Bewegte Nutzer

In den deutschsprachigen Ländern dauern fast alle Entwicklungen, die mit dem Internet und vor allem mit dem Thema Datenschutz zusammenhängen, bekanntlich etwas länger. Deshalb liegt die Zahl der regelmäßigen Nutzer von Foursquare in Deutschland, Österreich und der Schweiz wohl nach Schätzungen noch unter einer halben Million. Doch weltweit teilen bereits mehr als 30 Millionen Foursquare-Nutzer (die Hälfte davon außerhalb der USA) regelmäßig unterwegs anderen Nutzern sowie wahlweise auch ihren Freunden und Kontakten bei Twitter und Facebook in sogenannten Check-ins mit, wo sie sich gerade befinden. Das funktioniert über die Foursquare-App, die auf die GPS-Ortungsfunktion des Smartphones zurückgreift. Jeden Tag wird weltweit mehr als fünf Millionen Mal eingecheckt. Und mehr als eine Million Mal am Tag suchen Foursquare-Nutzer nach Orten und Tipps, die andere Nutzer an diesen Orten hinterlassen haben – zum Beispiel eine Restaurantempfehlung.

Das ist eine gewaltige globale Datenmenge, über die Foursquare selbst verblüfft zu sein scheint. Die Check-ins der Nutzer visualisieren Pendlerströme in und aus Manhattan und Tokio. Sie zeigen auf Karten das US-weite Netz der Interstate-Autobahnen und sogar die Umrisse von Großflughäfen, weil Nutzer vor dem Ablug an ihrem Gate noch schnell einchecken, bevor sie das Handy ausschalten müssen. „Wir haben Daten, die sonst keiner hat“, verkündete begeistert Foursquare-Gründer und CEO Dennis Crowley im März 2013 bei seiner Präsentation auf der „South by West“-Digitalkonferenz im texanischen Austin – am gleichen Ort, an dem er genau vier Jahre zuvor das neue ortsbasierte Netzwerk erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt hatte.

Mittlerweile nutzen 40.000 Programmierer die Schnittstelle (API) von Foursquare, um Anwendungen mit Ortsdaten anzureichern, darunter Facebook und seine Foto-App (Instagram) oder die Taxiruf-App Uber. International nutzen Hunderte von Medienunternehmen Foursquare, um ihren Nutzern Service vor Ort zu bieten. So hinterlässt der amerikanische TV-Sender History Channel Foursquare-Nutzern an ausgewählten Orten kleine Funfacts zu historischen Gebäuden und Städten in US-Städten und neuerdings auch in London. Wer beispielsweise an der „Space Needle“ in Seattle eincheckt und zugleich dem History Channel bei Foursquare folgt, erfährt, dass das 200 Meter hohe Wahrzeichen der Stadt am Pazifik für die Weltausstellung 1962 gebaut wurde. Die Stadtführer der Serie „Time Out“ geben Ausgehtipps für New York, Chicago, London und Sydney, die Magazine „The New Yorker“, „People“ und die britische Ausgabe der „Vogue“ haben Listen mit angesagten Locations für das Mode-Shoppen und Mode-Vorführen angelegt.

Wie Medien Foursquare nutzen

Neuerdings erkennen auch immer mehr deutsche Medien und Organisationen, dass es sich lohnen kann, die eigenen Marken und vor allem lokale Themen mit konkreten physischen Orten zu verknüpfen. Das hat mehrere Gründe. Erstens ist die kollektive Datenmenge bei Foursquare mittlerweile so groß, dass Redaktionen zumindest in den Großstädten nicht mehr unbedingt eigene Tipps anlegen müssen, sondern auch auf eine repräsentative Menge an Check-ins von Nutzern zurückgreifen können.

