Wenn Recht zur Fessel wird

Niemand kennt sie wirklich. Sie arbeiten hinter verschlossenen Türen, verbreiten eine Aura des Geheimnisvollen, pflegen ihre eigene, oft verschlüsselte Sprache – und sind in Politik, Verbänden und Unternehmen präsent, bisweilen omnipräsent und zunehmend omnipotent: Die Anwälte. Kein Deal geht mehr ohne sie, ein Merger sowieso nicht und ihren Marktpreis erhöhen sie schon allein dadurch, dass sie sich vermeintlich sicher auf dem Parkett bewegen, auf dem die verantwortlichen Akteure glauben, ohne sie gefährlich auszurutschen. Alle Mitspieler haben sich unterzuordnen, weil nur sie die allein selig machende Wahrheit kennen. Angeblich.

Keine Frage, guter juristischer Rat ist nicht nur teuer, sondern auch unverzichtbar. Und vordergründig spielen sie auch diese Rolle. Ob Ralph Wollburg, Top-Anwalt der Kanzlei Linklaters („Ich sehe mich vor allem als Berater.“), oder Roger Kiem von Shearman & Sterling („Der Mandant steht immer an erster Stelle.“): In aller Regel pflegen sie das Image des verlässlichen Kompasses auf rauer See, des guten Geistes, der selbstlos an der großen Sache mitwirkt.

Aber das ist nur glitzernde Fassade.

Längst haben die Anwälte in den Unternehmen die Lufthoheit über das Wort gewonnen. Wenn es nach ihrer Einschätzung kritisch wird – und das wird es nach deren juristischer Logik immer öfter –, formulieren sie sogar die Pressemeldungen, empfehlen dem Firmenchef ihnen geneigte PR-Agenturen und versuchen, sich bei anstehenden Ad-hoc-Meldungen über die angestellten Kommunikationsprofis hinwegzusetzen.

Es gibt PR-Chefs, denen dieses Vorgehen gleichgültig ist. Man entledigt sich der Verantwortung, nimmt sich aus der Schusslinie und hat vermeintlich auch weniger Arbeit und Stress.

Nur: Anwälte sind keine Kommunikationsexperten. Ihre Logik ist nicht unbedingt die Logik der interessierten Öffentlichkeit, die Pressesprecher bedienen müssen. In aller Regel erklären die Anwälte den PR-Leuten, was sie nicht sagen dürfen, dass sie nicht zu detailliert in die Themen einsteigen sollen. Eine geradezu typische Handlungsanweisung der Juristen an die Kommunikatoren bei kritischen Fragen lautet lapidar: „No comment.“ Als ob sich so einfach ein auch nur partiell beschränkter Journalist abspeisen ließe.

„Nichts sagen“ ist für den Juristen entscheidend, weil er sich im Streitfall immer darauf zurückziehen kann. Dem Unternehmenssprecher ist damit nicht gedient. Zum einen versteht man es im Kommunikationsgeschäft als Bestätigung des Gerüchts, was in der öffentlichen Auseinandersetzung kontraproduktiv ist. Zum anderen gibt der Kommunikator, der ja Meinungen beeinflussen soll, seine Deutungshoheit auf.

PR-Manager haben in dieser Situation nur eine Chance:

Sie müssen sich auf die Hinterbeine stellen und den Anwälten die Stirn bieten. Die alleinige Verantwortung über das geschriebene und gesprochene Wort muss beim verantwortlichen Sprecher liegen. Sicher: Er muss sich juristisch beraten lassen. Er darf aber keine Formulierung absegnen, die er selbst nicht verstanden hat (dann haben es 99 Prozent der Journalisten auch nicht verstanden). Und vor allem: Er darf keine Wortwahl verwenden, die den Juristen zwar zur eigenen Absicherung dient, in der öffentlichen Wahrnehmung aber nicht dem Kommunikationsziel des Unternehmens entgegenkommt. Anwälte argumentieren immer aus der Logik, im Zweifel und vor Gericht gewinnen zu wollen. Das ist auch richtig. Unternehmen brauchen aber den Abschluss des guten Geschäfts, brauchen den Deal, den Merger oder was auch immer – und damit das Wohlwollen der sie begleitenden Öffentlichkeit. Die Geschäftswelt beschränkt sich nicht auf den Radius der Kanzleien; Geschäfte werden von Käufern und Verkäufern gemacht und von der Publikumsmeinung beeinflusst. Ein Produkt braucht soziale Akzeptanz, es darf nicht diskreditiert sein. Und die handelnden Personen müssen im guten Licht erscheinen, brauchen – wie das Produkt und das Unternehmen – ein makelloses Image.

Für den Anwalt kein Thema: Er agiert hinter den Kulissen. Der Unternehmer muss aber für sein Tun um Anerkennung werben.

Und dafür ist sein Kommunikationschef verantwortlich. Ganz allein.

Anton Hunger (61) ist Journalist und war 17 Jahre Pressechef bei Porsche. Heute betreibt er das Kommunikationsbüro „publicita“ in Starnberg.

Er ist u. a. auch Mitgesellschafter von „brand eins“.

Erschienen in Ausgabe 06/2010 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 76 bis 76. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.