Was reizt Sie an „Cicero“, Herr Naumann?

?Zum 1. Februar wechseln Sie von der „Zeit“ zu „Cicero“. Was reizt Sie daran?

Michael Naumann: Das ist eine Aufgabe, die man normalerweise mit 68 Jahren nicht mehr angeboten bekommt. Meine Batterie ist noch nicht leer, im Gegenteil. Ich freue mich auf die Herausforderung, mit „Cicero“ publizistisch etwas bewegen zu können.

Wo steht „Cicero“ für Sie heute?

Es ist ein konservatives Blatt, aber auch ein originelles Blatt. Wolfram Weimer ist da etwas Bemerkenswertes gelungen.

Welches Profil wollen Sie dem Magazin künftig geben?

Ich möchte das Spektrum verbreitern, „Cicero“ pluralistischer machen.

… nicht links oder links-liberal?

Ich finde, prinzipiell hat der Journalismus egal welcher Coleur die Aufgabe aufzuklären. Es gibt keine linke oder rechte Globalisierungs- und Finanzkrise. Es gibt aber in der Sprache des sogenannten Wertekonservatismus sehr gut beschriebene Phänomene von Habgier und Rücksichtslosigkeit – nicht nur im Bankgewerbe und nicht nur auf Seiten der Arbeitgeber. Es gibt auch organisierte Besitzansprüche, die, so berechtigt sie sein mögen, nicht mehr einzulösen sind. Es wird eine paradoxe Wertedebatte bei uns geben – wir müssen verstehen lernen, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem, was der Staat leisten kann und dem, was er leisten sollte. Anders gesagt: Zwischen leeren Kassen und hehren Idealen liegt die Welt der Kompromisse und des rechten Maßes. Darum wird es auch in „Cicero“ gehen.

Welche Themen wollen Sie künftig verstärkt aufgreifen?

Das ist zum einen das zentrale Thema Afghanistan und die Frage: Sind wir bereit, in einem Feldzug mitzumachen, über den der oberste Feldherr bereits gesagt hat, wir haben ihn verloren? Eine originelle Form der Kriegsführung, für die es auch noch den Nobelpreis gab. Innenpolitisch wird sicher die zentrale Debatte zur Frage geführt werden müssen: Wie wollen wir und wer genau soll all das bezahlen, was die aktuelle Koalition da an Konjunkturförderungsmaßnahmen beschlossen hat? Wie sollen die bankrotten Kommunen ihren kulturellen Aufgaben nachkommen? Wie ist der hohe Bildungsauftrag auf allen Ebenen noch zu bewältigen? Darüber muss verstärkt debattiert werden. Und gibt es überhaupt eine politische Debattenkultur, die uns durch absehbare Konflikte dieser und ähnlicher Art führen kann?

Klingt, als ob Ihre Agenda für „Cicero“ für mehr als zehn Jahre reicht, Sie also länger als ein Jahr bleiben wollen?

Ja klar.

Sie waren zeitweise auch als Politiker aktiv. Was nehmen Sie davon mit in die Hauptstadt?

Kenntnisse der wirklichen Probleme, die die Menschen dort drücken, wo ihnen Politik direkt begegnet, in den Städten, Dörfern und Kommunen. Nehmen Sie doch nur mal die Tatsache, dass die Durchschnittsrente hier in Hamburg unter 400 Euro liegt. In Deutschland entstehen sozial Inseln, die wir allzu leicht übersehen. Auch wir Journalisten.

Das Problem der leeren Kassen betrifft ja auch die Medien. Wie gehen Sie damit bei „Cicero“ um?

Als ich bei der Zeit vor neun Jahren, also in der ersten schweren Medienkrise des Jahrtausends, anfing, war es die Aufgabe der Chefredakteure Naumann und Joffe, dafür zu sorgen, dass die Auflage nicht unter 400.000 sinkt. Heute liegt sie bei 470.000-500.000. Wie sich die Printkrise lösen lässt, kann man also beantworten: Nicht indem an der Qualität des Journalismus gespart wird. Die „Zeit“ ist natürlich auch Nutznießer der Krise, die auch durch neue Lese- und Informationsgewohnheiten bedingt ist. Gerade die jüngeren Menschen informieren sich überwiegend aus anderen Medien als den Tageszeitungen. Wobei ich ausdrücklich darauf hinweisen möchte, dass die wirklichen Internetexperten diejenigen sind, die vor 20 Jahren damit begonnen haben, also heute 40, 50 Jahre alt sind. Es wird ja immer so getan, als sei das Internet nur ein Teenie-Medium.

Welche Chance hat da künftig ein Monatsblatt, in Abgrenzung zu einer Wochenzeitung wie die „Zeit“?

Eine Wochenzeitung muss noch wesentlich schärfer als ein Monatsmagazin der Aktualität verpflichtet sein. Ein Monatsmagazin muss über den sichtbaren Aktualtitätshorizont hinausblicken. Die „ZEIT“ ist nicht mikroskopisch wie die Tageszeitung, sondern arbeitet mit dem Vergrößerungsglas, eine Monatsmagazin muss auch ein Fernglas bei der Hand haben.

Wollen Sie auch den optischen Auftritt von „Cicero“ verändern?

Ich bin ein großer Freund von Fotografien, sammle selbst seit Jahren Aufnahmen von großen Fotografen wie dem Ungarn André Kertész, dem verstorbenen Kollegen Wilfried Bauer. Oder auch von Timm Rautert, mit dem ich beim „Zeit-Magazin“ zusammengearbeitet habe. Das waren wilde Jahre, die zu meinen schönsten Erinnerungen gehören. Aber wie und was sich ändert, werde ich zuerst mit der Redaktion besprechen, statt wie ein Hans Dampf dort einzufallen.

Erschienen in Ausgabe 01+02/2010 in der Rubrik „Rubriken & Kolumnen“ auf Seite 8 bis 8 Autor/en: Interview: Annette Milz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.