Mitte März 2013 veröffentlichte Foursquare „City Pages“ mit den beliebtesten Locations für Hunderte von Großstädten weltweit, mehrere deutsche Medien griffen auf lokale Daten zu. Die „Rheinische Post“ veröffentlichte eine Bildergalerie mit den beliebtesten Cafés, Brauereien und Restaurants auf der Grundlage von Check-ins in Düsseldorf, „Focus Online“ gab Empfehlungslisten für Cafés, Restaurants, Bars heraus. Eigene Listen mit Städtetipps und Reiseinfos haben kürzlich „Bild“ und „Prinz“ hinterlegt, „Focus Online“ stellte neben vielen anderen Listen die „schönsten Strandhotels an Nord- und Ostsee“ vor und der ADAC die besten Reisetipps. Holger Schmidt, Chefkorrespondent für die Netzwirtschaft bei „Focus“, glaubt, dass neben den Hinweisen auf interessante Orte „auch direkte Links in den Texten eine Möglichkeit wären, den Nutzern mehr Informationen über die erwähnten Orte zu liefern. Vor allem im mobilen Web kann man sich diese Synergien gut vorstellen.“ Praktisch ist auch diese crossmediale Funktionalität: Die „New York Times“ und der kanadische „Toronto Star“ markieren ihre Gastro-Kritiken auf der Website mit dem Button „Save to Foursquare“. Nutzer können Lokalitäten, die ihnen gefallen, für die mobile, ortsbasierte Nutzung markieren und werden von Foursquare automatisch daran erinnert, wenn sie sich in der Nähe des betreffenden Cafés oder Restaurants befinden.

Mittlerweile hat Foursquare in Europa ein eigenes Team aufgebaut, das sich unter anderem aktiv um Partnerschaften mit (Medien-)Unternehmen kümmert. Zu den prominenten Pionierpartnern gehören die Deutsche Bahn und die Lufthansa, die ihre internationalen Reisetipps aus dem gedruckten „Lufthansa Magazin“ auch bei Foursquare hinterlegt und mit „Blue Legends“ ein eigenes auf Foursquare basierendes Netzwerk mit Flug-Check-ins betreibt, bei dem sich Lufthansa-Vielflieger untereinander vernetzen können. Bastian Beyer, in München verantwortlich für das Europa-Geschäft von Foursquare, betont, dass solche Partnerschaften als Vorbilder dienen.

Achim Hepp, auf ortsbasierte Dienste spezialisierter Unternehmensberater, rät Medienunternehmen dazu, „sich jetzt auf Foursquare zu positionieren und sich mit der Plattform auseinanderzusetzen“. Gerade durch die im Vergleich zu Facebook und Twitter geringeren Nutzerzahlen gebe es dort noch genug Möglichkeiten, aktiv zu sein und nicht in einer breiten Masse unterzugehen. „Die Nutzerzahlen werden weiter wachsen, je mehr sich die Plattform neben ihrer Ausrichtung als lokale und mobile Suchmaschine auch als soziales Netzwerk etabliert“, prognostiziert Hepp. In den USA werde Foursquare bereits jetzt oft in Kampagnen als drittes Netzwerk neben Facebook und Twitter platziert und eingesetzt. „Dadurch rückt die Plattform immer mehr in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit und kann so auch weiter neue Nutzer gewinnen.“ Denselben Effekt erwartet Hepp zeitversetzt auch im deutschsprachigen Raum in den nächsten zwei Jahren: „Derzeit ist Foursquare in den DACH-Ländern noch nicht in der breiten Masse angekommen, hat aber bereits den Mikrokosmos der Nerds und Early-Adaptors verlassen.“ Skeptikern prophezeit Hepp: „Einen ähnlichen Weg ist auch Twitter in den letzten Jahren gegangen, wobei dort eine ähnliche Skepsis bezüglich der Massenadaption wie derzeit bei Foursquare herrschte.“

