Wir Weltmeister im Verschweigen

Im November 2009 haben 11,3 Millionen Griechen eine neue Regierung bekommen – die prompt feststellt: die Staatskasse ist leer, von der Vorgängerin geplündert. Und die hat auch noch mit den Zahlen getrickst. Von dem Schlendrian der Griechen (zur Klarstellung – hier erstmal der Vorgängerregierung) haben die deutschen Wirtschafts- und Finanzjournalisten nichts gemerkt. Von einer Markt- entwicklung, bei der deutsche Unternehmen Jahr für Jahr für über sechs Milliarden Euro U-Bahn- und Telefontechnik, Flughäfen, U-Boote etc. nach Griechenland verkaufen, griechische Unternehmen aber nur für zwei Milliarden Euro nach Deutschland, haben sie fast nichts bemerkt. Dass einige Siemens-Manager in Griechenland wegen Bestechung und Geldwäsche verfolgt werden, hat auch nur am Rande interessiert.

Nackter Egoismus. Nachdem aber der neue Regierungschef Papandreou die Probleme benannt hatte, werden die Griechen in der deutschen Presse im Wesentlichen zu Steuerhinterziehern und Luxusrentnern, denen wir mit unserem letzten Steuergroschen aus der Patsche helfen sollen. Aber die politischen Programme zur Griechenlandhilfe und zur Rettung des Euro haben mit Solidarität mit Steuerhinterziehern und Rentnern wenig und mit nacktem Egoismus jede Menge zu tun.

Kurz gesagt, die Euro-Länder (im Boulevardjargon WIR 325 Millionen Euro-Europäer) retten Griechenland und die anderen südlichen Wackelkandidaten, um UNSERE eigene Haut zu retten. Denn wenn ein Euro-Land seine Schulden nicht mehr bedient, bedeutet das für alle dortigen Geldgeber, dass Euro-Länder leicht auch pleite gehen und das dort angelegte Geld auch weg sein könnte. Wenn aber ein solches Risiko besteht, dann will der Anleger zu Recht mehr Zinsen. Mit dem Beispiel Griechenland vor Augen wird sich jeder Anleger fragen: Wenn auch Deutschland und Italien womöglich ihre Schulden einmal nicht mehr zurückbezahlen können, sollte ich deswegen von den beiden Regierung höhere Zinsen verlangen, damit ich in deren Staatsanleihen investiere? Ein Prozent mehr solcher Zinsen bedeutet zum Beispiel für Bund, Länder und Gemeinden 17 Milliarden Euro mehr an Staatsausgaben, die durch Einsparungen oder Steuererhöhungen wieder hereingeholt werden müssen.

Wir profitieren also, wenn wir die Griechen, Spanier und Portugiesen nicht bankrott gehen lassen. Diese Schlussfolgerung ist an sich kein Hexenwerk, sie ist der Grund warum die Währung der Euro-Zone so sensibel auf die Fähigkeit der Europäer zum gemeinsamen politischen Handeln reagiert.

Allein, die Berichterstattung darüber sieht hierzulande anders aus. Der „stern“ zum Beispiel, der im Innenteil am 12. Mai kenntnisreich über die griechische Malaise berichtet, titelt draußen mit „Wir Zahlmeister“. Männer mit Goldkettchen ziehen dem deutschen Cordsakkoträger 500-Euro-Scheine aus der Tasche. Ganz ähnlich nur ohne personal touch der „Spiegel“, der am 3. Mai titelte: „Euroland abgebrannt“. Dabei ist die Neuverschuldung der USA 2010 doppelt so hoch wie die der Eurozone und in Kalifornien, nicht in Hamburg, werden die öffentlichen Bediensteten in unbezahlten Zwangsurlaub geschickt.

Noch doller treibt es in den Wochen zuvor das „Handelsblatt“. Eine 50-Euro-Note brennt, der Titel am 9. April lautet „Was bleibt vom Euro?“. Der stand da bei 1,34 Dollar, fast 60 Prozent über seinem Tiefststand. (Erst knapp sechs Wochen später fällt den Strategen aus Düsseldorf ein, dass bei einem Eurokurs von 1,20 Euro Exportvizeweltmeister Deutschland ja profitiert, weil er leichter exportieren kann. „Vertrauen kehrt an Aktienmarkt zurück“, titelt die Nachrichtenagentur Reuters am 26. Mai um 18.20 Uhr.)

Zu Ehrenrettung des „Handelsblatt“ muss man einräumen, dass nach vier Wochen Weltuntergang Chefredakteur Gabor Steingart im Mai doch weiterleben wollte: Er kaufte persönlich für 5.000 Euro griechische Staatsanleihen und berichtete darüber unter der Überschrift „Deutschland hilft!“. Es fehlte der Zusatz: sich selbst.

Kopfschütteln beim „Handelsblatt“, Stöhnen bei der Lektüre der „Bild“. Die machte ihren Lesern am 29. April weis, dass wir den Griechen Milliardengeschenke machen: „25.000.000.000 Euro! Griechen wollen noch mehr Milliarden von uns!“ Der Unterschied zwischen Leihen und Schenken ist am Balken der „Bild“ offenbar nicht gegenwärtig. Tags darauf war ein griechischer Milliardär dran, der den Unterschied zwischen Leihen und Schenken kennt. „Warum retten wir diesen Griechen-Milliardär?“, lautet die Schlagzeile. Der Fehltritt des Mannes – er hatte seiner eigenen Regierung Geld geliehen, nicht geschenkt.

Bleibt die Frage, was uns als Steuerzahler die bisherigen Hilfsprogramme eigentlich kosten – oder in der Sprache der „Bild“: „Warum zahlen wir den Griechen ihre Luxus-Renten?“ Antwort: Bislang nix, tun wir (also noch) gar nicht. Vorläufig leihen unsere Staatsbanken den Regierungen Geld. Sie verdienen damit Zinsen und sorgen dafür, dass die Zinsen für unsere Staatsschulden nicht steigen. Das sollten wir Wirtschaftsjournalisten unseren Leserinnen und Lesern baldmöglichst mitteilen.

Erschienen in Ausgabe 06/2010 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 28 bis 29. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.