnehmer an dem Projekt steigern ihr Allgemeinwissen und vor allem auch ihr regionales Wissen um rund zehn Prozentpunkte, während die anderen Berufsschüler in der Regel auf dem gleichen Level verharren. Zudem bestätigen uns die Ausbilder immer wieder, dass die jungen Männer und Frauen auf dem Weg dorthin auch ihre Lese- und Sprachkompetenz deutlich verbessern. Davon profitieren die Unternehmen am stärksten. Im Blatt berichten wir offensiv über das Projekt. Denn wir sind sicher, dass unsere Leser diese Form von Engagement würdigen.

Wie vermeiden Sie denn eine redaktionelle „Schere im Kopf“, wenn es über einen teilnehmenden Azubi-Betrieb – der sich von der Kooperation ja auch sicher positive PR verspricht – auch etwas Kritisches zu berichten gilt?

Das Azubi-Projekt ist weniger ein Projekt, mit dem sich die Unternehmen in der Öffentlichkeit toll darstellen können. Es dient konkret dazu, den Azubis neben ihrer Ausbildung etwas abzuverlangen und den eigenen Nachwuchs einfach fitter zu machen. Darin liegt für die Unternehmen auch die Motivation zum Mitmachen. Wenn uns eine kritische Geschichte zu einem dieser Unternehmen vorliegt, werden wir uns unsere redaktionelle Unabhängigkeit nicht wegen fünf oder zehn Azubi-Abos abkaufen lassen.

Wie nachhaltig kommt die Zeitung bei den Azubis an? Wie viele bleiben nach ihrer Ausbildung der Zeitung treu?

Die Uni Koblenz-Landau hat nachgewiesen, dass wir mit dem Projekt bei den Azubis die Lesemotivation und auch die Bindung an das Medium Lokalzeitung deutlich steigern. Wir haben aber nicht die Erwartung, dass sich die Azubis nach dem einjährigen Projekt gleich ein eigenes Abonnement leisten. Das Azubi-Projekt ist ein Bildungsprojekt, mit dem wir die positive Wirkung der Zeitungslektüre nachweisen – und kein Verkaufsprojekt für eine finanziell notorisch klamme Zielgruppe.

Welchen Gewinn haben die Zeitungen von dem Projekt?

Das Projekt bringt keinen wirtschaftlichen Gewinn, weil die Abonnements in jedem Jahr mit hohem Aufwand wieder gewonnen werden müssen. Das Projekt ist aber ein Baustein für eine neue Vermarktungsstrategie. Ich bin davon überzeugt, dass wir in den kommenden Jahren viel stärker herausstellen müssen, dass hinter Zeitungen nicht nur kluge Köpfe stecken. Die Botschaft lautet: Zeitungsleser erreichen bessere Bildungsabschlüsse und sind erfolgreicher im Beruf.

Was raten Sie potenziellen Nachahmern: Was sollten sie beachten?

Es ist wie so häufig: Wer von einem Projekt überzeugt ist, wird es auch zum Erfolg bringen – sofern Verlagsleitung, Vertrieb und Chefredaktion an einem Strang ziehen. Setzen Sie auf persönliche Überzeugungsarbeit. Eine professionell gestaltete Mappe, die das Projekt erläutert, ist eine unabdingbare Voraussetzung.

Ende November veranstalten Sie mit Ihren Zeitungskollegen einen Fachkongress „Zeitung lesen macht Azubis fit“: Planen Sie damit eine Initiative zur organisierten bundesweiten Ausweitung des Azubi-Projekts?

Wir haben uns mit dem Fachkongress vorgenommen, dem Projekt den Bekanntheitsgrad zu verschaffen, den es verdient. Wir wollen mit diesem Angebot vornehmlich andere Regionalzeitungsverlage, Wirtschaftsvertreter, Bildungspolitiker und natürlich auch Medienjournalisten ansprechen. Wir sind überzeugt davon, dass wir viele Nachahmer finden werden. Wir werden uns selbst aber auf die Kooperation zwischen den Zeitungen in Rheinland-Pfalz und im Saarland konzentrieren. Die Verlagsgruppe Rhein Main weitet das Projekt gerade erfolgreich auf den „Wiesbadener Kurier“ aus, der ebenfalls zu unserem Haus gehört.

Link:tipp

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Erschienen in Ausgabe 09/2010 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 52 bis 52 Autor/en: Interview: Annette Milz. © Alle Rechte vorbeh
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