Von der Redaktion zur 24/7 News Organisation

Die britischen Zeitungen plagen, wie viele andere auch, massive Geldsorgen. Optisch sichtbar ist dies jedoch nicht. „Guardian“ und „Telegraph“ haben neue, moderne, schöne Glasgebäude, die Lobbys könnten zu Vier- bis Fünfsternhotels gehören, die Arbeitsplätze sind lichtdurchflutet und werden mit einladenden Lounges ergänzt. Die „Times“ zieht 2010 ebenfalls in ein neues Gebäude um.

Diese Hüllen symbolisieren den Glauben an die Zukunft. Und sie erleichtern durch große, offene Newsräume das Arbeiten für verschiedene Medien. Konvergenz ist in allen drei Häusern selbstverständlich. Die Leitfragen für den Alltag und dementsprechend die Konzepte sehen aber in jeder Redaktion etwas anders aus.

„The Guardian“ fragt: Wie können wir konkurrieren mit BBC und Co.? „The Times“ prüft dauernd, ob Online gut genug ist, um nicht die Reputation der Zeitung zu gefährden. Und „The Daily Telegraph“ gibt der Geschwindigkeit ganz hohe Priorität.

„Es braucht überall auch Spezialisten.“ „The Guardian“ beschäftigt rund 800 Journalistinnen und Journalisten. Das Thema Konvergenz ziehe sich auf allen Ebenen durch, sagt Matt Wells, Head of Audio beim „Guardian“. An einem zentralen Newsdesk werden die Themen auf die verschiedenen Medienkanäle verteilt. Die Printjournalisten arbeiten praktisch alle auch fürs Netz. Als Schreiber. Allenfalls treten sie gelegentlich auf der Website als Interviewer auf.

Videos machen professionelle Filmer. Das ist die logische Konsequenz, wenn man die BBC quasi als Benchmark hat. „The Guardian“ hat ein eigenes multimediales Department, bestehend aus rund 30 Audio-Videojournalisten und Technikern. Diese Abteilung ist nicht integriert in die große Redaktion. Sie produziert durchschnittlich sechs bis sieben Videofilme pro Tag und 30 größere Beiträge pro Woche. Die Aufmerksamkeit ist entsprechend hoch, im vergangenen Oktober wurden 3,5 Millionen Videos heruntergeladen.

Diese Abteilung zeigt die Haltung des „Guardian“. Multimediales Arbeiten ist gut, aber, so Matt Wells, „es braucht überall auch Spezialisten“. Deshalb gehören auch Fachredaktionen wie Politik, Sport, Medien und Technologie unabdingbar dazu.

Das möchte man gern in die Zukunft retten. Allerdings musste der „Guardian“ im vergangenen Jahr 100 Stellen streichen, die Hälfe davon waren Journalisten. Starke Verbindungen zwischen Print, Netz und Mobile und Instrumenten wie Twitter, die Leser stark einbeziehen, sollen das Überleben sichern. Und die Bezahlung von Inhalten im Netz und in der mobilen Kommunikation. Gedacht wird an einen „Guardian“-Members-Club und an eine tägliche iPhone-Gebühr von bis zu einem Pfund. „Das heißt“, so Wells, „wir müssen so gut sein, dass man bereit ist, dafür zu bezahlen.“

„Die Zukunft liegt in Kooperationen.“ Auch die „Times“ will weiter auf hohe Qualität setzen. Auch sie will ihren Online-Inhalt ab nächstem Jahr verkaufen. Und sie will ihre Kooperationen mit Medien mit vergleichbaren Ansprüchen und Ansätzen weiter ausbauen. Allein überlebte sie schon lange nicht mehr, es ist das Boulevardblatt „Sun“ aus dem gleichen Verlag, dass die seriöse Zeitung finanziert. Trotz Stellenabbaus arbeiten noch immer auch hier mehr als 400 Vollzeit-Journalisten und viele Freischaffende. Auch hier die meisten für Print und Netz. Die Redaktion erhielt 18 Monate Zeit für die Umstellung zum integrierten Arbeiten. „Wir haben die Widerstände sehr ernst genommen und viel Support geleistet.“

Die Zeitung sieht man hier wie „einen gut gedeckten Tisch, der für alle etwas hat und an dem alle satt werden“. Chris McKane, Assistent Managing Director, meint, das Bild sei auch übertragbar auf die Gesamtmedienplattform. Kommt es darauf an, wo etwas publiziert wird? Kaum. Es geht überall um nichts Geringeres als um Journalismus. Qualitätsjournalismus“. „Grundlegend ist, dass wir Sorge tragen, damit die Qualität auf dem Netz die Printmarke nicht negativ beeinflusst“, sagt Robert Hands, Integration Project Leader. „Und dass wir uns immer wieder bewusst machen, dass wir vom Zeitungshaus zu einem 24/7 Medienunternehmen geworden sind.“

Die ersten im Netz sein. Dasselbe gilt für die mobile Kommunikation. „The Daily Telegraph“ hat eine eigene Abteilung dafür etabliert und sie in einen der wohl europaweit größten Newsrooms integriert. Im modernen Glasgebäude gleich neben der Victoria Station sitzen, stehen, diskutieren in einem Raum rund 400 Journalisten. In der Mitte steht ein kreisförmiger Tisch, die Ressorts, die Fachredaktionen sind sternförmig angeordnet und auch die Inserate-Abteilung ist nahe dabei. Es ist erstaunlich ruhig, der Hinweis „You are entering the working zone. Please be quiet“ wirkt.

„Das Tempo ist uns sehr wichtig“, sagt Andrew Pierce, Assistent Editor. „Wer zuerst kommt, wird zitiert.“ Die Hits werden als Richtschnur für das Interesse an Zeitungsgeschichten genommen. Aber es wird auch diskutiert, was wie wo am besten erzählt wird. Es ist generell ein Fazit dieses Einblickes: Die Konvergenz ist nichts Revolutionäres. Sie verändert die Abläufe und das Tätigkeitsfeld der Journalisten (und der Marketingleute). In den drei Redaktionen, so der Eindruck, wird viel über die Qualität diskutiert, bzw. gerungen. Das Zusammenrücken zwingt, sich im Alltag immer wieder die Stärken der einzelnen Medien und Gattungen bewusst zu machen und das Optimum auf allen Kanälen zu erreichen. Denn: Die Leser verbinden die Produkte mit einer Marke, die Glaubwürdigkeit muss von allen erbracht werden. Ein Element allein aber kann sie wohl arg gefährden.

Tipp:

Diese Analyse von Sylvia Egli von Matt, Leiterin des Medienausbildungs-zentrum MAZ in Luzern, ist ein Vorabdruck aus dem Jahrbuch für Journalisten 2010, das im Januar im Medienfachverlag Oberauer (zu dem auch „medium magazin“ gehört) erscheint.

Bestellung: E-Mail: sabine.ritzinger@oberauer.com

Preis: 18,50 Euro zzgl. Versand

Erschienen in Ausgabe 01+02/2010 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 40 bis 40 Autor/en: Sylvia Egli von Matt. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.