„Wirklich zum Lachen“

Die ausführlichen Statements der Teilnehmer am „3. Tag des Wirtschaftsjournalismus“ in Köln – siehe auch mediummagazin 4/09, Seite 26f): 

Ungute Tendenz zum ‚pack journalism’“

Greg Ip, Mehrfach preisgekrönter US-Wirtschaftskorrespondent von ”The Economist“. Ip berichtet vor allem über Finanzmärkte, Geld- und Steuerpolitik. 

Jon Stewarts Anschuldigungen in seiner ”Daily Show“ gegen CNBC und den Wirtschaftsjournalismus waren pointiert, aber nicht wirklich fair. Wir haben nicht gewusst, was konkret passieren würde in der gegenwärtigen Krise und haben insofern auch nicht unsere Leser und Zuschauer ins offene Messer laufen lassen. Natürlich müssen wir uns fragen lassen, warum wir nicht mehr gewusst haben. Aber wir Finanzjournalisten haben seit 2001 regelmäßig vor dem Platzen der Immobilienblase und den Folgen für den Finanzmarkt gewarnt. Das ”Wall Street Journal“ hat 2003 und 2007 mit der Aufdeckung von Börsen- und Wirtschaftsskandalen Pulitzer-Preise gewonnen. Ich selbst berichte seit sieben Jahren über die Strategien der Federal Reserve Bank. Würde ich immer nur vor Risiken warnen, würde das keiner mehr lesen. Am meisten interessiert die Leser sowie immer, was die Fed als nächstes tun wird. 

Wie alle Finanzjournalisten bin ich mir der Gefahr bewusst, das die Nähe zu den Mächtigen korrumpieren kann, was nicht Bestechlichkeit bedeuten muss. Wir sollen unsere Analysen ja nicht aus dem Bauch heraus betreiben, sondern auf Basis von Einschätzungen der Experten und Akteure. Aber wenn man viel Zeit mit Leuten wie Alan Greenspan verbringt, dann macht man sich auch leicht ihre Argumentationsweisen zu eigen. Es besteht dann die Gefahr, dass man kritischen Einwänden weniger Raum gibt. 

Ein klares Manko in der Wirtschaftsberichterstattung ist sicherlich, dass es vor allem an der Wall Street eine ungute Tendenz zum ”pack journalism“ gibt – wenn einer eine dicke Story ausgräbt, dann hängt sich die ganze Meute an dieses eine Thema dran. Tausende von Journalisten fehlen dann aber für die kontinuierliche Recherche anderer Themen. Woran wir jetzt arbeiten müssen, ist die systematische Analyse, welche von der Politik ergriffenen Maßnahmen und Strategien geradewegs in die nächste Krise führen werden. Manchmal stoßen wir dabei sehr frühzeitig auf Probleme. Das führt dann dazu, dass Missstände abgestellt werden, bevor sie zu großen Krisen auswachsen.

”Es gibt keine ausgebildeten Finanzjournalisten“

Werner Zedler, Chefredakteur der Verbraucherzeitschrift ”Guter Rat“

Anlegermagazine leiden unter einem Geburtsfehler. Die Leser erwarten konkrete, nutzwertige Empfehlungen, hopp oder topp. Die haben keine Lust, sich mit der komplizierten Materie langwierig auseinanderzusetzen. Aber wir haben uns vergallopiert mit den ständigen Versprechen, wie in ganz kurzer Zeit ganz viel Geld zu verdienen sei. Es war ein Verkäufermarkt, und wir haben nicht richtig hingeschaut. Wir haben zu spät nachgefragt, wo denn die Risiken bei komplizierten Produkten liegen. Andererseits: Welche Chancen hätten wir denn gehabt? Unsere Redaktion besteht zu zwei Dritteln aus Fachleuten, die Journalisten geworden sind, weil es keine ausgebildete Journalisten für diesen Bereich gibt. Aber selbst in New York hat kaum einer die Risiken erkannt, und wir haben uns natürlich auf die Ratingagenturen verlassen. Einige Magazine sind ja jetzt auch mit diesem Zertifikate-Zirkus untergegangen. Außerdem gibt es im Finanzmagazinsektor eine besonders hohe Abhängigkeit von Anzeigen. Und diese Abhängigkeit hat sich im redaktionellen Umfeld niedergeschlagen. Es gibt schwarze Schafe, wo Anzeigeninteressen 1:1 im redaktionellen Teil landen. 

