Weg ins Social Web

Twitter, Facebook, lokale Videoformate — die Webangebote der deutschen Zeitungshäuser sind in Bewegung. In welche Richtung die Reise geht, zeigt die Marktanalyse „Zeitungen online 2009“.

1. Wachsende Sende- und Empfangsbereitschaft

Twitter, RSS-Feeds, Handy – eine wachsende Zahl von Medienkonsumenten nutzt die Medieninhalte nicht mehr nur über den klassischen Printkanal oder die Website, sondern situationsabhängig auf ganz unterschiedlichen Kanälen. Kurzum: Das Mediennutzungsverhalten verändert sich und Verlage müssen darauf reagieren. Sie tun dies, indem sie zum Beispiel RSS-Feeds für einzelne Ressorts, Themen oder Orte anbieten. Diese Form der Segmentierung wird bereits auf jeder zweiten Tageszeitungs-Website angeboten. Häuser wie die „FAZ“ gehen hier einen Schritt weiter und liefern die Themenkanäle zusätzlich auch als eigenen Twitterfeed aus. Speziell für mobile Endgeräte ausgerichtete Versionen der Websites gibt es 2009 bereits bei 17 Prozent der Zeitungswebsites. Diese Entwicklung wird sich mit der weiteren Verbreitung von Smartphones fortsetzen. Denn: Nur wer auf allen Kanälen sendet, kann auch auf allen Kanälen empfangen werden.

2. Die Redaktion im Dialog

Bei den interaktiven Formaten, die eine Beteiligung der Nutzer ermöglichen, hat ein Generationswechsel stattgefunden: Während die Zahl von Chats und Foren auf Verlagswebsites rückläufig ist, wird an anderer Stelle kräftig ausgebaut: Auf 120 Zeitungswebsites gibt es eine Kommentarfunktion direkt am Artikel, gegenüber 2008 eine Steigerung um 14 Prozentpunkte. Diese Logik hat man sich bei den Blogs abgeschaut. Eigene redaktionelle Weblogs bietet inzwischen jedes fünfte Zeitungshaus an, bei mehr als einem Drittel der Websites wird angezeigt, was aktuell die beliebtesten oder die am häufigsten kommentierten Artikel sind. Der Trend: Die User-Kommunikation auf den Websites der Tageszeitungen rückt näher an die redaktionellen Inhalte.

3. Flagge zeigen, wo die Nutzer sind

Die Studie zeigt, dass nicht nur die Dialogorientierung auf den Websites der Zeitungen selbst zunimmt, sondern dass die Verlage mit eigenen Profilen im Web 2.0 beginnen, auch gezielt dorthin zu gehen, wo sich viele Nutzer tummeln. Bereits 20 Prozent der Anbieter haben mindestens ein Profil im Social Web, zum Beispiel bei Facebook oder StudiVZ. An Nummer 1 liegt Twitter; 53 Zeitungen sind dort bereits vertreten – ein richtiger Schritt hin zu einem erweiterten redaktionellen Marketing. Wirft man jedoch einen qualitativen Blick auf die Social Web Profile, fehlt es gerade bei Twitter noch an Ideen. Einige Redaktionen haben sich lediglich ihren Zeitungsnamen als Twitterprofil gesichert, ohne es zu nutzen. Andere bespielen Twitter automatisch. Redaktionen wie die der „Rheinzeitung“ oder der „Berliner Morgenpost“ bilden hier die Ausnahmen. Sie zeigen, wie sich mit Freude am Experiment Twitter als journalistisches Werkzeug und Kommunikationsmittel einsetzen lässt. Prognose: Der Trend zum Auf- und Ausbau von eigenen Profilen im Social Web wird sich im kommenden Jahr weiter fortsetzen, der strategische Einsatz als Teil des redaktionellen Marketings wird mehr Zeit brauchen.

4. Nachholbedarf bei Videos

Auch beim Bewegtbild unterscheiden sich die Strategien der Zeitungsverlage deutlich. Zwar bieten immerhin bieten 104 Sites eigenproduzierte Videos an – in einer breiten Qualitätsspanne. Während die Mehrzahl mit gelegentlichen Wackelkamerabildern von Autounfällen auskommt, bieten einige Redaktionen tägliche Newsshows mit Anchor, aktuellen Filmbeiträgen und lokaler Wettervorhersage. Die Videoangebote der „Heilbronner Stimme“, der „HNA“ in Kassel oder der „Ostfriesischen Nachrichten“ zählen hier zu den positiven Ausnahmen. Die nüchterne Erkenntnis ist insgesamt, dass die Verlage bisher kaum eigene Kompetenzen im Videobereich aufgebaut haben. Bewegtbild wird in hohem Maß von Agenturen zugeliefert: 147 Websites übernehmen Agenturmaterial, 89 von ihnen produzieren daneben auch eigene Videos, lediglich 15 Redaktionen verlassen sich ganz auf die eigene Produktion.

Zusätzliches Problem: Die Abgrenzung zwischen werblichen und journalistischen Inhalten ist oft nicht mehr gegeben, da auf vorproduzierte Kinotrailer, Fernsehvorschauen oder Autotestberichte von der Stange zurückgegriffen wird. Insgesamt lässt die Professionalisierung des Videobereichs auf sich warten: Das ist angesichts knapper Ressourcen verständlich, lässt aber auch eine Werbevermarktung der Bewegtbildangebote nicht zu.

5. Profilbildung: Lokale Stärken ausspielen

Trotz all der technischen Finessen und Neuerungen im Bereich Social Web gilt, dass die eigentliche Profilierung als journalistische Marke nur über die Inhalte geleistet werden kann. Die Relaunches des vergangenen Jahres zeigen, dass dabei lokale Stärken deutlicher in den Vordergrund gerückt werden. Damit sind die Redaktionen gefordert: Der Abschied vom agenturgesteuerten Auftritt bedeutet, dass Blattmachen nicht mehr nur für die Printausgabe eine zentrale Aufgabe ist, sondern die Website gleichermaßen im Blick haben muss. In der Vielfalt der Ausspielkanäle bekommen Angebote mit Inhalten von der Stange keine Aufmerksamkeit: Hier hilft, sich auf das eigene lokale und regionale Profil zu besinnen.

Fazit: Wohin die Reise geht!

Technik ist das eine, journalistische und kommunikative Kompetenz das andere: Zeitungen können ihre Websites mit Agenturticker, externem Videoangebot, RSS-Feeds und automatisierter Übernahme von Printaufmachern quasi ohne redaktionellen Aufwand betreiben. Problem: Das Angebot wirkt profillos und nutzt die kommunikativen Potenziale des Web nicht. Denn spätestens, wenn die Nutzer Feedback-Kanäle nutzen wollen, sind die Redakteure gefordert. Eine zeitgemäße Webstrategie lässt sich nur umsetzen, wenn die Printredaktionen ins Boot geholt und mit den Ausspielkanälen und ihren Möglichkeiten vertraut gemacht werden.

Linktipp

weitere Grafiken mit detaillierten Ergebnissen der „Zeitungsstudie online 2009“ sind dokumentiert unter www.mediummagazin.de, für Abonnenten exklusiv zugänglich bis 30.1.: Passwort ZO09

Erschienen in Ausgabe 01+02/2010 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 32 bis 32 Autor/en: Steffen Büffel und Peter Schumacher. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.