Außer dem Platzhirschen Foursquare, der mittlerweile schon fast synonym für ortsbasierte Dienste steht, gibt es eine Fülle von weiteren mobilen Diensten, die größtenteils speziellen Zwecken dienen. Über „Foodspotting“ informieren sich Gourmets, wie der Name vemuten lässt, über Insidertipps zur lokalen Gastronomie. „Waze“ hilft als kostenfreier GPS-Navigator Nutzer Staus zu umfahren, indem andere Nutzer, Staus, in denen sie bereits stecken, an die Plattform melden. „Stuffle“ ist ein mobiler Flohmarkt eines Hamburger Start-ups, der zum Verkauf angebotenen Trödel in der Nähe anzeigt. „MyTaxi“ macht als App-basierte Alternative den etablierten Taxirufzentralen ernsthafte Konkurrenz. „Urgently“ informiert auf dem Handy (derzeit nur in den USA) über den Ort des nächsten unmittelbar verfügbaren Schüsseldienstes oder Klempners. Über die Plattform können sich Handwerker und Kunde auch direkt zusammenschließen und den Preis aushandeln. Und „Quantified Self“-Apps für die Selbstvermessung wie Runtastic oder Nike+ tracken Jogger oder Radfahrer bei ihren Fitn
essrunden, zeigen die Geschwindigkeit, verbrauchte Kalorien und vieles mehr an (wahlweise auch im Vergleich mit den Freunden). Achim Hepp sieht Quantified-Self-Anwendungen „prädestiniert, um aus der Nische mittelfristig die Masse zu erreichen“. Dafür sprechen laut Hepp die Nutzung der Daten in der Medizin, die Einbindung sozialer Netzwerke und der spielerische Charakter („Gamification“).

Mobile Angebote

Nur wenige mobile ortsbasierte Dienste von Start-ups sind für Medienmacher und Journalisten heute unmittelbar im redaktionellen Alltag verwertbar. Aber sie zeigen doch sehr deutlich die Bandbreite der Innovation, die außerhalb von Medienhäusern stattfindet und immer mehr lokale Servicefunktionen im Alltag der Nutzer übernimmt.

In Deutschland ist laut einer Untersuchung der Unternehmensberatung Goldmedia im Auftrag der Bayerischen Landeszentrale für Medien (BLM) die Zahl der ortsbasierten Dienste und Netzwerke von zehn im Jahr 2005 auf 180 Anfang des Jahres 2013 gestiegen. Und laut einer TNS-Infratest-Umfrage sind mittlerweile 60 Prozent der deutschen Mobiltelefonierer bereit, standortbasierte Dienste zu nutzen (Mobile-Life-Studie 2012). Eine neue Welle der Disruption, die lokale Medienmärkte umwälzen wird, zeichnet sich am Horizont ab. Holger Schmidt sieht für lokale Medien auf dem wachsenden Sektor der ortsbasierten Dienste vor allem Chancen, alle wesentlichen Informationen wie Nachrichten, Ausgehtipps, Sonderangebote usw. zu bündeln. „Sie wären dann ein Aggregator für alle lokal relevanten Informationen.“ Neben den hohen technischen Anforderungen liege das Problem für die Medienunternehmen aber noch in der Unübersichtlichkeit der ortsbasierten Dienste. Schmidt: „Noch hat sich nicht klar herausgestellt, welche Dienste die Nutzer wirklich haben wollen.“

Ulrike Langer ist freie Journalistin in Seattle und Mitglied der „medium magazin“-Redaktion.

mail@medialdigital.de

LINK:TIPPS

How journalists can use location-based apps as a reporting tool (Poynter, mit USA-Bezug):

http://bit.ly/Y1pcGA

Inoffizielles deutschsprachiges Foursquare-Blog von Achim Hepp: allesfoursquare.de

Foursquare check-ins show the pulse of New York City and Tokyo (Video):

The last three months on Foursquare –

Ort in die Datenbank eingeben, um Check-ins zu visualisieren:

https://foursquare.com/infographics/ 500million

Erschienen in Ausgabe 04/202013 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 50 bis 50 Autor/en: Ulrike Langer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.