Medien-Nachrichten aus aller Welt: Die Weltreporter berichten für „medium magazin“ rund um den Globus.

Birgit Kaspar aus Frankreich

Seitenlange Sarkozy-Elogen

PARIS. „Hilfe, Sarkozy kommt wieder!“, titelte das Magazin „Le Nouvel Observateur“. Da braucht man kein Insiderwissen: Die Zeitschrift ist politisch links. Die großen Printmedien bezogen im Präsidentenwahlkampf von Anfang an klar Position. Sie geben sich kaum Mühe, Überparteilichkeit vorzuspiegeln. „Libération“, „Le Monde“, „Le Nouvel Observateur“ unterstützen den Sozialisten François Hollande. Und „Le Figaro“, „Le Journal du Dimanche“ und „Le Point“ setzen den konservativen Präsidenten-Kandidaten Nicolas Sarkozy ins rechte Licht: Unter dem Titel „Mission erfüllt“ feierte „Le Figaro“, die dem Industriellen und Sarkozy-Freund Serge Dassault gehört, das tödliche Ende des Merah-Dramas in Toulouse. Um im Blatt mit einer seitenlangen Sarkozy-Eloge nachzulegen: „Vier Tage im Leben des Präsidenten.“ Eine Art Hofberichterstattung.

Die offene Parteilichkeit ihrer Direktion wurde den Angestellten der „Libération“ am Ende zu viel. In einem Kommuniqué beklagten die in der „Societé civile des personnels de Libération“ repräsentierten Mitarbeiter „reißerische Titelseiten“ und eine „parteiliche politische Kommentierung, die das Blatt der Sozialistischen Partei unterzuordnen scheint“. Andere Journalisten taten sich mit einer parteilichen Rolle offenbar nicht so schwer.

„Bestimmte Fragen werden nicht gestellt, bestimmte Themen nicht recherchiert“, kritisierte Jean Quatremer, Brüssel-Korrespondent der „Libé“. Das gilt großteils auch für Radio und TV, aber die setzen auf „Live“-Berichterstattung: Kameras folgen den Kandidaten auf Schritt und Tritt, ihre Auftritte werden von Nachrichtensendern direkt übertragen. Seinen Tiefpunkt erreichte dieser Live-Wahn am ersten Wahlabend, als ein Reporter des öffentlich-rechtlichen Senders France 2 auf seinem Motorrad Sarkozys Wagen mit halsbrecherischen Manövern quer durch Paris folgte. Zweimal fuhr der Reporter ganz dicht ran, hielt sein Mikro vor die geschlossene, verdunkelte Autoscheibe und fragte tatsächlich: „Herr Sarkozy, dies ist France 2, was fühlen sie in diesem Moment?“.

Kilian Kirchgessner AUS der Slowakei

Vom Wolf zum Lamm

BRATISLAVA. Anfang April ist Robert Fico nach vorgezogenen Neuwahlen wieder an die Macht gekommen – von 2006 bis 2010 war er als Chef der slowakischen Linkspopulisten schon einmal Premierminister. Noch in der Wahlnacht gab er seine erste Pressekonferenz, jovial lächelte er in die Runde, und noch bevor er sein Programm verkündete, versprach er eine offene und faire Zusammenarbeit mit den Medien.

Die Journalisten trauten ihren Ohren kaum.Aus seiner zurückliegenden Amtszeit gibt es diese Videos, auf denen der Linkspopulist keine gute Figur macht: Vor ihm auf dem Tisch stehen mehrere Mikrofone, er redet sich in Apparatschik-Manier minutenlang in Rage. „Idioten“, zischt er, anfangs noch beherrscht, im Laufe seines Monologs immer wütender: Er schimpft gerade auf die Journalisten, die auf der anderen Seite des Tisches sitzen. Sein Kampf galt damals vor allem den Redaktionen: Als Hyänen und Schlangen, als Prostituierte oder eben Idioten titulierte er die Journalisten, wenn sie unliebsame Kommentare schrieben. Dazu erließ er eigens ein neues Pressegesetz, nach dem seine Regierung die Redaktionen beinahe nach Gutdünken mit Gegendarstellungen überziehen konnte.

