Kernfragen

Zwei Themen haben in diesem Jahr die Wahl der „Journalisten des Jahres“ dominiert – und polarisiert.

Nahezu einmütig hat sich die rund 60-köpfige Jury für Nikolaus Brender als den „Journalisten des Jahres 2009“ ausgesprochen – und das ist weit mehr als „nur“ eine Solidaritätsbekundung mit einem ehrenwerten Kollegen. In der Auseinandersetzung um die Vertragsverlängerung des ZDF-Chefredakteurs konzentriert sich eine Kernfrage des Journalismus, die keineswegs nur die Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks betrifft: die Frage der Unabhängigkeit als unverzichtbare Voraussetzung für glaubwürdigen Journalismus.

Gefahr droht dabei nicht nur durch politischen Druck auf unbequeme Berichterstattung. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, wie wir alle sie in dem zurückliegenden Jahr erlebt haben, gerät dieses Gut auch in anderen Medien in Gefahr. Wer seine Berichterstattung den Wünschen von Anzeigenkunden anpasst, Gefälligkeitsjournalismus zugunsten werblicher Inhalte betreibt, wird der Kernaufgabe von Journalismus nicht mehr gerecht: Unabhängige Aufklärung zu leisten, auch wenn sie unbequem sein mag.

„Innere Unabhängigkeit muss man sich antrainieren“, sagt Nikolaus Brender, der stets, auch für die eigenen Kollegen und Kolleginnen, ein unbequemer Journalist war und ist. Aber er weist gleichzeitig darauf hin, wie wichtig auch die äußeren, wirtschaftlichen Bedingungen über eine unabhängige Berichterstattung sind (s. Interview Seite 26). So gesehen geht die Debatte um Nikolaus Brender uns alle an – über die medienpolitische Frage hinaus, wie beim ZDF Spitzenpositionen besetzt werden. Brenders Nachfolger Peter Frey ist zweifellos ein guter Journalist. Er ebenso wenig wie das ZDF haben es verdient, dass sie in den Mühlen parteipolitischer Interessen zermahlen werden.

Die medienpolitische Frage, wer die Geschicke des öffentlich rechtlichen Rundfunks zu bestimmen hat, gehört deshalb auch nach dem Wechsel in der ZDF-Chefredaktion auf die Tagesordnung.

Das gilt erst recht für das politische Thema, das Ende des Jahres für Schlagzeilen sorgte: der militärische Einsatz Deutschlands in Afghanistan. Schlimm genug, dass erst das Bombardement von Kundus eine breite öffentliche Auseinandersetzung darüber auslöste. Die Frage, wie die Medien das ganze Jahr über diesen Konflikt thematisiert haben, muss auch gestellt werden. Warum sind die Kollegen, die sich sonst investigative Leistungen zugute halten, nicht früher hellhörig geworden, nicht schon im September, unmittelbar nach dem Luftangriff?

Sind wir alle schon von der Flut der Horrormeldungen aus dem Irak und Afghanistan so abgestumpft, dass es zunächst auf eine weitere nicht mehr ankam? Oder sind wir schon so sehr gefangen in den eigenen Kleinkriegen, dass wir den Blick fürs große Ganze, für historische Entwicklungen verloren haben? Das darf, das kann sich der deutsche Journalismus nicht leisten.

Die Jury der „Journalisten des Jahres“ hat sich deshalb entschieden, einen Sonderpreis zu vergeben an Stefan Kornelius, „Süddeutsche Zeitung“ (s. a. Seite 16,25) für seine Aufdeckung des geheimen ISAF-Berichtes, aus dem klar hervorgeht, dass das Bombardement in Kundus gezielt der Tötung von Taliban galt. Das macht diesen Bericht zum Schlüsseldokument in der Auseinandersetzung mit dem deutschen militärischen Einsatz in Afghanistan. Und die Berichterstattung darüber erzwingt eine längst fällige Klärung des militärischen Selbstverständnisses Deutschlands.

Das gab letztlich den Ausschlag für die mehrheitliche Jury-Entscheidung, die SZ-Berichterstattung von Stefan Kornelius auszuzeichnen. Und nicht auch die der „Bild“, die zweifellos zuvor mit der Aufdeckung des Feldjäger-Berichts einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Debatte geleistet hatte. Der Jury ging es vor allem um die Honorierung einer journalistischen Leistung, die der Klärung einer grundsätzlichen politischen Frage dient, die weit über das tagesaktuelle Geschehen hinaus weist. Und wie sie der Autor bereits im Juni in einem Buch auf den Punkt brachte. Der Titel: „Der unerklärte Krieg. Deutschlands Selbstbetrug in Afghanistan“. Für alle und erst recht für die unmittelbar Beteiligten, die Soldaten, ist es hohe Zeit, diesem Selbstbetrug ein Ende zu setzen.

In eigener Sache: In Zusammenarbeit mit der ehrenamtlichen junge journalisten.de schreibt „medium magazin“ erstmals ein Stipendienprogramm für Nachwuchs-Kolleginnen und Kollegen aus: Jedes Jahr werden bis zu fünf Ideen und Projekte gefördert, die „zur Verbesserung der Situation junger Journalisten“ beitragen sollen. Die Altergrenze für die Bewerbung ist 30 Jahre. Eine Mitgliedschaft bei jungejournalisten.de ist nicht Voraussetzung für ein Stipendium, das einmalig zwischen 500 bis 1.500 Euro dotiert ist. Mehr Infos zur Bewerbung gibt es unter www.jungeournalisten.de. Über die Ergebnisse werden wir natürlich auch in „medium magazin“ berichten.

Annette Milz

Erschienen in Ausgabe 01+02/2010 in der Rubrik „Editorial“ auf Seite 3 bis 5. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.