”Wir können nicht alle Risiken bewerten“

Alexander Hagelüken, Leitender Redakteur Finanzen bei der ”Süddeutschen Zeitung“ und Herausgeber des Buches ”Die großen Spekulanten“ (Süddeutsche Zeitung Edition, Feb. 2009)

Wir sind vorsichtiger geworden. Wir verzichten bewusst auf Sätze wie ”Tun sie dies“ oder ”Kaufen Sie das.“ Wir können nicht bis auf die Ebene einzelner Produkte die Risiken und Vorteile bewerten. Dazu bräuchte man 100.000 staatlich bezahlte Nutzwertjournalisten. 

”Wir müssen darüber aufklären, dass Banker keine Berater sind“

Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur der Verbraucherzeitschrift ”FinanzTest“

Die Krise hat gezeigt: Wir haben es nicht geschafft, unseren Lesern rechtzeitig beizubringen, die Risiken von Zertifikaten zu erkennen, obwohl wir es versuchen. Unsere Leseranalysen zeigen allerdings, dass sich die meisten dafür überhaupt nicht interessieren. Und das sind ja schon diejenigen Verbraucher, die generell für Finanzthemen aufgeschlossen sind. Die Leute haben ja gewisse Kenntnisse, aber die Banken machen es ihren Kunden nicht gerade leicht, ihre Produkte zu verstehen. Wir müssen dafür sorgen, dass den Leuten klar wird, dass sie in einer Bank nicht einem Berater, sondern einem Verkäufer gegenübersitzen. Bei H&M ist das allen Kunden bewusst, in der Bankfiliale vielen aber nicht. Dabei ist das in der Bank noch eklatanter, denn der H&M-Verkäufer bekommt keine Provision dafür, dass er Ihnen ein besonders hässliches T-Shirt verkauft. Wir dürfen nicht aufhören mit der Berichterstattung über Finanzprodukte und Finanzdienstleistungen. Sonst überlassen wir das Feld den PR-Agenturen, und dort ist es im Sinne der Verbraucher sicher nicht am besten aufgehoben. 

Der Krise ein Gesicht gegeben“

Thomas Hütsch, Leiter der Programmgruppe Wirtschaft (Fernsehen) beim Hessischen Rundfunk und zuständig für das ARD-Wirtschaftsmagazin ”plusminus“

Den Nutzwertjournalismus haben wir ganz gut im Griff. Unsere Zuschuer wollen immer konkrete Tipps, konkrete Produktberatung, aber das machen wir nicht, auch wenn wir damit Zuschauer verärgern. In der Redaktion gibt es klare Vorgaben, nicht einzelne Produkte zu empfehlen. Natürlich waren wir froh, als die wir die die ersten Namen der Lehmann-Geschädigten hatten – endlich konnten der Krise ein Gesicht geben. Die großen wirtschaftlichen Zusammenhänge haben wir noch lange nicht aufgearbeitet.

Wir berichten nicht nur für Aktionäre“

Uwe Möller, Leiter der Programmgruppe Wirtschaft (Hörfunk) beim Westdeutschen Rundfunk

Nur jeder siebte Deutsche besitzt Aktien, aber wir berichten ja auch für die anderen. Für diejenigen, die davon ausgingen, dass sie im Gegensatz zu Aktionären nicht mit einem Totalverlust ihres Vermögens rechnen müssen. Wir haben sehr frühzeitig und sehr kritisch zum Beispiel vom Einlagensicherungsfonds berichtet. Wir waren die ersten, die herausgefunden haben, das man nur bis zu einer Einlage von 20.000 Euro auf der sicheren Seite ist, wenn eine große Bank wirklich Pleite geht. Wir haben Testpersonen mit klaren Vorgaben für Anlagen durch Banken geschickt – zum Beispiel Senioren, die 100prozentige Sicherheit und in fünf Jahren wieder an ihr Geld wollten. Keine einzige Bank hat richtig beraten, auch nicht als die Finanzkrise schon begonnen hatte. 

