Die iPad-Revolution ist abgeblasen

Schade, dass mein Computer kein Dolby Surround wie das Kino um die Ecke kennt, wo das Brüllen zuweilen aus allen Ecken zu kommen scheint. Denn dann könnte ich das Logo „Spiegel-iPad“, das nach jedem kleinen Einspielfilm durchs Bild fegt und in der Mitte des Bildschirms einrastet, noch mehr genießen. Diese Großmannsgeste passt gut zum restlichen Getöse um das iPad, das ja – wie wir wissen – die Verlage, deren Auflagen sinken, retten soll. Tut es bislang aber nicht.

Eine Art Resterampe.

Wer auf dem iPad die deutsche Presse liest, weiß auch, warum. Denn selbst nach dem Probieren haben die Redaktionen keine Ahnung davon, was sie mit dem iPad Sinnvolles anfangen sollen, warum der Leser ihre Stories auf dem kleinen Computer lesen soll. Nehmen wir mal den „Spiegel“, der ja zu Recht von sich behaupten kann, als einziges deutsches Medium die Internetentwicklung nicht verschlafen zu haben. Mit seiner iPad-Application macht er sich diesen Ruf gerade kaputt. Denn die ist so eine Art Resterampe für kostenlose Kinotrailer, beim Blattmachen übriggebliebene Fotos und Filmchen von Spiegel-TV, die ja eh produziert werden.

Zur Titelgeschichte über die Wikileaks-Dokumente zum Afghanistan-Krieg gab es als Bonusmaterial ein Interview mit einem der Reporter. Im schwarzen Anzug saß der arme Kerl vor einem schwarzen Hintergrund und berichtete mit sehr langen Gesprächspausen von der Beschaffung des Materials. So erfuhr man, dass die Dokumente recht einzigartig seien – also das, was sowieso schon überall stand.

Öfters noch als solch meditativen Gimmick gibt es Diashows, unterlegt mit einem Off-Kommentar. Das erinnert dann doch stark an die „Tagesschau“-Beiträge, bei denen die Leitung ins Krisengebiet zusammengebrochen ist und wo stattdessen ein Bild des Korrespondenten und dessen Telefonstimme eingeblendet werden. (Blöderweise muss man zum Abrufen der Zusatzelemente auch immer online sein, heruntergeladen und abgespeichert werden nur Texte und Fotos.)Noch sinnfreier kommt bei der „Spiegel“-App so manche Infografik daher, die man – wie überhaupt alle Bilder – vergrößern kann – in der Hoffnung, sie dann besser studieren zu können. Bei manchen aber führt die Vergrößerung lediglich dazu, dass man die Schrift erst recht nicht lesen kann, weil es sich offenbar um eine Grafik in ganz mieser Auflösung handelt. Und manchmal gibt’s auch nur eine weiße Seite mit ein wenig Dreck am oberen Rand drauf, der sich bei näherem Hinsehen als Autorenname entpuppt, den der Umbruch völlig vom Resttext isoliert hat. Ein Hurenkind in einem gedruckten Heft ist dagegen eine Augenweide. Und das alles für nur 19 Cent mehr als das gedruckte Heft.

Und sonst? Außer dem „Spiegel“ gibt es auf dem iPad ja noch nicht so viel auf deutsch zu lesen und man kann nur hoffen, dass sich andere Verlage mehr Zeit nehmen und nicht den Fehler aus den Anfangstagen ihrer Online-Angebote übernehmen, als man die gedruckten Artikel einfach ins Web gestellt hat. Diesen Eindruck macht aber leider die Nachrichten-App der „Welt“ – also das Highlight aus dem Hause des „GröiPBaZ“ (des größten iPad-Bewunderers aller Zeiten): Die digitalen Artikel sehen aus, als hätte sie jemand ausgeschnitten und auf den Scanner gelegt. Fast Labsal fürs erschrockene Leser-Gemüt ist die iPad-Version von „brand eins“, wo die Stories schon mal mit einem Foto beginnen, das den Bildschirm völlig ausfüllt – oder mit einer schön gesetzten Überschrift in der Mitte der Seite. Das alles braucht man zwar auch nicht, aber es sieht wenigstens gut aus. Die „brand eins“-Texte lassen sich auch mit den Fingern schön vergrößern – nur erkennt man nicht so recht, wie man weiterblättert -, zuweilen schwimmen die Seiten auf dem Bildschirm wie Guppys im Aquarium.

Ab in die Badewanne.

Wozu muss man überhaupt blättern? Man kann doch auf dem iPad auch unendlich scrollen. Wahrscheinlich, weil die Verleger dem neuen Medium dann doch wieder den Gestus des alten aufdrücken wollen. Daher wird dieses Gerät auch eins für die Alten werden: Dirk Manthey hat nämlich Recht, wenn er sagt, dass es noch am ehesten zum Bildergucken für all die taugt, die sonst mit dem Computer nicht umgehen können, also etwa für seine alte Mutter. Die kann auch am ehesten auf nackte Haut verzichten, womit wir bei der Zensur sind, die Apple auf die Medienhäuser ausübt, damit sich der bigotte amerikanische Umgang mit Sex auch anderswo auf der Welt durchsetzen möge. Damit ist der angeblich so coole Konzern nichts anderes als eine neue Spielart der berüchtigten „Freiwilligen Selbstkontrolle im Pressevertrieb“, die in Deutschland schon mal Kunstmagazine mit kopulierenden Micky-Maus-Figuren auf den Index setzt. Wer also Zensur, Preiserhöhungen und Diashows gut findet, mag mit dem iPad glücklich werden. Alle anderen gehen zum Kiosk und legen sich zum Lesen entspannt in die Badewanne.

Erschienen in Ausgabe 09/2010 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 65 bis 65. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.