Das Schachern am Baumwall

Alexandra Jahr jagt und verlegt mit Leidenschaft – so präsentiert sie sich ihren Lesern und Mitarbeitern. Wer in ihrem Verlag in Hamburg-Eppendorf für eine ihrer 34 Zeitschriften arbeitet, der muß sich wirklich dafür interessieren, worüber er schreibt. Ihr Verlag Top Jahr Special stehe „für Leidenschaft pur“, heißt es in einer Imagebroschüre zum zum 40-jährigen Bestehen 2011. Ihr Slogan: „Wir leben Ihre Leidenschaft.“ Die Journalisten der Top Jahr-Titel (die in sechs Ländern erscheinen; davon 23 in Deutschland) teilen angeblich mit ihren fast drei Millionen Lesern die Begeisterung fürs Jagen, Angeln, Reiten, Golfen, Tennis, Segeln, Tauchen oder fürs Fotografieren. Allein in Hamburg produzieren rund 160 Mitarbeiter 18 regelmäßig erscheinende Titel, dazu rund 70 Sonderhefte.

Alexandra Jahr verlegt Fachzeitschriften, die die Nische in der Nische suchen, und nicht nur über Angeln, sondern über „Blinker“ oder übers „FliegenFischen“ berichten, wie zwei ihrer Hochglanz-Verlagstitel heißen. Die nicht nur über die Jagd informieren, sondern – wie die Zeitschrift „Sauen“ – über Schwarzwild-Jagd, und deren Experten „todsicher“ wissen, „wo die Sauen jetzt liegen“ und Jägern Empfehlungen geben, „wie Ihre Ehe die Jagdsaison übersteht“. Für dieses spezielle Interesse „…stehen wir – Jahr für Jahr“, versichert Alexandra Jahr. Das klingt gut.

Aber gilt das auch für das Verlagsgeschäft grundsätzlich? Wie weit reichen ihre Ambitionen als Verlegerin? Ihren Verlag hat die bald 48-Jährige (*4. November) vom Vater Alexander geerbt. Er war der jüngste Sohn von John Jahr senior, der Gruner und Jahr (G+J) 1965 gründete. Sohn Alexander startete seinen Fachverlag 1971, und natürlich war er „leidenschaftlicher Jäger, Angler, Segler, Landwirt und Pferdezüchter“, wie sein Verlag 2006 im Nachruf schrieb. Viele Jahre war Alexander Jahr auch bei G+J engagiert und saß dort von 1974 bis 1999 im Aufsichtsrat; als dienstältestes Mitglied. 2000 fusionierte sein Jahr Verlag mit dem Top Special Verlag von Springer. Damals übergab er die Geschäftsführung an die Tochter.

Das alles wäre unwichtig, ginge es bei G+J in diesen Tagen nicht um diese eine entscheidende Frage: Gibt es in der nächsten Generation in der Familie Jahr noch Verleger, die in der Tradition der Väter stehen? Falls ja, wollen und können sie die Familie überzeugen, G+J nicht zu verkaufen?

Was die erste Frage betrifft: Alexandra Jahr erweckt zumindest einen solchen Eindruck. Sie hat 2011 ihre beiden Schwestern ausbezahlt, 2012 ebenso den Mitgesellschafter Springer, der 50 Prozent hielt. Als sie den Rückkauf im Februar bekanntgab, war ihr der Hinweis wichtig, dass sie in der Tradition ihres Vaters und Großvaters stehe und deren Engagement fortsetze.

Alexandra Jahr ist heute die letzte Verlegerin aus der nächsten Erbengeneration der Familie Jahr. Prädestiniert sie ihre Arbeit beim kleinen Jahr-Verlag nicht dazu, auch eine größere Rolle im großen Jahr-Verlag zu spielen? Müsste sie nicht ein Interesse haben, G+J in der Familie zu halten? Sie hat den fremden Teilhaber (Springer) ausbezahlt und führt ihren Verlag nun alleine. Das wäre so, als würde die Jahr-Familie Bertelsmann rausdrängen. Ein kühner Gedanke.

