Stimmt’s, …?

01. … dass es Gabor Steingart mit dem Informantenschutz nicht so genau nimmt?

Als frisch gebackener „Handelsblatt“-Chefredakteur hat Gabor Steingart offensichtlich Wichtigeres zu tun, als Fragen nach seinem Umgang mit dem Informantenschutz zu beantworten. Was ihn geritten hat, einen offensichtlich langjährigen Informanten preiszugeben? Steingart versteht nicht bzw. will nicht verstehen. „Wo ist die Aufregung?“, lautet seine Gegenfrage.

Es stand im „Handelsblatt“ vom 5. Mai. Steingart verteidigte Gerhard Cromme gegen den Vorwurf des Ämtermissbrauchs. In seiner Doppelfunktion als Aufsichtsratschef sowohl von Thyssen/Krupp als auch von Siemens soll Cromme eine maßgebliche Rolle beim Wechsel des Siemens-Managers Heinrich Hiesinger an die Spitze von Thyssen/Krupp gespielt haben. Um Cromme als Ehrenmann zu verteidigen, der Regeln dann verletzt, wenn es um Höheres geht, erzählte Steingart in seinem Kommentar die Geschichte, wie sich Cromme in den Tagen der Übernahmeschlacht Thyssen/Krupp telefonisch bei ihm „im Flüsterton aus der Vorstandstoilette“ gemeldet habe – „nebendran lief noch die Spülung“. Cromme habe dies getan, um sein Versprechen einzulösen, ihn, den damaligen „Spiegel“-Wirtschaftschef Steingart, zurückzurufen und mit Informationen zu beliefern. Wieso hätte er sonst flüstern sollen?

Informantenschutz ist für einen Journalisten oberstes Gebot. Anders formuliert: Einen Informanten zu verraten ist ein Tabubruch, es verstößt gegen den Pressekodex, zerstört Vertrauen und führt dazu, dass Quellen versiegen. Mit seiner Preisgabe hat Steingart sich, dem „Handelsblatt“ und allen dort arbeitenden Journalisten einen Bärendienst erwiesen. Aber nein, Steingart versteht die Aufregung nicht.

02. … dass Gaby Papenburg nicht mehr die längst gediente Sat.1-Angestellte ist?

In der Mai-Ausgabe des „medium magazin“ stand an dieser Stelle die Geschichte von Gaby Papenburg. Sie erzählte, wie es ist, die Hälfte des Lebens bei Sat.1 zu arbeiten und dabei viele, sehr viele Kollegen, Geschäftsführer und Eigentümer kommen und gehen gesehen zu haben. „Das Herzblut ist dünner geworden“, sagte sie, erzählte vom Verlust der Identifikation und erinnerte an Zeiten, als es bei Sat.1 nicht nur um Kosten, sondern auch Inhalte ging. Über die Jahre sei der Zusammenhalt unter den Mitarbeitern der Erkenntnis gewichen, keinen Einfluss auf die Gegebenheiten zu haben. Man arrangiere sich, „uns bleibt nichts anderes übrig“.

Gaby Papenburg, die Mitarbeiterin mit der Personalnummer 097, ist diejenige, die mehr Berufsjahre bei Sat.1 verbracht hat als jeder andere Senderangestellte. Das war der Stand der Dinge bei Redaktionsschluss der Mai-Ausgabe des „medium magazin“. Inzwischen ist einiges passiert. Papenburgs Vertrag als fest angestellte Mitarbeiterin endet am 31. Dezember dieses Jahres. Offensichtlich ist sie der Sendergruppe zu teuer geworden. Zwar wird sie ihre Sendung bei N24 behalten, sie wird weiterhin Moderationsvertretungen beim Frühstücksfernsehen übernehmen und durch den Sport-Block führen. All dies wird sie von 2011 an jedoch als freie Mitarbeiterin tun und sich daneben nach anderen Arbeitgebern umsehen. So schnell kann es gehen.

03. … dass zum

Henri-Nannen-Preis nicht alle ehemaligen Chefredakteure eingeladen waren?

Es mag ja sein, dass es wenige Tage vor der Verleihung des Henri-Nannen-Preises noch 200 Zusagen mehr gab als Sitzplätze vorhanden waren im Hamburger Schauspielhaus. Um die 1.070 Menschen passen ins Schauspielhaus. Am Ende ging es dennoch wieder auf. In den oberen Rängen gab es sogar freie Plätze. Wäre da für Klaus Liedtke, der mehr als vierzig Jahre seines Berufslebens bei Gruner + Jahr verbracht hat und Chefredakteur des Preisstifters „stern“ war, nicht auch noch Platz gewesen? Im vergangenen Jahr wurde er mit einer großen Feier auf dem Hamburger Süllberg verabschiedet. Jetzt ist er im Ruhestand – und hat noch nicht einmal eine Einladung zum Henri-Nannen-Preis erhalten. „Wir behalten uns vor, wen wir einladen“, heißt es dazu lapidar bei Gruner + Jahr. Liedtke, loyal wie eh und je, würde niemals zugeben, wie sehr ihn das getroffen hat. Aus den Augen, aus dem Sinn?

