Fallstrick: Plattformen bieten

von Silke Burmester

Sie haben die Dokumentation über Margot Honecker im NDR gesehen und gehören zu denen, die sich sehr, sehr aufregen mussten? Weil es nicht sein kann, dass man dieser Frau so eine Plattform gibt? Ein paar Wochen zuvor haben Sie das Interview von Claus Kleber mit Mahmud Ahmadinedschad gesehen und mussten sich wieder aufregen, und zwar aus dem gleichen Grund? Und Sie haben sich gefragt, wie die Medien den Prozess um Anders Breivik begleiten werden? Wie sie die Balance zwischen Berichterstattung und Plattformbieten austarieren werden, und waren schockiert, als Sie ihn unter anderem in der „Frankfurter Rundschau“ und Teilen der Springer-Presse mit Siegerfaust abgebildet sahen?

Ich fasse das Geschehen noch einmal kurz zusammen: In einem Film von Eric Fiedler über Margot Honecker gibt es neben historischen Aufnahmen ein Gespräch mit der heute in Chile lebenden 84-Jährigen. Es ist das erste Fernsehinterview, das sie seit 20 Jahren gegeben hat. In dem Gespräch verweigert sie jegliche Bereitschaft, die DDR als Unrechtsstaat wahrzunehmen und seine Unmenschlichkeit zu erkennen. Die Toten und Eingebuchteten sind für sie „bezahlte Dummköpfe“, die diesen Weg nicht hätten gehen brauchen. Darüber hinaus beschwert Frau Honecker sich, von „unverschämten“ 1.500 Euro Rente leben zu müssen.

Claus Kleber hatte sich lange um ein Interview mit Mahmud Ahmadinedschad bemüht und war dann flugs angereist, als der Diktator „Jetzt!“ rief. Im Gespräch ließ Kleber sich die Regie aus der Hand nehmen, sich von Ahmadinedschad durch Gegenfragen ins argumentatorische Niemandsland leiten und ließ etwa die Holocaust-Leugnung unwidersprochen stehen.

Aus den Bildern, aus den O-Tönen, die von der Realitätsverweigerung Margot Honeckers künden, haben viele Medien dem Autor des Films und dem NDR einen Strick gedreht. Zahlreiche Zeitungen haben die Worte des Leiters der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, gedruckt, der sagte: „Ich wundere mich allerdings auch, dass eine öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt ihr für diese zynischen Äußerungen ein solches Forum einräumt.“ Friedrich Schorlemmer wurde ähnlich zitiert und CDU-Allrounder Wolfgang Bosbach sagte „Bild“ zur Frage „Warum wird der unbelehrbaren Margot überhaupt so eine Bühne im TV geboten?“: „Ich verstehe das überhaupt nicht!“

Das, was diese Herren nicht verstehen, ist die Funktion der Vierten Gewalt in diesem Staat. Es ist Aufgabe der Medien, unter anderem absolute Personen der Zeitgeschichte vorzustellen und über sie zu berichten. Wenn man dies tun kann, indem man sie selbst zu Wort kommen lässt, umso besser! Zu erwarten, dass das, was gesagt wird, gefällig ist oder Konsens, ist naiv.

Anders als die Herren es ahnen, liegt in dem Unbehagen, das die Personen auslösen, die Kraft der Medien: Würde man in einer Dokumentation behaupten, Margot Honecker sei realitiätsverweigernd und glorifiziere die DDR, hätten sich etliche gefunden, die das als Agitation und Rache an ihr abtäten. Diese Worte von ihr selbst zu hören, mag zwar schmerzhaft sein, doch ist es der Weg, einer Heroisierung und einer Verklärung entgegenzuwirken.

Der Frage nach der „Plattform“ wohnt die Angst inne, dieser Mensch könne Anhänger gewinnen. Und die Angst, Menschen könnten durch undemokratische Positionen beeinflusst werden. Doch über wen reden wir hier konkret? Sollte jemand begeistert an den Lippen Margot Honeckers gehangen haben, dürfte es sich um ähnlich rückwärtsgewandte 84-Jährige handeln, denen eh nicht mehr zu helfen ist. Soll heißen: Einordnung kann nicht schaden.

Differenzierter muss das Gespräch mit Ahmadinedschad betrachtet werden: Welchen Nutzen hatte der Diktator davon zu jenem Zeitpunkt? In welche politisch brisante Situation hinein sendete das ZDF das Interview, „auf das die Welt schaut“, wie Kleber selbst es formulierte? Und: Will man das bedienen? Die Sendeverantwortlichen konnten nicht wissen, dass der gestandene Politjournalist ein schwaches Bild abgeben würde, dass das Gespräch Ahmadinedschad in die Hände spielen würde, um sein Image als Verteidiger des Guten aufzupolieren. Eine solche Gefahr ist jedoch immer gegeben. So muss die Frage der Verantwortlichen, ob man einem Scoop zu liebe dem Ruf des Bösen folgen soll, vor allem – und das ist wohl das Schwierigste – frei von Eitelkeit(en) betrachtet werden.

Dieses quotenunfreundliche Denken muss auch beim norwegischen Massenmörder Anders Breivik greifen, der seine Taten als Antwort auf eine „Überfremdung“ verstanden sehen will. Die Erfahrung lehrt, dass solche Menschen Bewunderer finden, Nachahmer. Und dass Medien eine große Rolle dabei spielen, inwieweit aus einem Irren ein Held wird. Wenn Sie mich, Ihre Moralberaterin, fragen, ich empfehle, die Berichterstattung über den Prozess gegen Breivik auf ein Nachrichtenmaß zu reduzieren. Keine Features, keine O-Töne und vor allem keine Bilder. So viel Zurücknahme und vor allem ein kollektives Handeln ist wahrscheinlich eine Utopie. Die Veröffentlichung der Bilder hingegen, in denen der Norweger seine geballte Faust in die Luft reckt, ist in ihrer Verantwortungslosigkeit erschreckend und veranschaulicht einmal mehr, wie heuchlerisch viele Medien sind, die so tun, als sähen sie es als ihre Aufgabe an, diese Gesellschaft zusammenzuhalten. Da ist eine Frau wie Margot Honecker am Ende ehrlicher.

Silke Burmester schreibt an dieser Stelle als Kolumnistin.

Die freie Journalistin und Dozentin hat gerade ein Pamphlet gegen die Medienhysterie veröffentlicht: „Beruhigt Euch!“ (Kiwi 2012) E-Mail: siburmester@aol.com

Erschienen in Ausgabe 04+05/202012 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 73 bis 73. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.