Aber Insider in Hamburg winken ab. Ihre Passion erstrecke sich nicht auf G+J. Anders als ihr Vater und dessen drei Geschwister ist sie dort nicht aktiv. Deshalb erwarten sich langjährige Mitarbeiter von G+J, die die Verhältnisse im Jahr-Clan kennen, nichts von ihr. Sie vermuten, dass Alexandra Jahr G+J eher verkaufen möchte, als dort zu investieren. Sie selbst antwortet auf eine Anfrage des „medium magazin“: „Bitte haben Sie Verständnis, wenn ich weder direkte noch indirekte Fragen zu Gruner und Jahr bzw. Bertelsmann beantworten möchte.“

Die Jahrs haben sich damit abgefunden, hin- und wieder gegen die Gesellschafter in Gütersloh zu mosern, und stillschweigend ihre Garantiedividende eingestrichen. Angeblich sind ihnen 30 Millionen Euro jährlich fest zugesagt. Die bittere Wahrheit lautet, dass sich die Erben des Gründers, Jahr für Jahr, vom Verlagsgeschäft verabschiedet haben.

Daran ist der Mehrheitsgesellschafter Bertelsmann nicht ganz unschuldig. Bertelsmann hat G+J schon immer als Finanzinvestment geführt. Adolf Theobald, früher „Spiegel“-Geschäftsführer und Chefredakteur der G+J-Zeitschriften „Capital“ und „Geo“, erlebte Reinhard Mohns Einstieg bei G+J als Entwicklungschef des Verlags. Der Bertelsmann-Chef hatte zunächst 25 Prozent erworben und kündigte seinen Besuch an. G+J-Chef Naumann bereitete seine Mitarbeiter auf ein Gespräch über publizistische Inhalte mit Mohn vor. Doch daran war Mohn nicht interessiert. Er wollte nur wissen: Wann ist die Tiefdruckmaschine in Itzehoe abgeschrieben? Wie hoch sind die Rabatte der Grossisten? Wie steht es um die Ausstattung der Zeitschriften? Das Geld für den Kauf der G+J-Anteile hatte er sich von der Westdeutschen Landesbank geliehen, zu einem saftigen Zinssatz, wie Theobald sich im „Spiegel“ erinnerte: „Fortan mussten wir mit G+J mindestens so viel Gewinn machen, wie die WestLB jährlich kassierte. Damals war der Begriff Hedgefonds noch nicht so geläufig. Aber Mohn zahlte die Kaufsumme aus seinem Gewinnanteil.“

In Gütersloh versteht man unter Verlegen das Auslasten der eigenen Druckereien. Deshalb hat Bertelsmann in den 50er Jahren selbst einmal versucht, mit einer Zeitschrift in dieses Geschäft einzusteigen – ohne Erfolg. Deshalb kaufte die Gütersloher Druck- und Servicesparte Arvato die Medienfabrik und produziert mit ihr Kundenmagazine, sogenanntes Corporate Publishing, eines der wenigen Wachstumsfelder im Zeitschriftengeschäft. Statt um Inhalte geht es Bertelsmann um Druckaufträge.

Als Angelika Jahr im April 2008 vom Vorstand in den Aufsichtsrat rückte, sagte die Tochter des G+J-Gründers bei einer Feier vor 700 Gästen in der Hamburger Fischauktionshalle über das Verhältnis ihrer Familie zum Verlag: „Der Jahr-Clan wächst und er hält zusammen wie Pech und Schwefel. Und wenn es wirklich einmal so weit kommen sollte mit dem Verkauf, dann werden wir zu G+J stehen, denn wie ich schon sagte, es ist Liebe und dies ist ein Versprechen.“ Mit anderen Worten: Eher würde der Mehrheitsgesellschafter Bertelsmann, dem 74,9 Prozent von Europas größtem Zeitschriftenverlag gehören, seine Anteile zu Geld machen, als dass die Jahrs jemals aussteigen würden. Das war das Versprechen. Gilt es auch heute noch?

Der Wert des Verlags sinkt, G+J verliert gegenüber Burda, Springer und Bauer Marktanteile. In Berlin dagegen brachte der ehemalige G+J-Vorstandsassistent Mathias Döpfner das Kunststück fertig, dem Springer Verlag den Nimbus eines Innovationsunternehmens zu geben, dessen Mitarbeiter heute ein Selbstbewußtsein zeigen, dass man früher nur bei G+J erlebte.

