So werden Medien süper

Abdul-Ahmad Rashid ist viel unterwegs in diesen Tagen. Berlin, Izmir, Duisburg: Überall sucht der ZDF-Reporter nach Geschichten der Einwanderung, genauer: nach Geschichten der ersten Generation von Türken, die vor 50 Jahren im Zuge des Anwerbeabkommens nach Deutschland kamen. Ende Oktober läuft der Film in „Forum am Freitag“– eine Online-Sendung des ZDF, die die Vielfalt muslimischen Lebens in Deutschland widerspiegelt und gleichermaßen Muslime und Nicht-Muslime, Deutsche und Türken ansprechen möchte.

Mit anderen Worten: Eine echte Ausnahmeerscheinung in der deutschen Medienlandschaft, in der deutsche Mehrheitsmedien und sogenannte Ethno-Medien ihre jeweils eigene Klientel bedienen. Weil das aber nicht so bleiben soll und muss, ist der Jahrestag am 31. Oktober 2011 für Rashid und drei Dutzend weitere türkische und deutsche Journalisten Anlass, ihre Arbeitsplätze zu tauschen – nach dem Motto: „Nicht nur übereinander reden, sondern miteinander arbeiten.“

Sie alle sind Mitglieder eines „Runden Tisches“, der alle drei Monate zusammenkommt, um integrations- und innenpolitische Themen wie Moscheebau in Deutschland, Sprache als Integrationshindernis, Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse zu diskutieren und auf diese Weise die Arbeitsweisen, Standpunkte und Befindlichkeiten der anderen Seite besser zu verstehen. Und Kollegen persönlich zu treffen, die man höchstens vom Hörensagen kannte.

An den Runden Tisch in Frankfurt hat erstmals vor vier Jahren die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau gemeinsam mit der Akademie Haus am Dom der Katholischen Kirche und der Herbert-Quandt-Stiftung eingeladen; in Berlin zog die Quandt-Stiftung in Kooperation mit dem Bundesministerium des Inneren nach. Frankfurt drängte sich als Standort geradezu auf, da fast alle türkischen Medien ihren Sitz und ihre Druckereien an der Stadtgrenze haben – sowohl die „Europa-Filialen“ der türkischen Medienhäuser wie „Hürriyet“ und „Sabah“ als auch neuere Medien, die von Migranten für Migranten gegründet wurden. Ebru TV zum Beispiel, das in deutscher und englischer Sprache sendet und dessen Redaktionsleiter Erkan Pehlivan über den Runden Tisch sagt: „Auch wenn wir manchmal hitzig diskutieren – es geht nie darum, recht zu haben. Wir wollen gemeinsam nach vorne schauen, und dafür braucht man Fachwissen und Eindrücke vom Leben der anderen.“ Rashid – deutsche Mutter, afghanischer Vater – schätzt die Anregungen und Kontakte des Runden Tisches, weil seine Sendung viele Themen aufgreift, die die türkische Community beschäftigen. Als er einmal ein verlorenes Mitglied einer türkischen Familie ausfindig machen musste, bat er „auf dem kurzen Dienstweg“ den Kollegen von „Hürriyet“ um Hilfe – der wiederum die Lokalredaktion in der Türkei einschaltete, wo die gesuchte Person leben sollte. Mit Erfolg – und viel Zeitersparnis.

Eines allerdings unterscheidet Abdul-Ahmad Rashid von den „rein deutschen Kollegen“ am Runden Tisch: Die Anliegen, Sorgen und Interessen der Migranten in Deutschland sind ihm bestens vertraut – anders als Tom Klein aus der Online-Redaktion des Hessischen Rundfunks: „Am Runden Tisch ist mir erstmals bewusst geworden, wie viele türkische Medien es im Rhein-Main-Gebiet gibt. Und mit den Themen Migration und Islam hatte ich mich vorher noch nie in größerem Maße auseinandergesetzt.“ Sport ist sein Schwerpunkt, um Social-Media-Aktivitäten kümmert er sich außerdem. Dass er der Einladung an den Runden Tisch gefolgt ist, liegt an seiner britisch-deutschen Identität: „Ich weiß, was es heißt, zwei Kulturen in sich zu tragen, nicht genau zu wissen, wo man hingehört.“

Für die Aktion am 27. Oktober haben Klein und sein Tandempartner von der Zeitung „Sabah“ deshalb beschlossen, auf Sport zu setzen: „Das spricht viele Leute an, egal welcher Nationalität.“ Während der türkische Tandempartner Ismail Erel einen früheren Eintracht-Spieler porträtiert, der in der Türkei verehrt wird, interviewt Klein Christoph Daum, der schon in beiden Ländern Trainer war. Und beim Länderspiel Türkei-Deutschland am 7. Oktober saßen sie gemeinsam im Istanbuler Stadion – eine Halbzeit im türkischen, eine im deutschen Block. Solche speziellen Angebote bedeuten einen Aufwand, den man im Alltag nicht leisten kann, meint Klein. Aber: „Die Erkenntnis, dass es auf ein und dasselbe Thema unterschiedliche Sichtweisen gibt oder dass sich unterschiedliche Fragen stellen, ist jetzt auf meinem Radar. Und da geht es nicht mehr weg!“

