Blasen und Phrasen

Das Medienphänomen

Wenn Medienmacher auf der Suche nach einem Etikett sind, das man schnell irgendwo drankleben kann, dann haben wir es häufig mit einem „Phänomen“ zu tun. Das „Phänomen“ ist im Prinzip nichts anderes, als eine Rechtfertigung, warum man jetzt genau zu diesem Zeitpunkt ohne Faktengrundlage über irgendetwas berichtet. Und dafür ist es geradezu genial. Das „Phänomen Daniela Katzenberger“ beispielsweise. Man geniert sich so ein bisschen zu sagen oder zu schreiben: „Hey, alle berichten jetzt irgendwas über die blonde Tussi aus dem Fernsehen und wir könnten auch ein paar Klicks/ein bisschen mehr Auflage/eine ordentliche Quote gebrauchen. Also dann machen wir jetzt halt auch was über die.“ Stattdessen schreibt man über das „Phänomen“ und hat, eins-zwei-drei, einen eilig zusammengeschusterten, irgendwie leicht nach Feuilleton riechenden Überbau. Noch besser: „Das Medienphänomen Daniela Katzenberger“ – für alle Anhänger der Meta-Ebene. Aber Finger weg vom „Kult-Phänomen“ – das ist selbst für den Phrasenfreund mittlerweile zu abgeschmackt.

Das System Dingsbums

Wenn in der ARD mal wieder ein Skandal auffliegt (und das kommt ja beileibe nicht selten vor!), dann ist schnell die Rede vom „System ARD“. Das beigestellte Hauptwort „System“ passt, genau wie das „Phänomen“, in die von uns soeben in dieser Sekunde eilig erfundene Kategorie der Blender-Phrasen. Selbst wenn in dem Artikel auch nur das drinsteht, was überall sonst auch schon mal stand – kein Problem.

Man muss nur die „System-Frage“ stellen („Gibt es ein System ARD?“, „Gibt es ein System zu Guttenberg?“) – oder formuliert gleich direkt nassforsch: „Das System Merkel“. Dann noch eine knallige, mehr oder weniger inhaltsfreie Unterzeile im Stil von „Wie die Kanzlerin ihre Macht organisiert“ und schon ist die Kuh vom Eis.

Der Rest von so einem Text läuft wie ein frisch gewachster Langlaufski in einer neu gespurten Loipe. Dabei ist es natürlich ganz und gar unerheblich, ob Sie wirklich gewisse Strukturen aufdecken und aufzeigen. Es genügt, dass das Etikett „System“ drangeklebt wird. Schon klingt alles eine Spur wichtiger und bedeutsamer. Das ist fast wie Zauberei. Probieren Sie es ruhig mal aus: Es wirkt!

Social Irgendwas

Wir hatten Web 2.0. Wir hatten Communitys. Wir hatten Micro-Payment. Wir hatten Flat Rates bis zum Abwinken. Und heute sind wir alle social. Egal, ob man sich in einem Social Network gegenseitig Nachrichten schickt oder zwischendurch Blumenkohl in einem nervigen Spiel bei Facebook ernten muss (Social Gaming). Egal ob man aus Mitleid einem Blogger ein paar Cent rüberschiebt (Social Payment). Oder irgendwo seinen Senf in Textform dazugibt (gestern: Leserbrief, heute: User Generated Content, morgen: Social Publishing). Egal ob man einen Link im Internet speichert (Social Bookmarks), ein Kochrezept gut findet (Social Cooking), einen Artikel empfiehlt (Social Media) oder bei Youtube ein Video bewertet (Social Tagging). Und weil keiner weiß, wann das nächste Modewort die Branche erobert, schadet es nichts, die Social-Phrase bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit zu benutzen. Alles ist social.

Paukenschlag!

Um die Dramatik einer vergleichsweise öden und/oder banalen Meldung ein wenig aufzupeppen, kann man sich trefflich eines „Paukenschlags“ bedienen. „Paukenschlag beim, Focus‘! Weimer schon wieder weg!“, wäre so ein Beispiel. Paukenschlag bei Daimler, Paukenschlag bei Deutscher Bank, Paukenschlag in der Koalition, und so weiter. Wie so oft spielt das, was danach kommt, eine untergeordnete Rolle. Hauptsache am Anfang wird ordentlich Rabatz gemacht und wie irre auf die Pauke gehauen. Es gilt in Umkehrung eines berühmten Sprichworts von Altkanzler Helmut Kohl: Wichtig ist nicht, was hinten rauskommt, sondern was vorne dransteht.

Hier noch ein Beispiel für die Anwendung: „Paukenschlag beim ‚Medium Magazin‘ – Phrasenkolumne mit letzter Folge!“ 267 Phrasen haben wir an dieser Stelle gedroschen. Das sollte für einige Zeit reichen. Und immer dran denken: Qualitätsjournalismus 2.0 ist das Premium-Segment der Zukunft!

Erschienen in Ausgabe 12/2011 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 66 bis 66. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.