Es geht um die Wahrheit

Kriegsreportern wird manchmal vorgeworfen, ihr Beruf sei zynisch, ja voyeuristisch. Wieso ihr Job jedoch essentiell ist, erzählten jüngst die Journalisten Carolin Emcke und Terry Anderson: 
Wenn Sinn und Zweck von Kriegsreportagen zur Diskussion stehen, hat das Urteil von Carolin Emcke und Terry Anderson Gewicht. Die deutsche Journalistin hat unter anderem für den „Spiegel“ immer wieder Regionen der Welt bereist, in denen schon seit vielen Jahren Krieg und Gewalt in allen denkbaren Formen herrschten oder immer noch den Alltag prägen. Entführt wurde sie bislang Gott sei Dank nie, Lebensangst aber dürfte sie auch gespürt haben. Der amerikanische Journalist Terry Anderson hat als Journalist die Hölle auf Erden erlebt. 1985 wurde er in Beirut entführt und dann sieben Jahre lang von Hisbollah-Milizen gefangen gehalten.

Beide, Emcke wie Anderson, haben sich jüngst zum Job eines Kriegsreporters geäussert und beide kommen zu erstaunlich ähnlichen Urteilen. „Wer in Länder voll Tod und Zerstörung reist,“ so Carolin Emcke in der „Zeit„, „den widert Krieg an; wer nicht nachlassen kann, jeden Krieg wieder neu zu dokumentieren, der kann sich nicht daran gewöhnen, dass Unrecht und Gewalt uns selbstverständlich oder gewöhnlich erscheinen“. Weil sie den Krieg und die Gewalt hassen, lassen Journalisten wie Photoreporter nicht davon ab, über Krieg und Gewalt zu berichten. Sie begeben sich dabei in Gefahr, oft in große Lebensgefahr, aber sie wollen Zeugnis abgeben. Das sind sie auch den Menschen schuldig, die in den Kriegs- und Krisenregionen leben müssen, weil ihnen gar keine andere Alternative offen steht.

Ganz ähnlich resümiert auch Terry Anderson seine Erfahrungen als verschleppter Journalist im Libanon: „Es war wichtig, dort gewesen zu sein, die Gewalt und den Horror zu bezeugen, die typisch sind für jeden Krieg. Um von den Menschen zu erzählen, die furchtbare Dinge erleben müssen. Um der Welt die Hintergründe dieser Kriege begreifbar zu machen. Um die Wahrheit zu berichten so gut es uns möglich ist, wenn so viele andere nichts als Lügen von sich geben“ .

Genauso dachte wohl auch Austin Tice aus Houston/Texas als er sich als Free Lancer nach Syrien begab, um von dort über die Brutalitäten des Bürgerkriegs zu berichten. Ende August 2012 ist er dort gefangen genommen und dann auch  verschleppt worden. Das Assad-Regime hat zunächst versucht, terroristische Regime-Gegner als Entführer von Tice zu beschuldigen. Als Beweis wurde auch eine kurze Video-Sequenz unter YouTube ins Netz gestellt. Eine genaue Auswertung dieses Videos hat aber Zweifel an der offiziellen Version der Entführung genährt. Vieles spricht jetzt dafür, daß sich Austin Tice in Gefangenschaft des Assad-Regimes befindet.

In der Weltöffentlichkeit erfährt man wenig von dieser Entführung eines Journalisten, aber im Hintergrund hat sich in den letzten Wochen ein Netz von journalistischen Hilfsorganisationen gebildet – zu dem auch JhJ gehört –, das die Angehörigen von Austin Tice dabei unterstützt, Kontakt zu ihm herzustellen. Dass es dieses Netz gibt, ist ein ermutigendes Zeichen angesichts eines Konfliktes, dessen Brutalität scheinbar nur noch entmutigende Resignation hervorruft. „Nein, nicht wir, die als Reporter in Krisenregionen reisen, um Zeuge zu werden, um den Menschen dort eine Stimme oder ein Gesicht zu verleihen, sind zynisch“, schreibt Carolin Emcke, „sondern die, die annehmen, es könne das Geben im Angesicht des Leids der anderen: Gewöhnung.“

Carl Wilhelm Macke