Reale Gefahr und Goldene Regeln

Prof. Holger Wormer über Schwierigkeiten bei der Ehec-Berichterstattung und die goldenen Regeln des Wissenschaftsjournalismus.

Herr Wormer, wie zufrieden waren Sie mit der Ehec-Berichterstattung deutscher Medien?

Professor Holger WormerEs gab natürlich ein paar Ausschläge und Entgleisungen. Immer wenn von Horror, von Grauen oder von Killerkeimen die Rede ist, ist das zu hoch gegriffen. Viele andere Medien haben aber absolut seriös berichtet. Ansonsten muss man die Berichterstattung auch daran messen, wie die Informationspolitik von RKI, BfR und zuständigen Ministerien aussah. Und da haben die Medien zum Teil nur das abgebildet, was sich in den Behörden abspielte. Und auch das, was nun mal an natürlicher Unsicherheit bei einem solch rätselhaften Ausbruch da ist.

Landwirte, Discounter, Konsumenten – viele schimpfen heute wieder über die Medien. Aber hatten die Journalisten überhaupt eine Wahl als zu berichten?

In dem Fall nicht. Es gab eine reale Gesundheitsgefahr, über die berichtet werden musste. Man stelle sich mal den umgekehrten Fall vor: Es hätte eine offizielle Warnung gegeben und die Medien hätten nicht berichtet? Wer hätte das verantworten wollen? Letztlich kommt es darauf an, die Dinge und Warnungen, über die man berichtet, einzuordnen.

Stichwort Informationspolitik: Mit welchen Schwierigkeiten hatten Journalisten bei der Ehec-Berichterstattung noch zu kämpfen?

Das grundlegende Problem bei der Berichterstattung über Risiken und Wahrscheinlichkeiten ist, dass es da naturgemäß keine eindeutigen Botschaften gibt. Nehmen Sie im Vergleich dazu einen Autounfall mit zwei leicht Verletzten und 5000 Euro Sachschaden. Da berichtet die Redaktion über ein klar umrissenes Ereignis, das bereits stattgefunden hat. Bei Beiträgen über Risiken muss sie hingegen darüber berichten, was vielleicht mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit von X Prozent in der Zukunft eintritt. Das ist schwer abzubilden. Und selbst wenn es gut abgebildet wird, bleibt immer noch die Frage, wie differenziert es beim flüchtigen Mediennutzer ankommt.

Haben Journalisten heute alle Informationen, um angemessen über Ereignisse wie die Ehec-Infektionen berichten zu können?

Das deutsche Meldesystem ist nicht das Beste. Und leider halten sich Bakterien nicht an föderale Zuständigkeiten. Wenn man von Verzögerungen absieht, die dadurch entstehen können, standen die wichtigsten Zahlen zur Ausbreitung der Erkrankung aber früher oder später zur Verfügung. Die aber müssen dann richtig eingeordnet werden. Es ist z. B. wichtig zu sagen, wie die Erkrankungszahlen im Vergleich zu früheren Ausbrüchen aussahen. Das RKI selbst spricht immerhin von einem der weltweit größten bislang beschriebenen Ausbrüche von EHEC bzw. HUS und dem bislang größten Ausbruch in Deutschland.

Welche Fehler werden bei der Berichterstattung über Infektionskrankheiten wie Ehec am häufigsten gemacht?

Grundsätzlich ist erst einmal zu unterscheiden, ob sich eine Behörde, die für die Gesundheit aller zuständig ist, Sorgen macht oder ob man selbst persönlich daraus Konsequenzen ziehen will oder muss. Deshalb müssen die Konsumenten genau Bescheid wissen. Für eine solche Einschätzung ist es immer besser,  mit absoluten Zahlen zu arbeiten und nicht allein mit Prozentangaben. Man sollte also z.B. sagen, gestern kamen bundesweit 18 neue Ehec-Fälle hinzu und nicht, die Zahl der EHEC-Fälle stieg gestern im Vergleich zum Vortag um 200 Prozent, was schnell Alarmismus auslöst. Nur so können sich die Leute ein Bild machen. Ein anderer häufiger Fehler ist die Wortwahl: Horror, Katastrophe oder Todesgurken gehören sicher nicht zu einer seriösen Medizinberichterstattung.

Wo können Journalisten jenseits des RKI Experten zu einem Thema wie Ehec finden?

Es gibt neben dem Berliner Robert Koch-Institut noch die sogenannten nationalen Referenzzentren, die auf spezielle Keime spezialisiert sind. Diese Zentren sind oft an Universitäten angesiedelt oder auch an Außenstellen des RKI. Daneben kann man über die medizinischen Fachgesellschaften gehen, die in der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften zusammengeschlossen sind. Da gibt es z. B. die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie. Man kann natürlich auch über medizinische Literaturdatenbanken wie die medline Experten finden, die zum Thema viel in Fachzeitschriften veröffentlicht haben. Gerade bei Infektionskrankheiten, die nun alles andere als ein deutsches Geschehen sind, lohnt sich zudem der Blick in die USA oder ins europäische Ausland. Die Seite des Centers for Disease Control and Prevention wäre da eine wichtige Adresse.

Muss ich Wissenschaftsjournalist sein, um über Ehec zu berichten oder reicht das normale journalistische Rüstzeug aus?

