Sind Journalisten Stalker?

Der Fall. Eigentlich wollte der Gesetzgeber mit dem Gewaltschutzgesetz wehrlose Ehefrauen vor brutalen Ehemännern schützen. Auch Stalkern sollte Einhalt geboten werden.Das wollte sich ein Jurist zunutze machen. Er fühlte sich von einem Blogger belästigt, unter anderem durch eine E-Mail, eine Weihnachtskarte und Veröffentlichungen auf einer Webseite, die sich kritisch mit der Arbeit von Gerichten und Anwälten im Presserecht auseinandersetzt. Er verlangte nicht nur ein Kontaktverbot, sondern auch eine Art Maulkorb – dem Blogger sollte verboten werden, weiter kritisch zu berichten. Im Eilverfahren scheiterte der Jurist zunächst vor dem Amtsgericht Charlottenburg, aber das Landgericht Berlin, bekannt für seine lose Hand im Umgang mit einstweiligen Verfügungen, ließ sich nicht lange bitten: Dem Blogger wurde untersagt, sich dem Anwalt bis auf weniger als 50 Meter zu nähern, in irgendeiner Form Kontakt zu ihm aufzunehmen und „unzutreffende Behauptungen“ auf Webseiten kundzutun. Erst im Hauptprozess kippte das Amtsgericht Charlottenburg das Verbot, eine Berufung des Anwalts blieb – allerdings aus formalen Gründen – erfolglos.

Die Rechtslage. Der Gesetzestext ist weit: Kontaktverbote dürfen gegen denjenigen angeordnet werden, der eine Person „dadurch unzumutbar belästigt, dass er dieser Person gegen ihren ausdrücklich erklärten Willen wiederholt nachstellt oder sie unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln verfolgt“. Fallen darunter eigentlich auch hartnäckige Journalisten? Die mehrfach am Telefon oder per Email nachhaken, auch wenn der andere schweigen will? Die regelmäßig kritisch über eine bestimmte Person berichten? Ja, sagt das Landgericht Berlin – auch durch Veröffentlichungen könne man jemandem nachstellen. Ausreichend sei, dass das Gesamtverhalten des Bloggers als unzumutbare Belästigung zu bewerten ist. Nein, sagt das Amtsgericht Charlottenburg: Belästigende Kommunikation müsse sich direkt an den Verfolgten richten – Veröffentlichungen, und seien sie noch so kritisch, richteten sich aber an die Allgemeinheit. Weihnachtskarte und E-mail aber seien im konkreten Fall nicht als hartnäckige Belästigung zu bewerten.

Die Folgen. Die Entscheidung des Landgerichts Berlin ist nicht ohne Risiko für Journalisten und Blogger – auch wenn sie am Ende aufgehoben wurde. Hierfür sind zwei rechtliche Besonderheiten verantwortlich: Wenn das Gewaltschutzgesetz auch bei Internetveröffentlichungen greift, gilt der „fliegende Gerichtsstand“. Das heißt, dass jeder, der sich verletzt fühlt, das (Berliner) Gericht anrufen kann, bei dem er sich am ehesten Erfolg erhofft. Zudem wird bei einstweiligen Verfügungen in der Regel zunächst nicht mündlich verhandelt, es zählt allein die – eidesstattlich versicherte –Schilderung desjenigen, der das Verbot durchsetzen will. Das macht es relativ einfach, die Verfügung zunächst mal in die Welt zu setzen und abzuwarten, ob der Gegner sich wehrt. Die Kosten des erfolgreichen Antrags trägt dann der vermeintliche „Stalker“, wenn er nicht Rechtsmittel einlegt. Das sollte man im Fall der Fälle aber auf jeden Fall tun: Die Rechtsauffassung der Berliner Landrichter ist – vorsichtig ausgedrückt – nicht gerade überzeugend. Den Gang durch die Instanzen dürfte die Gegenseite deshalb scheuen – schließlich trägt am Ende der alle Kosten, der den Rechtsstreit verliert.

Erschienen in Ausgabe 04+05/2010 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 70 bis 70. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.