Zwar bezeichnet G+J sich als führender Zeitschriftenverlag in Europa – schließlich verlegt man Qualität. Doch digital hinken seine Marken wie „Stern“ und „Brigitte“ hinterher, weil die Gesellschafter in den vergangenen zehn Jahren kaum mehr investiert haben. Ihre letzte größere Investition waren rund 500 Millionen im Jahr 2000 in den Zukauf von Zeitschriften – allerdings in den USA.

Vor allem Bertelsmann drängte G+J, jährlich rund 200 Millionen Euro abzuliefern, um Schulden zu begleichen. Das ergibt in zehn Jahren eine Milliardensumme, die eigentlich für Investitionen dringend gebraucht worden wären. Die Jahrs können mit ihrem Veto aber nur Entscheidungen verhindern, sie können nichts durchsetzen – und sie haben das Geld gerne selbst genommen und anderweitig investiert. Außer G+J gehören der Familie auch Immobilien, Spielbanken, Restaurants und andere Beteiligungen.

G+J verliert angeblic
h jährlich rund 200 Millionen Euro an Wert, zitierte das „manager magazin“ aus Analysen zweier Banken. In zehn Jahren sei der Wert von dreieinhalb auf zweieinhalb Milliarden Euro gesunken. Ein Tausch gegen stabile Investments liegt für kühle Rechner also nahe. Die zweite Erben-Generation der Familie Jahr arbeitet nicht mehr im Verlag und zeigt kaum Interesse am Journalismus. Der ehemalige Geschäftsführer der Jahr-Holding, Burkhard Schmidt, der im Interesse der Familie jahrelang einen harten Kurs gegen Bertelsmann fuhr und die Rechte der Jahrs juristisch austestete, wurde 2011 ausgetauscht gegen Winfried Steeger, der sich gut mit Bertelsmann-Chef Rabe versteht.

Anders als früher schweigen die Jahrs heute zur Entwicklung bei G+J. Als der NDR kürzlich Angelika Jahr an ihr Versprechen von 2008 erinnerte, sagte sie nur, es sei „nicht der richtige Zeitpunkt für Spekulationen“.

Das „manager magazin“ schrieb in der September-Ausgabe: „An dem Werteverfall, davon ist man in Gütersloh überzeugt, tragen nicht allein die ungünstigen Umstände die Schuld – Springer und Burda sind mit ihrer Internetstrategie erfolgreich –, sondern auch und vielleicht sogar in erster Linie der G+J-Gouverneur Bernd Buchholz.“ Das Magazin zitierte aus dem hausinternen Halbjahreszeugnis: „Er hat seine Hausaufgaben nicht gemacht.“

War das Magazin bewusst von Bertelsmann genutzt worden, um den Verlag schlecht zu reden und damit den Preis für die restlichen 25 Prozent zu drücken? Das ist naheliegend und dafür spricht, dass der Inhalt bereits zwei Tage vor Erscheinen wohlwollend in Gütersloh zur Kenntnis genommen und erfreut an Liz Mohn weitergemeldet wurde. Das ist möglich, weil das „manager magazin“ bei Mohn Media in Gütersloh gedruckt wird und lange bevor Vorabmeldungen über den Ticker laufen und das Heft in den Briefkästen der Abonnenten landet oder an Kiosken liegt, zur Auswertung in der Pressestelle der Konzernzentrale liegt. Dort hatte man auch im Fall der Attacke gegen den G+J-Chef Buchholz alle Zeit der Welt, ein Dementi zu formulieren.

Zumindest hätte der G+J-Aufsichtsratsvorsitzende Thomas Rabe den G+J-Vorstandsvorsitzenden Bernd Buchholz über den Inhalt der Geschichte informieren können, also darüber, dass Bertelsmann und Familie Jahr über einen Verkauf verhandelten. Daß das nicht geschah, wertete Buchholz als Vertrauensbruch, denn erst aus dem „manager magazin“ erfuhr er von den Verhandlungen. Buchholz, stets Diener zweier Herren als G+J-Chef und zugleich Vorstand bei Bertelsmann, musste feststellen, dass ihn keiner von beiden ins Vertrauen gezogen hatte. Das war ein doppelter Verrat, der den Ausschlag gab für seinen Rücktritt.

Was würde eine Übernahme für G+J bedeuten? Wohin will der neue Vorstandschef Thomas Rabe, seit Anfang 2012 im Amt, mit Bertelsmann? Das ist auch nach einem Treffen von 500 Managern in Gütersloh im September nicht wirklich klar geworden. Er spricht von Wachstum in den USA, Südamerika und Asien, von Investitionen in den Bereich Bildung. Seit Jahrzehnten aber macht Bertelsmann 80 Prozent seines Geschäfts in Europa.