Wissenschaftsjournalismus ist keine Hexerei, auch ein Journalist, der keine entsprechende Ausbildung hat, muss grundsätzlich über Ehec berichten können. Trotzdem kann es hilfreich sein, einen gewissen Hintergrund zu haben. Wobei man nicht vergessen darf, dass auch nicht alle Wissenschaftsjournalisten in den Redaktionen Medizin mit Schwerpunkt Infektionsbiologie studiert haben. Entscheidend ist ein generelles Grundverständnis von Wissenschaft und Medizin, da sind Wissenschaftsjournalisten natürlich im Vorteil.  Vor allem aber muss man sich an diese Sachen wirklich heran trauen, sich darauf einlassen, auch einmal zunächst fremd klingende medizinische Fachliteratur zu lesen. Hinzu kommt normales journalistisches Handwerkszeug, wie man Experten findet, mit ihnen umgeht, eine zweite Meinung einholt usw.

Wie ist der Ausbildungsstand in den Redaktionen: Gibt es ausreichend Wissenschaftsjournalisten?

Wir sollten Abstand davon nehmen, das Berichtsfeld Wissenschaft und Medizin als Sonderfall zu betrachten. Diese Themen gehören zum Redaktionsalltag. Viele Medien haben das auch schon begriffen und sich entsprechende Fachleute in die Redaktion geholt. Wo ich allerdings einen enormen Nachholbedarf sehe, ist in den aktuellen Redaktionen speziell im Fernsehen. Da besteht eine Redaktion schnell mal aus 20 Politikwissenschaftlern, hat aber nicht einen, der zumindest ein bisschen was von Biologie oder Medizin versteht. Man muss ja gar nicht der Experte für alle Themen sein, aber schon ein Kollege mit naturwissenschaftlichem Background reicht und die Redaktion verfügt über so viel Hintergrundwissen, das Problem einordnen und die Fachredaktionen aufs richtige Gleis setzen zu können. In Kleinredaktionen, etwa bei Lokalzeitungen, die keine Wahl haben als vorwiegend mit Generalisten zu arbeiten, kann meiner Erfahrung nach schon ein Intensivkurs über wenige Tage helfen, Themen wie Ehec besser zu bewältigen.

Wie unterscheidet sich die Wissenschaftsjournalismus-Ausbildung von der an  normalen Journalismus-Studiengänge?

Einen wichtigen Raum nimmt der Bereich ein, der für die Recherche im Wissenschaftssystem essentiell ist. Da geht es um die Strukturen der Forschung, wir schauen uns an, was ein Begutachtungsverfahren ist, was ein Peer-Review-Verfahren ausmacht und was die Aufgaben der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder die Schwerpunkte der Max-Planck- im Vergleich zur Fraunhofer-Gesellschaft sind. Ganz wichtig ist uns auch, journalistische Inhalte von Anfang an mit denen der Natur- oder Ingenieurwissenschaften zu verknüpfen. Wir trainieren Journalismus, das Recherchieren wie das Produzieren und Schreiben,  fast immer an Beispielen aus der Wissenschaft. So machen wir z. B. auch spezielle Interviewtrainings mit Wissenschaftlern als Gesprächspartnern.

Wie groß ist das Interesse der Studenten an Ihrem Fach?

Groß. Wir haben üblicherweise zwischen 150 und 200 Bewerber auf zehn oder zwölf Plätze. Das finde ich für ein eher kleines Feld schon beachtlich. Wir kommen dennoch nicht in die Versuchung, die Zahl der Studienplätze zu verdreifachen. Zum einen, weil wir weiterhin möglichst jedem Studierenden auch ein Volontariat bei unseren Medienpartner vermitteln möchten und die Volontariatsplätze begrenzt sind, zum anderen aber auch, weil der Markt für den spezialisierten Wissenschaftsjournalisten bei allem wachsenden Interesse in den Redaktionen nach wie vor kleiner ist als in anderen Bereichen.

Gibt es so etwas wie die goldenen Regeln des Wissenschaftsjournalismus?

Die Haupttugend ist sicherlich, im Kontakt mit Professoren und Wissenschaftsthemen nicht all das über Bord zu werfen, was man in anderen journalistischen Bereichen als selbstverständlich betrachtet. Wenn man die Maßstäbe, die man auch an guten Politik- oder Wirtschaftsjournalismus anlegt, auch beim Wissenschaftsjournalismus beachtet, ist da schon viel gewonnen. Ich nenne als Beispiel gerne die W-Fragen der zweiten Generation: Warum sagt wer was wann wo und wie? Das gilt auch für Wissenschaftler- und Expertenstatements. Ohne mindestens eine zweite Quelle und ohne kritisches hinterfragen usw. kommt man auch im Wissenschaftsjournalismus nicht aus.

Interview: Katy Walther

 

Vita Holger Wormer

Professor Holger Wormer
Professor Holger Wormer
Prof. Holger Wormer, geboren 1969, ist seit 2004 Inhaber des Lehrstuhls Wissenschaftsjournalismus an der Universität Dortmund und dort verantwortlicher Projektleiter für medien-doktor.de, ein Portal, das die Qualität medizinjournalistischer Beiträge in Publikumsmedien bewertet. Wormer studierte Chemie (Diplom) und Philosophie in Heidelberg, Ulm und Lyon. Von 1996 bis 2004 war er Wissenschaftsredakteur der „Süddeutschen Zeitung“ mit den Schwerpunkten Medizin, Gentechnik, Umwelt sowie Betrug in der Wissenschaft. Seit 2007 hat er eine feste Rubrik bei WDR-1Live („Professor Holger“). Auch jenseits der Universität ist er seit vielen Jahren in der Aus- und Weiterbildung von Journalisten aktiv (u.a. Henri-Nannen-Schule, WDR, ZDF). Ferner ist er Autor und Herausgeber mehrerer Bücher (aktuell: „Endlich Mitwisser!“, KiWi-Verlag, 2011).