Eingeladen, wie jedes Jahr, und abermals nicht gekommen ist die versammelte Führungscrew des Springer-Konzerns. Haben sie sich, wie 2008, als der „stern“ gerade über die 600 Millionen Euro teure Pin-Pleite berichtet hatte, wieder über irgendetwas geärgert und bewiesen trotzig Corpsgeist durch kollektive Absage? Oder wollten die Springer-Chefredakteure und -Vorstände nur dem Schicksal des „Spiegel“-Geschäftsführers Ove Saffe entgehen, der als „stern“-Geschäftsführer einst selbst ein paar Jahre für die Henri-Nannen-Preisverleihung zuständig war und nun am Eingang zur V.I.P.-Lounge abgewiesen wurde? Auch dort galt es, mit dem begrenzten Platz hauszuhalten. Der reichte kaum für alle Preisträger, aber immerhin für Vicky Leandros, die singende Freundin von John Jahrs Witwe Heike.

04. … dass das Arbeiten in sogenannten „Co-Working Spaces“ wie dem Berliner Betahaus für Freiberufler imageschädigend sein kann?

Manchmal, wenn wieder einmal ein Fernsehteam zu Besuch ist, geht sie einfach aufs Klo und wartet, bis der Schmu vorbei ist. Die Freiberuflerin ist genervt von den vielen Journalisten, die in letzter Zeit neugierig durch die Räume streiften, wissen wollten, wie es denn so ist, hier im Betahaus zu arbeiten, und für ihre Berichte Schicksale suchten. „Co-Working Spaces“ heißen die Einrichtungen, zu denen das vor einem Jahr eröffnete Betahaus in Berlin-Kreuzberg gehört. Die Idee: Für einen Beitrag zwischen zwölf Euro am Tag und 229 Euro im Monat kann man im Betahaus einen Schreibtischplatz mieten. WLAN, ein Café, und auf Wunsch Konferenzzimmer oder Brieffach gibt es inklusive. 120 Grafiker, Journalisten, Programmierer, Designer und Vertreter anderer Kreativberufe nutzen das Angebot. Das ist eine schöne Sache für Freiberufler, die aus Mangel an Disziplin oder wegen drohender Vereinsamung nicht allein arbeiten möchten und froh sind über Inspiration, gern aus anderen Fachbereichen. Manchmal können Gespräche in der Kaffeeküche ja sogar zu neuen, gemeinsamen Projekten anregen; das Betahaus ist auch hilfreich für Firmen, in denen wegen eines zeitlich befristeten Projekts nicht ausreichend Platz für zusätzliche freie Mitarbeiter ist; oder für Leute, die geschäftlich viel unterwegs sind und dank Betahaus und ähnlichen Einrichtungen, die es in dieser Art in vielen Städten auf der Welt gibt, froh sind zu wissen, wo sie eine Zeit lang einen Schreibtisch zum Arbeiten haben.

Allzu oft heißt es in den Veröffentlichungen über das Betahaus jedoch, diese „digitale Bohème“, die dort arbeite, sei eine Wärmestube für finanziell schlecht abgesicherte Kreative mit düsteren Zukunftsaussichten auf einen gut dotierten Arbeitsplatz als Festangestellter – ganz so, als sei die Entscheidung, freiberuflich zu arbeiten, grundsätzlich eine aus der Not geborene und ende unweigerlich in Altersarmut.

Zu dieser bedauernswerten Gruppe von am Hungertuch Nagenden möchte nun wirklich nicht jeder gehören – und deshalb verschwindet die junge Frau, von der eingangs die Rede war, gerne auf der Toilette, wenn mal wieder ein Kamerateam durchs Haus wandelt, dessen Beitrag zum Beispiel beim Rundfunk Berlin-Brandenburg in der Reihe „Von Hartz IV zur Selbstständigkeit“ läuft.

Wer will bei seinen Auftraggebern schon den Eindruck erwecken, auf jeden Auftrag angewiesen zu sein, im Zweifel auch für weniger Honorar?

Gerade haben die Verantwortlichen des Betahauses eine Studie veröffentlicht: Demnach verdienen vierzig Prozent derer, die dort arbeiten, monatlich unter 1.800 Euro brutto, nur ein Fünftel der Befragten verfügt über ein Brutto-Einkommen von mehr als 3.500 Euro – und dies, obwohl rund die Hälfte
der Befragten immerhin älter als 30 Jahre ist und zwischen drei und zehn Jahre Berufserfahrung (17 Prozent mehr als zehn Jahre) auf dem Buckel hat.

Die erfolgreiche Freiberuflerin, die keine Lust darauf hat, unter Prekariatsverdacht zu stehen, hat beschlossen, sich nach neuen Büroräumen umzusehen.

Erschienen in Ausgabe 06/2010 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 14 bis 14 Autor/en: Ulrike Simon. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.