Will Bertelsmann bei G+J die Kernmarken möglichst lange erhalten und „transformieren“, muss der Verlag investieren. Darin liegt die eigentliche Herausforderung: Journalismus so zu transformieren, dass er auch im Internet eine kaufmännische Zukunft hat. Bislang investiert G+J jedoch kaum, anders als die Konkurrenz von Springer, Burda und Bauer. Bislang sorgt der Printsektor für mehr als 90 Prozent der Erlöse. Was passiert, wenn diese Erlöse in einigen Jahren ausbleiben? Überlegungen, in die Printmarken zu investieren, gibt es in Hamburg nicht, sagen Insider. Im Gegenteil: in Zeiten sinkender Auflagen und Anzeigengeschäfte werde über Einsparungen nachgedacht. Investitionen in die Onlineangebote sind wahrscheinlich.

Familie Jahr wollte den Mitgesellschafter Bertelsmann ab 2001 dazu bringen, zu investieren – ohne Erfolg. Als Folge begann eine Phase, in der sie über fünf bis sechs Jahre ihre Rechte austestete. Sie forderte einen eigenen Wirtschaftsprüfer und einen sogenannten Abhängigkeitsbericht. Höhepunkt war 2009 eine Klage vor dem BGH, das entscheiden sollte, ob die Jahrs ein Veto haben bei der Entscheidung, wen der Verlag in den Vorstand von Bertelsmann schickt. Den eigenen Wirtschaftsprüfer und den Bericht bekamen die Jahrs, aber vor dem BGH verloren sie. Und sie brachten Bertelsmann nicht dazu, in G+J zu investieren.

Um langfristig (wieder) Umsatzwachstum zu generieren, braucht G+J eine neue Geschäftsgrundlage für Journalismus im Internet. Anders als die Hamburger investieren Springer oder Burda auch in journalismusferne Bereiche, wie in Xing oder ein Tierbedarfsportal. Allein Springer hat in den vergangenen zehn Jahren fast zwei Milliarden Euro ins Internetgeschäft investiert, G+J hat in etwa die gleiche Summe im gleichen Zeitraum an die Gesellschafter ausgeschüttet.

Seit Anfang 2012 ist nun Bertelsmann-Chef Rabe (der 2000 als Chief Financial Officer bei der Bertelsmann-Tocher RTL in Luxemburg eingestiegen ist) im Amt. Rabe ist unter Druck, er will und muss Wachstum generieren, doch er kann nicht investieren, weil ihm dank des Rückkaufs der 25 Prozent der Groupe Bruxelles Lambert 2005 (für 4,5 Milliarden) Geld fehlt und die Eigentümerfamilie Mohn trotz eines Wechsels der Gesellschaftsform einen Börsengang immer noch ablehnt. Da liegt es nahe, wachstumsschwache Bereiche, zu denen G+J zählt, zu filettieren und abzustoßen. Wieso sollte er die ihm bleibenden wenigen Investitionsmöglichkeiten ausgerechnet bei G+J suchen? Um über die Finanzmärkte an Geld zu kommen, klingen Investitionen in Brasilien, Indien und China sehr viel verlockender. Behalten könnte er das Zeitschriftengeschäft in China und Indien, das den hohen Wachstumsvorstellungen von Rabe entspricht.

Der Geschäftsführer der Jahr-Holding, Winfried Steeger, muß nun die Interessen von zwölf Nachfahren aus vier Familienstämmen bündeln. Dazu gehören John Jahrs Kinder Angelika und Michael sowie weitere zehn Erben der dritten Generation. Nur Alexander, der Sohn von Angelika, arbeitet für G+J, als Redakteur bei „Gala“. Eine Tochter von John Jahr junior ist Reiterin, ihr Bruder leitet eine Immobilienfirma, Alexandra Jahrs Schwestern und Michael Jahr junior, wie sein Vater gelernter Banker, führen private Vermögens- oder Familiengesellschaften. „Die verlegerischen Ambitionen sterben mit den Kindern des Verlagsgründers John Jahr aus“, sagt ein ehemaliger leitender G+J-Verlagsmitarbeiter. „Die Familie Jahr hat sich von einer Verlegerfamilie zu einer Investorenfamilie entwickelt, in der es Leidenschaft für Gewinn und Rendite, aber nicht für Journalismus gibt.“