”Bullshitting und Masochismus“

Bernd Ziesemer, Chefredakteur des ”Handelsblatt“ und Autor und Herausgeber mehrerer Wirtschaftsbücher, u.a. ”Pioniere der Deutschen Wirtschaft“ und ”Eine kurze Geschichte der ökonomischen Unvernunft“

Der Chefredakteur eines Modeblattes sagte mir einmal, seine Beziehung zu den Anzeigenkunden sei ”ein faires Geben und Nehmen“. Das ist genau der Grund, warum ich kein Chefredakteur einer Modezeitschrift sein will. Zuviele Chefredakteure reden wie Verlagsmanager und umgekehrt. Einige nennen sich sogar Redaktionsmanager. Ich finde das zum Kotzen. Warum reden wir nicht über unser Kerngeschäft? Unser Geschäft sind Scoops, Leitartikel, spannende Inhalte und Reportagen. Wir haben uns den Medien eine merkwürdige Mischung aus Bullshitting und Masochismus angewöhnt, zum Beispiel, Sparmaßnahmen als verlegerische Großtat zu verkaufen. Ich habe keine Lust mehr auf das betriebswirtschaftliche Kauderwelsch und höre ab sofort damit auf. 

”Kein Synergiemodell organisiert Magie“

Ulrich Reitz, Chefredakteur der ”WAZ Westdeutsche Allgemeine“ sowie Jury-Mitglied des Henri-Nannen-Preises und des Theodor-Wolff-Preises

Verlagsmanager gebieren sich wie Chefreakteure und umgekehrt – da ist viel dran, Herr Ziesemer. Aber wir sind auch in einer beschissenen Situation. Fast alles, was wir machen, ist verbunden mit Personalabbau. Das sind harte Sanierungsmaßnahmen, das ist verbunden mit weniger Chancen für junge Menschen. Die Frage ist: Wie organisiert man unter veränderten Vorzeichen guten und überraschenden Journalismus? Eine Zeitung muss überraschen. Keines der Synergiemodelle beantwortet die Frage, wie man diese Art von Magie organisiert. Jeder Verlag gibt sich Mühe, ein eigenes Modell und einen eigenen Weg zu finden. Ich habe für mich klar entschieden, ich gehe nicht in die Geschäftsführung. Der wahre Grund, warum Verlagsmanager die größeren Autos fahren ist: Weil Chefredakteur sein viel geiler ist. Als Geschäftsführer hat man eine Erfolgsbeteiligung und entscheidet mit über die Einführung von neuen Anzeigenformaten. Da bekommen Sie ein schmuddeliges Angebot und gleichzeitig hängt Ihr Bonus davon ab? 

”Wer mag schon Spielverderber?“ 

Kerstin Kohlenberg, Stellvertretende Leiterin des Ressorts Dossier der Wochenzeitung ”Die Zeit“. Trägerin des Georg von Holtzbrinck-Preis für Wirtschaftsjournalismus

Der Soziologie Ulrich Beck hat einmal geschrieben, dass Gefahren zu blinden Passagiere des Normalkonsums werden. Je länger nichts passiert, desto weniger nimmt man von ihnen Notiz. Und dann sitzen sie da – im Laderaum des Konsumflugzeuges –  und nach jedem sicheren Flug kommen mehr Blinde-Gefahren-Passagiere dazu. Bis das Flugzeug so schwer ist, dass alle gemeinsam abstürzen. Keine Fluglinie würde so ein Risiko in Kauf nehmen. Und daher gibt es Kontrollen vor dem Boarding. Das dauert, das kostet, das macht unflexibel. Wenn es um das eigene Leben geht, nimmt man all das in Kauf. Wenn es ums Geld geht, offenbar nicht. Aber kann man mit Finanzmärkten so umgehen wie mit gefährlichen Nationen, pre-emptive  sozusagen – also präventiv? Einen Staatssekretär im Finanzministerium, der sich vor der Krise noch sehr stark für die Verbreitung von Asset Backed Securities eingesetzt hat, habe ich kürzlich gefragt, warum er damals nie daran gedacht hat, dass dieser gigantisch wachsende, unregulierte Markt an Derivaten eine Gefahr für die Finanzmärkte darstellen könnte. 

Natürlich ist es leicht, so etwas neunmalklug hinterher zu fragen. Aber wenn der Staatssekretär sich so für eine Sache einsetzt, dann hat er sie doch offensichtlich geprüft. Der Staatssekretär überlegte eine ganze Weile, und sagte dann: Er wisse es wirklich nicht. Es sei da eben um Chancengleichheit auf dem europäischen Binnenmarkt gegangen, und na ja – es sei ja lange alles gut gegangen. Warner klingen in Wachstumsphasen wie Spielverderber und wer mag schon Spielverderber? Wenn uns die Krise eines gelehrt hat, dann wie schwer es uns fällt, und selbst zu zügeln. Warum die Angst – ganz besonders vor dem gemeinsamen Ruin – kleiner ist, als die Hoffnung auf Gewinne? 