Genau diese Sensibilität und dieses Wissen fehlt in vielen Redaktionen. „Wir schreiben und reden immer von Parallelgesellschaften – und in der eigenen Branche sind die Mauern so hoch“, sagt Ilja Tüchter, Redakteur des Ressorts „Politik und Zeitgeschehen“ bei der „Rheinpfalz“ mit Sitz in Ludwigshafen. In jener Stadt also, wo ein Viertel der Bewohner aus dem Ausland stammt und wo 2008 ein von türkischen Familien bewohntes Haus brannte. Die Emotionen kochten hoch: türkische Medien gingen von Brandstiftung aus; die deutschen Medien warteten die Ermittlungen ab – und handelten sich so den Vorwurf ein, ausländerfeindlich zu sein. „Damals haben wir festgestellt, wie sehr wir aneinander vorbeiarbeiten“, sagt Tüchter. „Wenn wir einen Runden Tisch gehabt hätten, hätten wir deutsche Journalisten besser verstanden, was sich in den Köpfen der Türken abspielte, welche Ängste sie hatten, welche Meinung von den Deutschen. Dann hätten wir miteinander telefoniert und gefragt: Was wisst ihr? Was denkt ihr? Mit wem sprecht ihr?“ Die Austauschaktion ist für die „Rheinpfalz“ eine Chance, den Lesern zu vermitteln: Wir sind neugierig aufeinander. So wird ihnen der Kollege von „Toplum“ etwa einen Kommentar über die Rolle der türkischen Medien für die Türken in Deutschland schreiben.

Neue Leserschaften im Blick

Die Brandkatastrophe von Ludwigshafen war auch ein Schlüsselerlebnis für Hasan Aka, Redakteur von „Post“ und „Türkiye“ sowie Moderator auf TGRT-EU TV: „Statt aufeinander zuzugehen und die Sichtweise des anderen anzuhören, haben sich deutsche und türkische Medien gegenseitig Vorwürfe gemacht und die Menschen so noch mehr verunsichert. Als dann die Einladung an den Runden Tisch kam, war für mich klar: Da gehe ich hin.“ Gelohnt hat es sich schon allein, weil allen Teilnehmern deutlich wird, warum welche Themen die andere Seite bewegen: nämlich praktische Fragen wie Visapflicht, Zuzug von Ehepartnern, Wahlrecht für Türken die türkischen Medien; während die deutschen immer um Themen wie Religionsfreiheit und Menschenrechte in der Türkei oder islamischer Religionsunterricht in Deutschland kreisen.

Wer auch die Deutschtürken als Leser oder Zuschauer erreichen will, muss das wissen. Die „Rheinpfalz“ will: „Wir arbeiten an einer Strategie, die Deutsch-Türken an uns zu binden“, sagt Tüchter. Dazu gehört, junge Mitarbeiter aus Zuwandererfamilien anzuwerben. „Die bringen schon ganz andere Themen in die Redaktion, weil sie anders sozialisiert wurden.“ Und dann müssen Themen so aufbereitet werden, dass sie auch für Migranten interessant und verständlich werden. Würde man den Ministerpräsidenten Kurt Beck mal gemeinsam mit einem türkischen Kollegen interviewen, fände Tüchter es zum Beispiel spannend, „welche Fragen die beiden Seiten stellen“. Auch den Horizont der Leser erweitern solche Aktionen, ebenso wie Gastkommentare, zu denen sich die Teilnehmer des Runden Tisches bereits mehrfach eingeladen haben, wie Runder-Tisch-Koordinator Erhard Brunn zufrieden berichtet: „Das Vertrauen zwischen den Kollegen ist gewachsen!“ Außerdem brachte Brunn einzel
ne Tandems in Nordrhein-Westfalen und Berlin zusammen.

Doch zwischen den Verlagen fremdelt es zuweilen noch: Da passt die religiöse Ausrichtung oder die politische Linie des anderen nicht immer zum eigenen Selbstverständnis.Die Hausverlage von „Hürriyet“ und „Bild“, auflagenstarke und einflussreiche Blätter, fremdeln zwar nicht – Springer besitzt 19,9 Prozent an Dogan TV, der Ex-„Hürriyet“-Chefredakteur feierte schon Weihnachten bei seinem „Bild“-Kollegen Kai Diekmann –, aber beteiligen sich auch nicht an dieser fremdorganisierten kollektiven Austauschaktion.

Abdul-Ahmad Rashid freut sich darauf, den Kollegen Hasan Aka am 27. Oktober in Mainz zu haben, ein Verbündeter im Geiste sozusagen. Denn gewundert hat er sich schon, dass anlässlich des Jahrestages kein Kollege aus dem Hauptprogramm an das „Forum am Freitag“ herangetreten ist, um die Expertise von Rashid und seines Kollegen Kamran Safiarian zu nutzen: Journalist, Zusatzqualifikation: Muslim.

Link:Tipps

CIVIS-Medienpreis www.civismedia.eu

KAUSA-Medienpreis des BMBF www.kausa-medienpreis.de

Runder Tisch der Herbert-Quandt-Stiftung: www.herbert-quandt-stiftung.de

Erschienen in Ausgabe 10-11/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 30 bis 30 Autor/en: Eva Keller. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.