Haltung, bitte!

?Sie leiten neuerdings auch das Innovation Lab Print an der Hamburg Media School. Was machen Sie da?

Jakob Augstein: Die HMS wünscht sich, dass ich gemeinsam mit den Studenten darüber nachdenke, wie die Zeitung überleben kann, welche Zukunft das gedruckte Wort auf Papier hat, wie es seine eigenen Stärken nutzen und gleichzeitig von den Vorzügen des Netzes profitieren kann. Das Netz ist ja für die Zeitung nicht nur eine Bedrohung, sondern auch eine Chance – wenn man es richtig macht.

Und wie macht man es richtig?

Ich glaube, dass die Zeitung die beste Chance hat, die sich nicht in Konkurrenz zum Internet begibt, sondern die das Internet als Ergänzung betrachtet. Es ist sinnlos, den Versuch zu unternehmen, schneller zu sein als das Internet, also das Netz dort zu schlagen, wo es stark ist. Es aber dort zu ergänzen, wo es schwach ist, ist sinnvoll. Der „Spiegel“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie das Internet ein Printobjekt eher stärkt als schwächt. Ich weiß auch nicht, ob man online langfristig Geld verdienen kann, aber der „Spiegel“ macht immerhin vor, dass man online kein Geld verlieren muss. Wenn Sie mich nach einem Rezept für die Tageszeitung fragen, muss ich leider passen.

… warum? Weil Sie keine Zukunft für die Tageszeitungen sehen?

Weil ich einfach keine Antwort darauf habe. Die Funktion einer Tageszeitung ist es, eine tägliche aktuelle Informiertheit zu schaffen. Das kann das Netz besser, weil es einfach schneller ist. Wenn die Tageszeitung nun aber zur täglichen Wochenzeitung wird, überfordert sie mich als Leser, weil ich so viel Lesestoff gar nicht verkrafte. Es gibt ja bereits Wochenzeitungen und Wochenmagazine.

Sehen Sie da weniger Probleme?

Eine Woche ist für das Netz eine höllisch lange Zeit. Für Wochenzeitungen und Wochenmagazine sehe ich deshalb kein Problem – ich spreche jetzt nur über die inhaltlichen Aspekte, unabhängig von der Frage, ob die Anzeigenerlöse zurückkommen. Der Mehrwert der Wochenzeitung ist das Gründliche, Ausgeruhte, das Haptische, das Optische. Wenn Sie eine Wochenzeitung lesen, geben Sie damit auch ein Statement ab für Ruhe und Konzentration. Ich bin ein großer Fan von Schirrmachers Buch „Payback“. Jeder sollte einmal pro Woche für drei, vier Stunden bewusst offline gehen. Netz und Wochenzeitung kommen sich nicht in die Quere – im Gegenteil: Sie ergänzen sich hervorragend. Dagegen hätte ich große Mühe, mir ein Monatsmagazin in Kombination mit dem Netz vorzustellen. Es sei denn, man macht es wie „Neon“: Wir haben für den Aufbau und den Umgang mit unserer Community viel von „Neon“ gelernt. „Neon“ nutzt das Netz genau dafür, wozu es gut ist: für Kommunikation. Das Prinzip lautet: Wir verdienen unser Geld „offline“ mit Print, und im Netz könnt ihr euch darüber unterhalten. Eigentlich ganz simpel.

Wie sieht nun Ihre eigene Bilanz aus?

Was unsere wirtschaftliche Strategie betrifft, haben wir sehr viel dazugelernt – wir wissen jetzt, was nicht geht …

… zum Beispiel?

Den Einzelverkauf am Kiosk zum Beispiel kann sich eine kleine Zeitung wie unsere nicht leisten. Da verlieren wir zu viel Geld. Was aber funktioniert, ist das Abonnement. Wenn wir erst einmal Kontakt zu unserer Zielgruppe hergestellt haben, läuft das Abo sehr gut. Ich glaube, für ein Nischenprodukt wie den „Freitag“ ist das der richtige Weg.

Und inhaltlich?

Inhaltlich sind wir auf dem richtigen Gleis. Wir haben bis etwa August am Print-„Freitag“ herumgeschraubt, ihn modelliert und gewichtet. Seitdem ist der „Freitag“ beinahe so, wie ich ihn mir wünsche. Im Netz ist die zentrale Neuerung, ja die Etablierung und Zusammenarbeit mit der Community. Damit sind wir extrem zufrieden, das hat noch besser funktioniert als wir gedacht hatten. Ich war selbst überrascht davon, was da alles möglich ist.

Welche Möglichkeiten meinen Sie?

Auf unserer Website haben wir akkreditierte Blogger. Wenn uns ein Blogeintrag gut gefällt, macht der „Freitag“ ihn sich zu eigen, das heißt: Wir produzieren ihn auf unserer Website, mit einem Bild, einer Überschrift und einem Teaser. und verlinken von unserer Startseite auf den Blog. Von den 30 bis 40 Blogeinträgen, die jeden Tag geschrieben werden, heben wir auf diese Weise vier oder fünf hervor.

Was könnten andere da lernen?

Dass andere von uns wirklich etwas lernen können, glaube ich nicht. Die Community als Tool zur Leserbindung werden vielleicht auch „Zeit“ oder „Spiegel“ einsetzen, aber wohl kaum so zentral wie wir. Der „Freitag“ ist dafür als Modell zu klein – und er ist ein Haltungsmedium. Ohne diese politisch-weltanschauliche Grundhaltung würde unsere Community auch nicht so funktionieren, wie sie es tut. Ich habe bei vielen Zeitungen das Problem, dass ich nicht weiß, wofür sie eigentlich stehen. Die „FAZ“ ist da eine Ausnahme. Sie hat sehr wohl eine gesellschaftspolitische Haltung: bürgerlich-konservativ. Für mich als Leser ist es wichtig, dass Zeitungen Haltungen und Standpunkte haben, damit sie für mich kenntlich werden.

