Diagnose

Wir schreiben das Jahr 2010, also das Jahr nachdem Bild-Chef Kai Diekmann die Ironie entdeckte und sich die eher undialektische „taz“-Chefredakteurin Ines Pohl als untauglich erwies, das Blatt souverän zu leiten. Das schöne Kunstwerk am „taz“-Haus, das einen Diekmann mit erigiertem Penis zeigen soll, dessen Gemächt sich an der Spitze zu einer Kobra verwandelt, die von Friede Springer mit einer Flöte beschworen wird – dieses treffende Mediengesellschaftspanorama (das vor Pohls Amtsantritt beschlossen wurde) bleibt am „taz“-Haus hängen – auch, wenn Ines Pohl keine Lust hat, ihr Fahrrad unter einem Pimmel abzuschließen, wie sie in der eigenen Zeitung schrieb. (Pimmel heißt es immer dann, wenn eigentlich „Schwanz ab“ gemeint ist)

Da ein Auto, das man fernab der Skulptur parken könnte, für Pohl nicht in Frage kommt, muss die neue „taz“-Chefin leider schon wieder gehen und für jemanden Platz machen, der Kai Diekmann intern nach außen gewendete Selbstzerfleischung keine Steilvorlagen gibt, sich über die „taz“-ler lustig zu machen. In einem weiteren Befreiungsschlag wird Diekmann aus der Genossenschaft ausgeschlossen – die tödliche Umarmung also rückwirkend abgewendet – was auf Anhieb 5.000 neue Abonnenten bringt. Das Jahr geht also für die „taz“ gut los.

Auch Anderernorts setzt man auf den guten alten Werner-Funk-Spruch: „Licht und Luft geben Saft und Kraft“. Nachdem man den Gruner+Jahr-Chef Bernd Buchholz dabei ertappt, wie er nach einem langen Bürotag zu fortgeschrittener Stunde in einem Hamburger Nachtlokal die Krawatte zu einem Stirnband umfunkioniert, um zu beweisen, dass es die Zielgruppe für das 2009 lancierte Magazin „Business Punk“ wirklich gibt, ist die Schmerzgrenze der Bertelsmänner endgültig überschritten.

Buchholz muss gehen und Platz machen für einen Verleger, wie es ihn in Deutschland kaum noch gibt: einer, der sogar von Journalismus etwas versteht. Zunächst denkt man in Gütersloh an den „Geo“-Chef Peter-Matthias Gaede, aber dessen bedingungslose Loyalität egal, zu welchem CEO, wird ihm nun zum Verhängnis. Gesucht wird eher ein Mann, der keinem Konflikt aus dem Weg geht. Gut, dass Stefan Aust Zeit hat, denn das von ihm für die WAZ-Gruppe entwickelte Monatsblatt kommt nicht an den Kiosk und dreht stattdessen endlose Runden in der Marktforschung. Gibt es wirklich Bedarf an einem politischen Monatstitel neben den etablierten Wochenmagazinen? Eigentlich schon, aber die WAZ traut der Sache nicht. Um sich eine Hängepartie wie einst bei dem von Bauer jahrelang geplanten Magazin „Ergo“ zu ersparen, geht Aust als CEO zu Gruner+Jahr und sorgt für den dringend benötigten publizistischen Elan. Und auch dort kann er ja den ehemaligen Kollegen vom „Spiegel“ zeigen, was er noch so alles draufhat.

Beim Monatstitel „Cicero“ wiederum herrscht doppelte Erleichterung. Einerseits darüber, dass die Konkurrenz von der WAZ nicht erscheint, anderseits über den Weggang von Wolfram Weimer zum „Fokus“. Heißt das doch, dass Weimers christlich-bürgerliche Kommentare, die vor allem junge Leser bislang verschreckt haben dürften, nicht mehr erscheinen müssen. Abgeschafft werden auf Anraten des feinsinnigen und kunstverständigen „Cicero“-Verlegers Michael Ringier auch die gemalten Titelbilder, und da Michael Naumann als Chefredakteur aufgrund von vielfältigen Repräsentationspflichten den moderaten Links-Rutsch des Blattes nicht selber in Angriff nehmen kann, engagiert er Franziska Augstein von der „SZ“.

Dort wiederum überlegt man fieberhaft, wer denn nun Hans-Werner Kilz auf den Chefredakteursposten nachfolgen soll. Kurt Kister? Dann würde die „Süddeutsche“ wohl noch misanthropischer, als sie eh schon ist. Heribert Prantl? Dann käme der letzte „SZ“-Linke wohl kaum noch zum Schreiben. Die Lösung ist Frank Schirrmacher, dem ja nicht nur der Politikteil am Herzen liegt, sondern vor allem das Feuilleton, das bei der „SZ“ langweilig wie nie zuvor ist. Und der sich noch nicht frühvergreist genug fühlt, um für viel Geld eine Führungsposition im Springer-Verlag anzunehmen, wo man dringend ein wenig Intellektualität benötigt hätte. Als erste Großtat lässt Internet-Kritiker Schirrmacher in der „SZ“ den Quellcode des Meta-Programms Google-Wave auf drei Seiten drucken.

Auch bei der „Zeit“, besser gesagt: beim „Zeit-Magazin“, passiert im neuen Jahr Ungeheuerliches. Nach gefühlten 10.000 Folgen wird die Rubrik „mein Traum“ abgeschafft, auf die man jahrelang so stolz war, dass man gar nicht merkte, dass manche Prominente bereits doppelt darin vorkamen. Die Sammlung all der Schwarz-Weiß-Fotos von somnambul Lächelnden mit geschlossene Lidern, wirft bei ebay ein so stolzes Sümmchen ab, dass man der Kölner Frohnatur Günter Wallraff eine wöchentliche Kolumne spendieren kann, für die er seinen kompletten Kostüm-Fundus plündert: Als Erstes setzt er sich einen großen Federschmuck auf und schaut, ob es in der ostwestfälischen Provinz Vorbehalte gegen Indianer gibt.

Bei Springer hingegen läuft es nicht so rund. Nach dem Flop mit der Zeitung fürs iPhone, die der Führungsmannschaft von findigen Beratern als „Hammer-Application“ eingeredet wurde, ringt man nun um neue Ideen, wie man den schmalen journalistischen Output der Welt weiter vervielfältigen kann, um das Geld bloß nicht in eine bessere Qualität des Ausgangsprodukts stecken zu müssen. Mathias Döpfner hat gehört, dass in der indischen Internet-Metropole Bangalore darüber nachgedacht wird, Nachrichten und auch längere Geschichten auf echtem Papier zu drucken, das Menschen überallhin mitnehmen können. Döpfner ahnt sofort, dass das die Zukunft ist und schreibt gleich mal ein Memo für die anderen Großdenker im Konzern, die sofort beginnen, den Laden auf das neue Produkt hin zuzuschneiden: Aber das ist schon ein Plan für 2011.

Erschienen in Ausgabe 01+02/2010 in der Rubrik „Rubriken & Kolumnen“ auf Seite 64 bis 65. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.