Volles Risiko

Frauen, die mit Männern gleichziehen wollen, mangelt es an Ehrgeiz“, sagt Jeanette Wagner und lacht. Sie ist über 70. Das ist kaum zu glauben, denn sie sprüht vor Energie. Schon vor 35 Jahren war sie die Chefin sämtlicher Auslandsauflagen des Verlags Hearst Corporation, für den sie beispielsweise die „Cosmopolitan“ internationalisiert hat. Danach war sie Vorstandsvorsitzende des internationalen Geschäfts von Estee Lauder. Wagner ist das Urgestein der amerikanischen Topmanagerin mit Harvard-Abschluss-denkt messerscharf, spricht druckreif und hat mit dummen Fragen so ihre Probleme. Deswegen lässt sie in dem Bürohochhaus an New Yorks Fifth Avenue erst gar keine aufkommen. 45 Minuten lang erzählt sie, wer sie ist, wie sie das wurde und warum das auch alles gut so ist. Dabei wird viel gelacht. Was können deutsche Frauen von amerikanischen Topmanagerinnen lernen? Nun, auf jeden Fall Selbstvertrauen.

Das dämliche Geschlecht. Die Reise, die zu Jeanette Wagner führte, begann 2001 bei der „Wirtschaftswoche“, wo ich damals lange das Management-Ressort leitete. Eines Tages fragte mich ein Verleger, ob ich nicht ein Buch über deutsche Topmanagerinnen schreibe wolle. Ich lachte: „Das wird aber ein kurzes Buch, es gibt nämlich kaum welche“. Projekt gestorben, doch eine Frage blieb: Warum ist das eigentlich so? Als Journalistin von Beruf neugierig, begann ich zu recherchieren und fand im Ausland wesentlich mehr Frauen mit Entscheidungsmacht. Wieso werden anderswo ganze Konzerne von Frauen geschmissen und bei uns gibt es im gesamten Dax kaum einen einzigen weiblichen Vorstand? 2002 erschien dazu mein erstes Buch „Das dämliche Geschlecht. Warum es keine Frauen im Mangement gibt“.

Die Kernthese: An den Männern liegt es nicht, dass Deutschlands Frauen nach wie vor unterrepräsentiert sind. Die Frauen selber verhalten sich oft einfach dumm. Viele von ihnen sind dämlich, faul und unaufrichtig. Dämlich, weil sie sich nicht einfach nehmen, was ihnen zusteht. Faul, weil ihnen der stete Ringkampf um Projekte, Budgets und Personal spätestens mit Mitte 30 zu anstrengend wird und zu politisch. Unaufrichtig, weil sie nicht zugeben, dass sie sich freiwillig ins Privatleben zurückziehen, sondern die Glasdecke vorschieben. „Eigentlich wäre ich auch eine Karrierefrau“, so das Credo der Vorstadtbewohnerin, aber schließlich habe man als Mutter die eigenen Ambitionen auf dem Altar des kindlichen Wohlbefindens geopfert. Ich habe mir damals mit dem Buch öffentlich die Frage erlaubt, ob es hier wirklich um das Wohl der Kinder geht oder nicht vielmehr um die Bequemlichkeit von deren Vätern.

Der bewusst gewählte polemische Titel sorgte für Rascheln im Blätterwald. In der Folge hagelte es Anfragen und Einladungen für Vorträge, Workshops und Interviews. Schließlich habe ich bei der „Wirtschaftswoche“ gekündigt, denn es ist selbst dem geduldigsten Arbeitgeber nicht zuzumuten, dass eine, die eigentlich ein Ressort schmeißen soll, dauernd auf Podien sitzt statt im Büro. Außerdem wollten mein Mann und ich damals schon mal ein Jahr aussteigen, um rund um die Welt zu segeln, und dafür hätte ich ohnehin kündigen müssen.

Neustart. Ich machte mich also in Köln selbstständig, schrieb für verschiedene Blätter und als Ghostwriter für einige Manager, die mich von der „Wiwo“ her kannten. Daneben war ich für 18 Monate fast jede Woche auf irgendeiner Veranstaltung-in Buchhandlungen, Unis, bei politischen Stiftungen, in Fernseh- und Hörfunkstudios oder bei Unternehmen. In den ersten Monaten dieser Ochsentour habe ich vor lauter Lampenfieber rund acht Kilo an Gewicht verloren. Schreiberling wird eine nicht, weil sie gerne im Rampenlicht steht, sondern weil sie lieber beobachtet und analysiert. Plötzlich selber im Rampenlicht zu stehen, fand ich eher unangenehm.

Dennoch habe ich viel gelernt in dieser Zeit: Vor Gruppen freier zu sprechen, mit Anwürfen umgehen zu lernen, Diskussionen zu leiten, meine Meinung zu vertreten und meine Stimme im Zaum zu halten und nicht schrill zu werden, auch wenn’s hoch her geht. Zudem glaube ich, dass mich die eigene Erfahrung als Objekt der Berichterstattung zur besseren Journalistin gemacht hat. Heute bin ich in meinen Texten sehr viel vorsichtiger im Kommentieren der Entscheidungen und Karrieren anderer.

