„Man muss auf Youtube sein“

Herr Hündgen, Webvideos boomen wie nie zuvor. Kann der Journalismus davon profitieren?

Markus Hündgen: Journalismus und Webvideos haben noch nicht richtig zueinander gefunden. Journalisten machen zu selten Webvideos und wenn sie es tun, dann oft einfach schlecht. Da wird einfach drauflosgefilmt, alles Mögliche muss als Kamera herhalten. Das war vor ein paar Jahren, als die Bilder im Netz laufen lernten, noch in Ordnung. Aber die Ansprüche der Zuschauer sind längst viel höher.

Dabei verzichtet heute kaum ein Medium mehr auf Webvideos. Bei vielen Zeitungen sind mobile Reporter im Einsatz. Ist das noch der richtige Weg?

Ich sehe bei den Tageszeitungen seit zwei bis drei Jahren eine Stagnation. Es wurde wenig investiert, eher zurückgefahren, genauso wie die Qualität der Videos nicht besser geworden ist. Dabei würde sich gerade im Lokaljournalismus so viel mehr mit Bewegtbild machen lassen. Ein mobiler Reporter ist ein Anfang, nicht mehr.

Was sind denn die Probleme der klassischen Medien, wenn sie sich an Webvideos wagen?

Es sind einfach Ressourcenfragen. Zu wenige Leute müssen noch zu viel machen. Es muss mehr Professionalisierung, mehr Ausbildung geben, damit diese Leute das komplexe Berufsbild dauerhaft bewältigen können und nicht nach zwei Jahren sagen: „Ich muss was anderes machen, das ist zu heftig.“

Videos von der Dorfkirmes riechen auch im Web nach Provinz. Mit welchen Themen könnte man denn punkten?

Wenn man sich was einfallen lässt, kann man fast jedes Thema machen. Nur: Mit altbackenen Standards lockt man niemanden hinterm Ofen vor. Nicht nur auf Youtube sehen wir ja, was man anders machen kann, zum Beispiel im Service-Bereich. Dort gibt es neue Formate, die Journalisten eher argwöhnisch beobachten. Aber damit erreicht man die Leute. Und man kann sogar Geld verdienen. Das haben wir von einem wie Tech-Blogger Sascha Pallenberg gelernt.

Das heißt, ein Unboxing-Video der Lokalredaktion vom neuen iPad kann durchaus sinnvoll sein?

Ob es für eine Regionalzeitung das iPad sein muss, ist die Frage. Aber wenn es Interesse der Bevölkerung an neuen Produkten aus der Region gibt, kann man das dafür genauso machen. Warum nicht in die lokale Brauerei gehen und gucken, was da gemacht wird? Es darf nur nicht wieder so sturzlangweilig sein.

Als ein Kernproblem werden natürlich immer wieder die Kosten genannt. Kann man mit Webvideos überhaupt was verdienen?

Wie immer beim Journalismus ist es auch mit Videos schwer, im Netz Geld zu verdienen. Werbung wird nur begrenzt funktionieren, weil es da auf Reichweite ankommt und der deutsche Markt sehr klein ist. Deshalb braucht es neue Finanzierungsmöglichkeiten. Da kommen die Öffentlich-Rechtlichen in Frage, denen der Gesetzgeber erlauben muss, mehr im Netz zu machen. Eine andere Möglichkeit wären Stiftungsmodelle, wie es sie in den USA schon im Journalismus gibt.

Sollte jede Zeitung einen eigenen Youtube-Kanal haben?

Definitiv. Genauso wie man heute von jedem Medium verlangt, auf Facebook und auf Twitter zu sein, gilt das für Videomacher für Youtube. Es wird gerne vergessen, dass Youtube nicht nur eine Abspielplattform ist, sondern ein soziales Netzwerk. Wenn ich mir die Kanäle von manchen, auch großen Zeitungen angucke, kriege ich das Grausen.

Was ist so schlimm?

Die sind nicht gestaltet, schlecht gepflegt und kein Mensch interessiert sich für die Kommentare, die unter den Videos stehen. Es findet kein Community-Management statt, keine Suchmaschinenoptimierung, obwohl sich das sonst inzwischen überall durchgesetzt hat. Da brauche ich mich nicht zu wundern, wenn meine Videos nur von 130 Leuten angeguckt werden.

Was können Journalisten von den erfolgreichen Youtubern denn lernen?

Das Allerwichtigste ist vielleicht: Wie gehe ich mit meinen Zuschauern um? Man muss sich mal angucken, mit welcher Ehrlichkeit, mit welcher Tonalität die sich mit ihren Zuschauern unterhalten, dafür, dass die denen ihre Aufmerksamkeit schenken. Webvideo ist Dialog und diesen Schritt müssen die Medien endlich gehen.

Markus Hündgen ist im Internet besser als der „Videopunk“ bekannt. Von 2007 bis 2010 war er Ressortleiter Video bei „Der Westen“ und stattete als einer der Ersten in Deutschland Lokalredakteure mit Flip-Kameras aus. Inzwischen ist er unter anderem Geschäftsführer der „European Web Video Academy“, die den Deutschen Webvideopreis ausrichtet. Sein Blog heißt: www.videopunks.de

Erschienen in Ausgabe 04+05/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 41 bis 41 Autor/en: Interview: Moritz Meyer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.