Kachelmanns Richter

Wie Gerichtsreporter und -reporterinnen die umstrittene Berichterstattung über den Kachelmann-Prozess werten: Antworten in der mediummagazin-Umfrage von: Christoph Albrecht-Heider (Frankfurter Rundschau), Gisela Friedrichsen (Spiegel), Bernd-Ulrich Hagen (ZDF), Alfons Kaiser (FAZ), Tanja May (Bunte) und Sabine Rückert (Die Zeit). Lesen Sie außerdem Katy Walthers Bestandsaufnahme der Justizberichterstattung in medium magazin 4-2011 und das Interview mit dem Medienopferexperte Mario Gmür.

1. Was lehrt der Kachelmann-Prozess für die künftige Justizberichterstattung?

2. Gilt die Unschuldsvermutung nur im Gericht oder auch in den Medien?

3. Ist objektive Prozessberichterstattung überhaupt möglich?

Gisela Friedrichsen, Gerichtsreporterin „Spiegel“
Der Kachelmann-Prozeß läßt befürchten, daß künftig gerade in spektakulären Fällen noch öfter Zeugen den Ausschluß der Öffentlichkeit beantragen werden, weil sie bereits mit Verlagen oder Sendern hochdotierte Exklusiv-Verträge abgeschlossen haben. Die Honorare, die in Mannheim bekannt wurden, werden diese Tendenz wohl noch befördern. Die Unschuldsvermutung gilt überall. Richter, Staatsanwälte und Verteidiger sind geübt darin, oder sollten es zumindest sein, sie einzuhalten. In den Medien kommt es wegen ihres beträchtlichen Einflusses auf die Öffentlichkeit besonders auf die Beachtung der Unschuldsvermutung an. Leider genügen Vokabeln wie „mutmaßlich“ und „angeblich“ längst nicht mehr. Der Journalist muß heute bei der Bewertung von Ermittlungsergebnissen, die ihm Polizei oder Staatsanwaltschaft mitteilen, ausdrücklich auf deren Vorläufigkeit hinweisen. Gibt es allerdings z.B. entsprechende Fotos (siehe Zumwinkel), dann hilft auch das nichts mehr. Dann liefert das Bild gleichsam den Beweis, daß es sich nicht nur um einen Verdächtigen oder Beschuldigten handelt, sondern dann wird der oder die Abgebildete schon als Täter/Täterin wahrgenommen. Prozeßberichterstattung ist und war schon immer subjektiv – selbst bei allem Bemühen um größtmögliche Objektivität. Der Gerichtsreporter berichtet, was er sieht und hört und für wichtig hält, so, wie es jeder andere Reporter auch tut. Selbst die reine Vermittlung von Fakten ist nicht objektiv. Auch sie ist eine Auswahl dessen, was darüber hinaus noch berichtet werden könnte. Der professionelle Gerichtsreporter weiß mit seiner Subjektivität allerdings umzugehen und überprüft seine eigenen Eindrücke anhand der vorliegenden Fakten. So wie es nicht die reine Wahrheit gibt im Gerichtsverfahren oder „die“ Gerechtigkeit, so gibt es im Journalismus auch nicht die reine Objektivität. Je nach seiner eigenen Rolle versteht jeder Einzelne unter Wahrheit, Gerechtigkeit oder Objektivität nämlich etwas anderes.
Alfons Kaiser, Ressortleiter „Deutschland und die Welt“ der F.A.Z. und verantwortlicher Redakteur für die Kachelmann-Berichterstattung von Volontär David Klaubert
Vieles, was über den Fall Kachelmann berichtet wurde, hat nichts mit Gerichtsberichterstattung zu tun. Ehemalige Freundinnen des Angeklagten breiteten intimste Details aus dessen Privatleben gegen Geld in Zeitschriften aus. Das Geschehen vor Gericht spielt in vielen Berichten keine Rolle. Dabei ist es Aufgabe der Medien, den Prozess kritisch zu verfolgen. Die Prozessbeobachter sollen nicht selbst ein Urteil sprechen. Erschwert wurde die Berichterstattung, weil die Öffentlichkeit exzessiv ausgeschlossen wurde. Das erschwert die Berichterstattung – und verhilft Nebenthemen zu Aufmerksamkeit. Natürlich auch in den Medien. Im Prozess gegen Kachelmann haben sich daran aber längst nicht alle gehalten. Schon vor Eröffnung der Hauptverhandlung wurde seitenweise aus Ermittlungsakten zitiert. Manche Texte lasen sich wie Anklageschriften. Das Privatleben des Angeklagten wurde regelrecht ausgeschlachtet, seine Reputation zerstört. Verantwortlich dafür sind nicht nur die Medien, sondern auch diejenigen aus den Reihen der Ermittlungsbehörden, die Informationen gezielt herausgegeben haben. Wohl kaum. Aber unabhängige und unvoreingenommene Prozessberichterstattung sollte trotzdem das Ziel sein. Auf dem Weg dorthin muss die journalistische Sorgfaltspflicht eingehalten werden. Der häufige Ausschluss der Öffentlichkeit im Prozess gegen Kachelmann hat dazu geführt, dass viel vom Hörensagen berichtet wurde. Wenn Informationen unter der Hand weitergegeben werden, macht das anfällig für Einflussnahmen. So wurden einzelne Ermittlungsergebnisse und Gutachten in den Medien völlig unterschiedlich bewertet. Der Berichterstatter muss sich immer wieder darüber klar werden, welche Informationen aus dem Gerichtssaal stammen und was er nur irgendwo gehört oder gelesen hat.
Bernd-Ulrich Haagen, Leiter der ZDF-Redaktion Recht und Justiz und Moderator des 3sat-Gerichtsmagazins „Recht brisant“