Von Steeger und den Jahrs kommt keine Stellungnahme, solange sie mit Bertelsmann verhandeln. Angeblich soll auch über einen Tausch der Jahr-Anteile gegen Bertelsmann-Anteile gesprochen werden. G+J-Mitarbeitern, die Einblick haben, ist das allerdings ein Rätsel: Warum sollte die Familie das tun, obwohl sie einen solchen Anteil nie an die Börse bringen kann? Warum sollten sie ihre Sperrminorität bei G+J, die ihnen Mitsprache sichert, gegen einen Anteil bei Bertelsmann tauschen – wo sie dann nichts mehr zu melden haben? Es gibt darauf nur eine Antwort: Geld. Bertelsmann müsste ihnen deutlich mehr zahlen oder garantieren, als ihr Anteil am Verlag wert ist. Statt mit vier Prozent müssten die Mohns sie mit fünf beteiligen.

Welche Folgen die Übernahme für die Redaktionen hat, ist unklar. Zu befürchten sind Einsparungen von Personal. Schlimmstenfalls droht der Verkauf von Einzelteilen – auch wenn Thomas Rabe das Gegenteil versichert. Es würde zu Bertelsmann passen, wenn zunächst neue Publikationen mit geringem Gewinn abgestoßen werden. Denkbar ist, dass Bertelsmann an einem Kernstück von G+J festhält, etwa am „Stern“, an „Gala“, und der neu formierten „Livin
g Group“ mit „Brigitte“ sowie an der „Spiegel“-Beteiligung, außerdem am Auslandsgeschäft in großen Märkten wie Frankreich, Indien und China, das Wachstum verspricht. Wenn die profitablen Marken „aufgehübscht“ sind, wie es in der Branche heißt, also durch den Abbau von Personal und Marketing die Rendite verbessert ist, dann könnten sie mit hohem Gewinn verkauft werden.

All das ist freilich Spekulation. Doch anders als 2001 oder 2008 herrscht 2012 jedoch kaum Zuversicht, daß die Jahrs ihren Verlag nach vorne bringen können. Die Stimmung bei G+J beschreibt ein Mitarbeiter so: „Von den Jahrs enttäuscht, von Gütersloh nichts Gutes erwartend, von der jahrelangen Sparerei, um Renditeziele zu erreichen frustriert, und keine Strategie nach vorne mehr erkennend. Also große Ungewissheit.” Das neue Führungstrio – Julia Jäckel, Achim Twardy und Torsten-Jörn Klein – versucht dieser Stimmung entgegenzuwirken und hat mit Stan Sugarman immerhin bereits einen Digitalchef ernannt – ein deutliches Signal, wo Defizite baldmöglichst abgebaut werden sollen.

Angelika Jahr würde einem Tausch der Gruner+Jahr-Anteile gegen Anteile bei RTL nicht zustimmen, glauben Insider, die sie kennen; sie würde das als Verrat betrachten. Aber den anderen Erben sei das wohl egal. „Die Jahrs leben heute in einer anderen Welt“, sagt ein G+J-Mitarbeiter, der den Rückzug der Verlegerfamilie über 30 Jahre erlebt hat. Heute sitzt nur noch Angelika Jahr im Aufsichtsrat. Am 26. Oktober wird sie 71 Jahre alt. Und „ … sie weiß, dass die Erben den Verlag nur noch als Investitionsobjekt betrachten“, sagt der Verlagsmitarbeiter.

Statt stolzer Selbstsicherheit wie einst herrscht heute resignative, nervöse Unsicherheit am Baumwall in Hamburg: „Die Herausforderungen und Fragen, vor denen Gruner + Jahr steht, verlangen verlegerische Antworten. Aber wir haben keine Verleger mehr, nur noch Investoren.“

Thomas Schuler

ist freier Journalist in München. Er hat Bücher über Bertelsmann („Die Mohns“, 2004) und über die Politik der Bertelsmann-Stiftung („Bertelsmannrepublik Deutschland“, 2010) geschrieben, beide Campus.

schulertom@aol.com

Erschienen in Ausgabe 10+11/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 32 bis 35 Autor/en: Thomas Schuler. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.