Geduld wird zur Kardinalstugend

Thomas Ganske, in dritter Generation Eigner des Hamburger Jahreszeiten-Verlags („Für Sie“, „Petra“, „Merian“, „Der Feinschmecker“), ist gebildet, ist mutig, leidenschaftlich und steht hinter seinen Redakteuren – bisher jedenfalls. „Ganske war der Gute“, glaubte selbst der „Spiegel“.

Ausgerechnet der Gute demonstriert nun, dass er offensichtlich zu etwas fähig ist, wovor selbst Controller in der Verlagsbranche bisher zurückschreckten: Er feuert die schreibenden Redakteure, hält sich nur noch Chefredakteure und Ressortleiter samt Stellvertreter. Die Texte sollen in Zukunft externe Schreiber zuliefern. Der Vergleich mit einem Symphonieorchester, das nur noch aus dem Dirigenten, dem ersten Geiger und einem Cellisten besteht und sich den Rest des Ensembles von Konzert zu Konzert auf dem freien Musikermarkt zusammenklaubt, ist jedenfalls nicht völlig abwegig.

Vielleicht funktioniert ja das Modell, vielleicht wird es sogar ein Gegenentwurf zu den zum Teil verkrusteten Strukturen in der Verlagswelt. Bei Zeitschriften könnte es Schule machen, bei Tageszeitungen unter hohem Aktualitätsdruck ist es kaum vorstellbar. Die Verlässlichkeit der Akteure für ein gutes Blatt gleicht eher den Musikern eines Orchesters für ein perfektes Klangbild.

Gegen Ganskes formales Konstrukt ist jedenfalls zunächst nicht wirklich etwas einzuwenden. Es gibt Magazine, die mit einem solchen Modell – kleines Kernteam, große Autorenschar – arbeiten und hervorragenden Qualitätsjournalismus produzieren („brand eins“ beispielsweise). Aber das setzt voraus, dass auch die Hierarchien zwischen „Freien“ und „Festen“ verschwunden sind. Outsourcing funktioniert im Zeitschriftengeschäft nur, wenn mit den Autoren auf gleicher Augenhöhe vertrauensvoll und qualifiziert zusammengearbeitet wird.

Unterstellt, das Modell Ganske kommt in die Gänge, so wird sich doch etwas fundamental ändern: Die Wahrnehmung der Zeitschriftenmarke durch Informanten und Kommunikationsexperten. In welchen Gazetten werden Geschichten publiziert, wenn „Freie“ anrufen? Wo können Geschichten platziert werden, wenn der Adressat nicht mehr der Redakteur einer Zeitschrift ist?

PR lebt nicht von Werbetexten.

Geradezu dramatisch verändern wird sich aber die Welt der Unternehmenssprecher und der PR-Verantwortlichen. Vielleicht erwartet sich der eine oder andere ein leichteres Spiel, vielleicht glauben manche, ihre Botschaften ungefiltert in die Blätter schaufeln zu können.

Wenn es das sein sollte, dann wären es Pyrrhussiege. Wer sich als Journalist heute von der einen Seite instrumentalisieren lässt, lässt sich morgen von der anderen Seite einnehmen. Gewonnen ist unter dem Strich nichts. Journalismus setzt Kompetenz voraus. Und PR lebt nicht von Werbetexten im redaktionellen Teil, sondern muss Glaubwürdigkeit erzeugen.

Das ist die eine Seite. Die andere ist: Komplexe wirtschaftliche oder politische Themen erfordern es, dass der Journalist den Sachverhalt begreift. Kundige Journalisten müssen also bei ihren Anfragen nicht immer bei Null anfangen und sich alles haarklein erklären lassen. Sie wissen Bescheid und bleiben am Ball.

Natürlich gibt es auch einige, deren Fragen unterhalb der Graswurzel angesiedelt sind und die Pressesprecher einfach aushalten müssen. Aber in Zukunft wird das die Regel sein. Denn die echten Fachleute sind in der Regel gesucht und haben ihren Preis. Je mehr Redaktionen vorwiegend mit Freien arbeiten, desto mehr werden freie Autoren ohne Spezialkenntnisse redaktionelle Aufträge erhalten – und sie allein schon deshalb ausführen, weil die wirtschaftliche Situation ihnen keine Wahl lässt. Die Frage, ob ein solcher Autor der Komplexität eines Themas gewachsen ist, hat in diesem System kaum noch Platz. War Geduld schon bisher in den Pressestellen gefragt, so wird sie künftig zur Kardinalstugend.

Das ist kein Vorwurf.

Journalisten arbeiten in der Regel an verschiedenen Themen. Freie werden es noch mehr tun müssen. Wer aber als Kommunikationschef sein Gegenüber nicht kennt, argumentiert vorsichtig. Er wird nichts mehr „off the record“ erzählen, sondern sich von seinem Hausjuristen beraten lassen. Es wäre das Ende jedes vernünftigen Diskurses zwischen Journalist und Sprecher. Dennoch, das Modell könnte funktionieren. Aber nur, wenn der freie Autor nicht lediglich als Hebel zur Kostenreduzierung dient.

Erschienen in Ausgabe 04+05/2010 in der Rubrik „PR“ auf Seite 28 bis 29. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.