Oben ohne. Nach der Bewältigung dieser Lernkurve hatte ich mir mein Sabbatjahr redlich verdient (s. a. mm 11/2005). Danach besuchte ich meinen seit Jahren vertrauten Gesprächspartner Heiner Thorborg in Frankfurt, der als Personalberater in den Beletagen der Deutschland AG ein- und ausgeht. An diesem Tag machte er ein langes Gesicht. „Ich werde von meinen Klienten ständig nach weiblichen Führungskräften gefragt. Aber in Deutschland gibt es keine. Nicht mal Frauen mit genug Erfahrung für eine Beiratsposition bei einem großen Mittelständler. Das ist fast schon peinlich.“ Er habe sich jetzt aber im Ausland umgesehen und – meine Güte! – was gäbe es in französischen, britischen, skandinavischen und amerikanischen Unternehmen nicht für tolle Frauen. „Und die meisten haben obendrein Familie!“ Natürlich kam sofort die Frage auf: Warum können die das – und die deutschen Frauen offenbar nicht?

Eine Stunde hitziger Diskussion später war die Idee geboren: Ein Buch über die Erfolgsfrauen anderer Länder, häufig in der Dreifach-Rolle als Topmanagerin, Mutter und Ehefrau? Die Antworten auf die Frage „Oben ohne. Wa-rum es keine Frauen in unseren Chef-etagen gibt.“, so der Buchtitel. Dazu haben wir gemeinsam 20 weibliche Topmanagerinnen interviewt, in Europa und USA. Das passte, denn mittlerweile stand mein Schreibtisch ohnehin in Manhattan, weil mein Mann dort als Auslandskorrespondent für die „Wiwo“ schreibt. Wo das erste Buch polemisch war, ist das zweite versöhnlich, mit dem Tenor: Diese Mutterkreuzphilosophie ist zutiefst deutsch. Da, wo es die nicht gibt, gelingt es den Frauen durchaus, Bauklötzchen und Business Lunch miteinander zu vereinbaren. Überdies gehörten die Begegnungen mit Frauen wie Jeanette Wagner zu den spannendsten Erlebnissen meiner Karriere und wieder habe ich viel gelernt. Vor allem: Erfolg hat, wer auf seine eigene Stimme hört und nicht auf das Gemaule der Schwiegermutter, wer sich traut, er selbst zu bleiben und dabei den Humor nicht verliert.

Erfahrungen. Nach 18 Monaten in New York lebe ich heute in Sydney, der schönsten Stadt der Welt, und schreibe von Australien aus weiter, als Journalistin, Ghostwriter und Buchautorin. Auch nach fünf Jahren Selbstständigkeit mit drei Starts in Köln, New York und Sydney bleibt die Lernkurve steil. Die wichtigste Erfahrungen ist: Bücher zu schreiben fasziniert, einfach weil es wunderbar ist, sich neben all dem kurzatmigen Medientrubel einem Thema wirklich intensiv widmen zu können. Dennoch ist ein ganzes Buch ein langwieriges, einsames und schlecht bezahltes Geschäft. Emotional lohnt sich die Investition in eine 220-Seiten-Arbeit nur, wenn das Thema wirklich unter den Nägeln brennt. Finanziell rentiert sich ein Sachbuch meist auch nur dann, wenn sich bezahlte Vorträge und Workshops anschließen.

Vermutlich hätte ich in der Tretmühle Redaktion bleiben und auf die Beförderung zur stellvertretenden Chefredakteurin spekulieren müssen, nicht zuletzt auch, um meinen eigenen Thesen zu Frau & Karriere gerecht zu werden. Doch am Ende muss sich jeder in diesem Beruf ein paar unangenehme Fragen stellen: Habe ich wirklich etwas beizutragen? Und falls ja, wie werde ich mit dem, was ich zu sagen habe, am ehesten gehört? Mein Beitrag bislang waren die genannten Bücher und Vorträge. Fest angestellt hätten die nie das Licht der Welt erblickt. Dennoch sei nicht verschwiegen: Der Feste Vertrag hat Vorteile, nicht zuletzt ist das Einkommen höher, auch wenn ein Teil des Gehalts immer auch Schmerzensgeld ist. Das Leben als Freie ist viel unsicherer, aber nur freiberuflich kann man leben, um zu schreiben. Fest angestellt schreibt man, um zu leben.

Barbara Bierach (42) war u. a. Ressortleiterin Management der „Wirtschafts-Woche“, bevor sie sich
als Buch-autorin selbstständig machte. Seit 2002 arbeitet sei als freie Autorin, zuerst mit Standort in Köln, dann New York und seit Kurzem in Sydney, Australien. eMail: autor@mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 9/2007 in der Rubrik „Leben“ auf Seite 36 bis 37 Autor/en: Barbara Bierach. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.