Haben Sie denn Ihr wirtschaftliches Ziel für 2009 erreicht?

Nein. Wir haben unseren ursprünglichen Wirtschaftsplan vor der Krise erstellt und natürlich um Lichtjahre verfehlt. Schon weil wir so gut wie keine Printanzeigen akquirieren konnten.

Was halten Sie von Paid Content?

Es heißt ja, der einzige Content, den die Leute bezahlen, bestehe aus Sex und Finanznachrichten. Und das haben wir nun beides nicht. Ich glaube aber, die Leute zahlen auch für Identität und Partizipation. Deshalb werden wir im kommenden Jahr unserer Community Bezahlmodelle vorschlagen.

Wie sollen die aussehen?

Wir werden Möglichkeiten der Mitgestaltung am Produkt anbieten. Der Nutzer zahlt also nicht dafür, dass er etwas zusätzlich bekommt, sondern dafür, dass er etwas geben kann.

Das wäre die Umkehrung der Praxis, dass der Verlag seine Autoren bezahlt.

Ich glaube, man muss hier die Denkkategorien ändern. Es gibt hier ein Missverständnis. Die Nutzer schenken ihre Texte nicht dem „Freitag“. Sondern sich gegenseitig. Wir stellen ihnen aber dafür die Infrastruktur zur Verfügung und die professionelle, redaktionelle Betreuung. Und das ist etwas wert.

Die Nutzer sollen also dafür zahlen, dass der „Freitag“ ihre Texte publiziert? Warum sollte das attraktiv sein?

Wir sind ja auf dem Weg, im Netz eine Institution zu werden, wir haben eine beträchtliche Zahl an Followern bei Twitter und Facebook, unsere PIs steigen, wir wachsen und etablieren uns als ein journalistisch geprägtes Bloggerportal. Wir entwickeln den Journalismus weiter, indem wir den Community-Journalismus professionalisieren und die Fusion zwischen Bloggern und Journalisten vorantreiben.

Besteht in der Community die Bereitschaft, tatsächlich etwas zu bezahlen?

Ich glaube, diese Bereitschaft besteht bei ganz vielen Leute im Netz, nicht nur bei unseren Nutzern. Die Leute wollen aber wissen: Wie bezahle ich, wie viel und wofür? Es muss einfach sein, die gezahlte Summe darf nicht zu hoch sein – und der Mehrwert muss klar vermittelbar sein. Man muss den Leuten begreifbar machen, dass im Netz Werte entstehen können: Beziehungen, Verpflichtungen, Verantwortung. Und nicht zuletzt hat Zeit einen Wert. Wenn ich als Leser und Nutzer dem „Freitag“ meine freie Zeit widme, mein kostbarstes Gut – dann muss der „Freitag“ etwas wert sein. Ich glaube, dass man das Netz mit Werten und Gefühlen aufladen muss – sonst ist es nur Schall und Rauch.

Wie sehen Sie da künftig die Rolle Ihrer Journalisten?

Die Journalisten sind Teil der Community.

Ohne Unterschied zwischen klassischen Journalisten und Bloggern?

Eigentlich gibt es keinen. Es kommt nur auf den Text an. Aber in Wahrheit gibt es natürlich sehr wohl einen grundlegenden Unterschied zwischen Bloggern und Jour
nalisten: Der Journalist in seiner idealtypischen Form ist interessenfrei, der Blogger nicht. Der Journalist muss wie ein Staatsanwalt be- und entlastende Materialien sammeln. Jedenfalls war das früher so.

Welche Rolle sollen dann künftig die klassischen journalistischen, z. B. politischen Inhalte im „Freitag“ spielen?

Wir werden im politischen Teil mit neuen Autoren unser Meinungsspektrum weiter öffnen. Damit ändern wir nicht unsere Grundhaltung, aber die Leitplanken können ruhig etwas breiter stehen. Ich hätte gern, dass konservative Menschen den „Freitag“ kaufen, weil die lesen wollen, wie kluge, links denkende Menschen argumentieren. Dass die den „Freitag“ also aus dem gleichen Grund kaufen, aus dem ich die „FAZ“ kaufe.

Wie bezahlen Sie Ihre Autoren – oder müssen die künftig auch Geld mitbringen?

Wir geben unseren Autoren große Freiheit in ihren Texten und eine liebevolle Betreuung. Das ist ein großes Gut und viele Autoren schätzen uns dafür. Weil sie bei uns etwas erhalten, was in anderen Redaktionen inzwischen oft zu kurz kommt: Respekt. Gleichzeitig sind unsere Honorare niedrig. Ich kann es derzeit nicht ändern.

Annette Milz ist Chefredakteurin von „medium magazin“.

Daniel Kastner ist freier Journalist. Kontakt: redaktion@mediummagazin.de

Linktipp

Weitere Aussagen von Jakob Augstein, u. a. zur Debattenkultur im Internet, sind in der Langfassung des Interviews nachzulesen, die Abonnenten bis zum 30. 1. exklusiv vorbehalten ist unter www.mediummagazin.de, Passwort Aug2

Erschienen in Ausgabe 01+02/2010 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 36 bis 36 Autor/en: Interview: Annette Milz, Daniel Kastner. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.