Wäre es nicht an der Zeit Regeln zu schaffen, die die mediale Vermarktung von Zeugen unterbindet,- zumindest bevor diese Zeugen im Prozess ausgesagt haben? Natürlich gilt schon von Gesetzes wegen bis zum Urteil die Unschuldsvermutung auch für die Gerichtsberichterstattung. Und selbstverständlich auch der Grundsatz unseres Altvorderen Egon Erwin Kisch: „Der Reporter hat keine Tendenz, hat nichts zu rechtfertigen und hat keinen Standpunkt.“ Auch wenn es manchmal schwer ist, diese Vorgabe umzusetzen… Gerade in einem Prozess wie diesem, der in wesentlichen Teilen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, ist die Gefahr groß, von Anklägern und /oder Verteidigern vereinnahmt zu werden. Umso mehr gilt Egon Erwin Kisch (s.o.)
Sabine Rückert, Gerichtsreporterin „Die ZEIT“
Der Kachelmannprozess ist eine Ausnahmeerscheinung. Es handelt sich um einen prominenten Angeklagten und einen Vorwurf, der in der Öffentlichkeit mit allen möglichen Ideologien überfrachtet worden ist. Für Kachelmanns Schuld hat von Anfang an wenig gesprochen, das habe ich schon im letzten Sommer in der ZEIT geschrieben und habe an dieser Einschätzung seither nichts ändern müssen. Auch an meiner Art der Gerichtsberichterstattung wird dieser Prozess nichts ändern. Wenn ich aus guten Gründen zu der Einsicht komme, dass einem Menschen von der Strafjustiz Unrecht getan wird, dann mache ich das öffentlich. Das habe ich schon immer so gehalten und werde es auch weiterhin tun. Der Strafjustiz auf die Finger zu schauen – dazu ist die Presse da. Die Unschuldsvermutung des Gerichts ist eine Einbildung. Ein Gericht, das einen Eröffnungsbeschluss gefasst hat, also eine Hauptverhandlung durchziehen will, hat bereits die Prognose gestellt, dass der Angeklagte verurteilt werden wird. Deshalb gibt es in Deutschland auch nur drei Prozent Freisprüche. Ich bin manchmal erschüttert, wie voreingenommen Richter sind und wie wenig es braucht, um Menschen für Jahre hinter Gitter bringen – gerade beim Vorwurf von Sexualdelikten, wo oft genug nur Aussage gegen Aussage steht. Viele Medien sind an der Unschuldsvermutung nicht sehr interessiert, jedenfalls weit weniger als an saftigen Details. Meine Prozessberichterstattung bemüht sich, dem Fall und dem Verfahren gerecht zu werden. Bevor ich schreibe, mache ich mich umfassend mit den Fakten vertraut. Bei der Einschätzung von Indizien oder Gutachten hilft mir inzwischen auch meine recht große Erfahrung. Je mehr ich über einen Fall weiß, desto klarer wird mir die Haltung, die ich dazu einnehmen muss.  Das Gericht sammelt Beweise, kommt dann zu einer Einschätzung der Beweislage und fällt zuletzt ein Urteil. Die Arbeit eines Gerichtsreporters besteht darin, diesen Prozess für die Öffentlichkeit zu begleiten, zu beschreiben und wenn nötig zu kritisieren.
Christoph Albrecht-Heider, Politikredakteur der „Frankfurter Rundschau“
Medien sollen nicht Gericht spielen, bevor dieses seine Arbeit aufgenommen hat. Es gibt Unterschiede zwischen einem Strafprozes und einem Society-Event. Der Ausschluss der Öffentlichkeit wirkt sich dann kontraproduktiv aus, wenn von ihm exzessiv Gebrauch gemacht wird. Diesmal nur noch im Gericht. Bereits vor Beginn des Prozesses hatten einige Blätter/Berichterstatter die Frage, ob Kachelmann ein Täter ist, für sich entschieden. Der Boulevard-Charakter des Falles (Prominenter als Tatverdächtiger plus eine Unmenge Frauengeschichten von juristisch nachrangiger Bedeutung) hat einige Journalisten bewogen, sich von der Unschuldsvermutung nicht die Geschichten kaputt machen zu lassen. Sie haben sich damit auf das Niveau des bloggenden Publikums begeben, für das der Fall  von vornherein klar war. In diesem Fall muss man sich schon äußerst bemühen. Das Problem: Vieles spielt sich hinter verschlossenen Türen ab. Gleichzeitig werden in den Medien Ermittlungsergebnisse referiert, die in öffentlicher Verhandlung noch nicht zur Sprache kamen oder nur nichtöffentlich behandelt werden. Daraus entsteht ein undurchschaubares Gemisch aus Tatsachen und angeblichen Tatsachen.
Tanja May, stellvertretende Chefredakteurin „Bunte“
Der Fall Kachelmann ist sehr aufsehenerregend, aber nicht einzigartig. Polarisierende Prozesse gibt es immer wieder. Die Medien müssen ihrer öffentlichen Informationsaufgabe dabei auch in Zukunft gerecht werden. Die Ziffer 13 des Pressecodex ist eindeutig: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt auch für die Presse. Das ist für uns Leitlinie bei der Berichterstattung. Gegenfrage: Ist objektive Berichterstattung denn überhaupt möglich? Schon die Auswahl der Themen, über die berichtet wird, ist notwendig subjektiv gefärbt. Wenn ein Medium für sich Objektivität in Anspruch nimmt, sollte man misstrauisch werden. Liest man beispielsweise in verschiedenen Medien die Berichterstattung über die Aussagen der Gutachter im Fall Kachelmann, deutet z.B. der „Stern“ dieselben Aussagen komplett anders als z.B. „Bild“ oder „Spiegel“.