Nun also wohl ein Sinneswandel: „Er ist ein anderer geworden als früher“, frohlockte der Chefredakteur einer großen Zeitung. Die Journalisten untersuchen inzwischen jede Geste und jedes Wort des neuen Regierungschefs auf Indizien für einen neuen Stil – und finden tatsächlich einige Anhaltspunkte. Schon im Wahlkampf war er, der sich zuvor immer als Liebling des Volkes betrachtete und explizit nicht als Liebling der Medien, kooperativ mit den Journalisten umgegangen.

Für alle Fälle aber hat er ohnehin schon einmal vorgesorgt: Seine Partei Smer betreibt den eigenen Fernsehkanal Smer TV – der ist online, außerdem gibt es ihn als App für Smartphones und Tablets. Der Sender zeigt in ungeschnittener und ungekürzter Fassung Pressekonferenzen und Stellungnahmen aller Granden der Partei, feinsäuberlich nach Themengebieten und Datum sortiert. Dazu gibt es bei wichtigen Anlässen eigene „Reportagen“ – etwa ein Fünf-Minuten-Stück über den Amtsantritt der neuen Regierung. Darin ist immer wieder Robert Fico zu sehen, gefilmt beim Betreten jedes einzelnen Ministeriums.

Dass er mit Smer TV zumindest ein bisschen unabhängiger geworden ist von den öffentlich-rechtlichen und privaten Medien, scheint zum Kalkül zu gehören. Ficos Charmeoffensive Richtung Presse dauert trotzdem an. Seine Regierung ist jetzt die ersten Wochen im Amt. Um zu sehen, wie langfristig sein Stilwechsel tatsächlich ist, muss man wohl noch ein paar Monate warten.

Klaus Bardenhagen aus Taiwan

Nicht auf der Medienlandkarte

TAIPEH. Das Land ist klein, weit weg und politisch kompliziert – es gibt also mindestens drei Gründe für deutsche Redaktionen, nicht oder kaum über Taiwan zu berichten. Das noch dazu diplomatisch von kaum einem Staat anerkannt wird, Chinas Einfluss sei Dank. So vermelden Agenturen besonders gern Skurrilitäten, die sich schon in der Überschrift auf den Punkt bringen lassen („Frau heiratet Gottheit“, „Sammelprämie für Hundekot“). Gern genommen sind auch Naturkatastrophen: Als ein Taifun 2009 ein Dorf ausradierte und hunderte Menschen ums Leben kamen, war Taiwan an fünf aufeinanderfolgenden Tagen ein Thema für die „Tagesschau“. Als die Menschen im Januar dieses Jahres zum fünften Mal ihren Präsidenten in freier Wahl selbst bestimmten, war das dem Flaggschiff der deutschen TV-Nachrichten nur einmal einen 25-sekündigen Bilderteppich wert. Für Chinesen liegt Taiwans Demokratie in weiter Ferne. Für deutsche Mediennutzer oft auch.

Man merkte das am Jahrestag von Japans Erdbeben-Tsunami-Atomkatastrophe: Sonderseiten, Sondersendungen, Analysen. Doch die erstarkende Anti-Kernkraft-Bewegung in Taiwan, vor Japans Haustür gelegen und genauso erdbebengefährdet, tauchte in deutschen Medien kaum auf. Auch nicht, dass im März tausende Demonstranten in Taipeh protestierten: gegen zwei Alt-AKWs direkt neben dem Sechs-Millionen-Ballungsraum und für den Atomausstieg nach deutschem Vorbild. Taiwan ist die einzige chinesischsprachige Demokratie mit Meinungs- und Demonstrationsfreiheit. Der 23-Millionen-Inselstaat liefert den höchst lebendigen Beweis dafür, dass sich Demokratie und chinesisch-konfuzianisch geprägte Kultur doch nicht ausschließen. Und doch steht er meist im toten Winkel der deutschen Medien.

Erschienen in Ausgabe 04+05/202012 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 20 bis 21. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.