Wie man mit Worten betrügt …

Ratingagenturen haben Macht. Senken sie ihren Daumen, können Bankensysteme und Finanzmärkte ins Trudeln geraten. Im ungünstigsten Fall müssen Regierungen mit Steuergeldern einspringen, Rettungsschirme spannen oder staatliche Sparmaßnahmen rigoros durchsetzen. Ratingagenturen genießen hohen Expertenstatus und reklamieren Omnipotenzansprüche – für sich natürlich.

Diese Mächtigkeit haben sie sich nicht selbst erarbeitet, sie wurde ihnen vom Gesetzgeber geliehen. Wer beispielsweise Wertpapiere ausgibt, braucht nach dem Gesetz in modernen, kapitalistisch organisierten Ländern eine analytisch lupenreine Bewertung von einer anerkannten Agentur, ein Rating also. Und diese Bewertung soll dem Investor, mithin dem Käufer der Wertpapiere oder Staatsanleihen, ausreichend Sicherheit geben. So gesehen sind Standard & Poor’s ‚Moody’s und Fitch, wie die drei größten heißen, von Staats wegen privilegiert. Ohne Rating keine Emission.

So weit, so gut. Was aber, wenn sie mit ihrer staatlich geforderten Expertise danebenliegen oder ganze Staaten, ihre Privilegien-Ausstatter also, in die Bredolluie bringen?

Das wäre ja nicht neu, wie man nach den Pleiten von Enron oder Worldcom, nach den Fehlbewertungen der Verbriefungen von US-Hypothekenkrediten oder nach den Herabstufungen der Kreditwürdigkeit von Griechenland, Spanien und Portugal dramatisch erleben konnte.

Auch wenn es offenkundig ist:

Von Selbstkritik keine Spur. Und von Haftung wollen die Agenturen gleich gar nichts wissen. Erfindungsreich, wie sie nun mal sind, spielen sie mit dem Wort und nehmen sich aus der Verantwortung. Obwohl ihre Analysen auf Expertenwissen beruhen und mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden erstellt werden, bestehen sie darauf, dass ihre „Expertisen“ nicht mehr und nicht weniger sind als Meinungsäußerungen. Der Grund ist mehr als ärgerlich: Mit dem Begriff „Meinung“ fallen sie unter den Schutz der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit – in Amerika wie in Europa – und können für ihre Aussagen nicht belangt werden.

Mit dem korrekten Begriff „Expertise“ sähe ihre Wirklichkeit ganz anders aus. Wie Rechtsanwälte oder Wirtschaftsprüfer müssten die Agenturen für ihre Ratings gerade stehen, wenn sie falsche Annahmen oder fehlerhafte Analysen ihrer Arbeit zugrunde legen. Auch wenn das Haftungsrisiko nur bei „grob fahrlässigem“ Verhalten eintritt, wäre es immerhin eine Stellschraube, die Willkür verhindert – und damit ihre Glaubwürdigkeit erhöht.

Obwohl alle Beteiligten um den Wort-Betrug wissen, lässt man sie gewähren. Sie stellen sich auf eine Stufe mit Journalisten, deren Wort in freiheitlichen Gesellschaften von den Verfassungen geschützt ist. Anders als die Mitglieder der schreibenden Zunft, können sie aber mit dem Vorsingen ihrer „Meinungen“ Märkte, Staaten und Unternehmen zum Tanzen bringen. Welch ein Journalist hätte das nicht gerne?

Nehmen wir sie doch beim Wort.

Sie verbreiten ihre „Meinungen“ wie Journalisten und wir bezahlen sie wie Journalisten. An ihrer Reaktion könnte man die Erbärmlichkeit ihres Versteckspiels studieren.

Und noch einen Vorteil hätte die Entlarvung der Wortklauberei: Expertisen, die im schützenden Gewand von Meinungen daherkommen, stürzen Währungen und Länder nicht notwendigerweise in die Tiefe. Journalisten mit ihren Meinungen leben von ihrer Glaubwürdigkeit. Sie haben überwiegend applaudiert, als beispielsweise Spanien tat, was alle Welt einschließlich der Ratingagenturen verlangte, und unter Schmerzen ein rigoroses, milliardenschweres Sparpaket auf den Weg brachte.

Nicht so die sakrosankten Agenturen. Nur einen Tag nachdem das Madrider Parlament der Kasteiung ihrer Landsleute zustimmte, stufte Fitch die Kreditwürdigkeit Spaniens herunter – und stürzte das Land noch tiefer in die Krise.

So viel Unverfrorenheit beim Umgang mit der Meinung kann sich kein Journalist leisten. Er kennt die Fallhöhe seiner Glaubwürdigkeit.

Wenn also Ratingagenturen „Meinung“ machen wollen wie Journalisten, sollten sie auch behandelt werden wie Meinungsmacher.

Im Klartext. Ihre Fallhöhe an die der Journalisten anpassen. Und dann ihre „Meinung“ nicht mehr so ernst nehmen.

Erschienen in Ausgabe 09/2010 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 60 bis 60. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.