Vielleicht weil sich im gemeinsamen Ruin die Schuld auf allen Schultern verteilt. Alle haben es ja so gemacht, und wenn alle das Falsche machen, dann wird das Falsche im Nachhinein irgendwie total und unvermeidbar, fast naturgegeben. Die Krise gehört dann zur Natur des Kapitalismus, und Nichts und Niemand hätte sie abschwächen oder gar verhindern können. Die Folgen müssen dann auch alle tragen. Und da wir unser eigenes Glück, immer nur im Vergleich mit anderen erleben – also : geht es uns besser, schlechter oder gleich gut als dem Nächsten? –  ist ein gemeinsamer Absturz auch leichter zu verarbeiten. Wenn man sich aber als einziger gegen die Massenmeinung stemmt und falsch liegt, dann ist man auch der einzige, der die Folgen tragen muss. Der einzige, der abstürzt. Das Risiko ist den meisten zu groß. 

Schwierig für eine Gesellschaft wird es dann, wenn die Krise eine Kultur etabliert, in der das Fehlverhalten im Nachhinein noch belohnt wird, weil es keine andere Möglichkeit gibt, dass System zu stabilisieren. Und wenn zudem das Fehlverhalten noch als unvermeidlich hingestellt wird, weil es etwas zutiefst Menschliches sei. Wie soll man so aus der Krise lernen? Wenn der Markt ein Spiegelbild der menschlichen Psyche ist, dann ist doch nichts wichtiger, als falsches Verhalten zu bestrafen. Sonst hat man es irgendwann nur noch mit Größenwahnsinnigen zu tun. 

”Auf den Hintern setzen und arbeiten“

Helmut Schmidt, Mitherausgeber der Wochenzeitung ”Die Zeit, Bundeskanzler a.D. und Autor zahlreicher Bestseller zu Politik und Wirtschaft. Auch sein aktuelles Buch ”Außer Dienst“ steht an der Spitze der Bestseller-Listen.

Die Berichterstattung über die Krise ist in Ordnung, aber die Kommentierung der Maßnahmen, die ergriffen werden, ist sehr vorsichtig. Die Kenntnis der Welt da draußen ist nicht besonders berauschend unter Wirtschaftsjournalisten. Das ist nicht die Schuld der Verlagskaufleute. Zunächst einmal muss ein Chefredakteur auf die Idee kommen: Ich brauche einen zweiten Mann in Peking. Wirtschaftsjournalisten sind seit der Freiburger Schule gewohnt, in nationalen Zusammenhängen zu denken, dabei gibt es in Deutschland eine ungeheure Abhängigkeit von den Weltmärkten. Manche Journalisten glauben, die Krise sei mit nationalen Maßnahmen zu lösen – das ist wirklich zum Lachen. Ich würde gerne mal eine Analyse lesen, warum der New Deal nach der Weltwirtschaftskrise bis zum Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg nicht wirklich gut funktioniert hat. Daraus sind Lehren zu ziehen für die jetzige Konkjunkturkrise. Aber das setzt voraus, dass sich jemand auf den Hintern setzt und arbeitet. 

 

Tag des Wirtschaftsjournalismus:  Die Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft lud am 25. März 2009 zum dritten Mal zum Tag des Wirtschaftsjournalismus in das Maternushaus in Köln ein. Die diesjährige Veranstaltung mit rund 250 Teilnehmern stand unter dem Motto: ”Die Krise und ihre Folgen – Was können Journalisten daraus lernen?“ Schwerpunkte waren US-Medienerfahrungen mit der Krise, die Frage, ob der Nutzwertjournalismus versagt hat, neue Redaktionsmodelle und ein Gespräch mit Altbundeskanzler Helmut Schmidt. Die Statements sind die Kernthesen der Referenten und Diskutanten bei der Veranstaltung, zusammengefasst von Ulrike Langer

Ein Tagungbericht vom ”Tag des Wirtschaftsjournalismus“ steht auf der Website  www.tag-des-wirtschaftsjournalismus.de .