Rolf-Dieter Krause: „Verwerfliche“ Praktiken in Brüssel

Europa und die Journalisten: Während sich feste Brüssel-Korrespondenten kaum einen interessanteren Einsatzort vorstellen können, kämpfen dort immer mehr Freie um ihre Existenz. Das liegt auch an der Kommunikationspraxis der EU, kritisiert ARD-Studioleiter Rolf-Dieter Krause. Im Interview spricht er über die Entwicklung der journalistischen Bedingungen in Brüssel und die Herausforderungen an die aktuelle Europa-Berichterstattung (siehe dazu auch „Special Europa“ in der aktuellen Print-Ausgabe medium magazin 4-5/2012). 

Rolf Dieter Krause, ARD-Studioleiter Brüssel
Rolf-Dieter Krause. ARD-Studioleiter Brüssel. Screenshot aus der Tagesschau

Interview: Katy Walther

Welchen Stellenwert haben ARD und die Tagesschau in Brüssel?

Wenn Sie sich anschauen, wie die EU-Institutionen Korrespondenten behandeln, gibt es zweifellos Unterschiede. Und die ARD oder andere wichtige deutsche Medien gehören da zweifellos zu den Triple A-Medien. Ich könnte mir vorstellen, dass es der politische Redakteur einer Regionalzeitung deutlich schwerer hat in Brüssel, was ich oft kritisiere.

So manchem gilt Brüssel als Exil oder Abstellgleis. Sie arbeiten gerne dort. Was reizt Sie am Korrespondentenjob?

Das ist mit einem Satz nicht zu beantworten. Was ich sagen kann ist, es ist der einzige Job in meinem Leben, der partout nicht langweilig werden will. Sie können einfach nirgendwo sonst in einem internationaleren Umfeld arbeiten, das ihnen auch täglich begegnet. Sie haben ständig mit Menschen aus anderen Ländern zu tun und das ist einfach ein intellektuelles Vergnügen. Das biegt Ihnen nämlich den Horizont auf. Sie merken, dass es andere publizistische, ökonomische und politische Kulturen gibt, die nicht immer schlechter sind als die deutsche, aber immer anders. Das ist wie eine Einladung zum Lernen. Dazu haben sie immer mit wechselnden Personen zu tun. Und last not least ist Europa immer noch ein unglaublich spannendes Projekt, weil es durchaus schwierig ist, diese verschiedenen Kulturen zusammenzubringen, es aus meiner Sicht aber nötig ist, diesen Versuch zu machen, und es dabei überhaupt nicht sicher ist, ob er letztlich von Erfolg gekrönt sein wird.

Rolf-Dieter Krause

Rolf-Dieter Krause - Studioleiter ARD-Studio Brüssel
Rolf-Dieter Krause - Studioleiter ARD-Studio Brüssel, Foto: WDR/Herby Sachs

Der Chef des ARD-Studios Brüssel begann seine berufliche Laufbahn bei der „Landeszeitung für die Lüneburger Heide“ in Lüneburg. Es folgten fast zehn Jahr bei der WAZ – erst als Lokalredakteur im Ruhrgebiet, später als landespolitischer Korrespondent in Düsseldorf. 1982 wechselte er zum WDR, war zunächst landespolitischer Korrespondent in Düsseldorf, dann Fachmann für Wirtschafts- und Finanzpolitik im ARD-Studio Bonn. Von 1990 bis 1995 war Krause schon einmal ARD-Korrespondent in Brüssel, wechselte dann als stellvertretender Studiochef nach Bonn zurück. Seit Mai 2001 leitet Rolf-Dieter Krause nun das Brüsseler ARD-Studio.

Sie waren von 1990 bis 1995 schon einmal in Brüssel, sind dann nach Bonn gegangen und 2001 wieder hierher zurückgekehrt. Was hat sich an der Arbeit hier seit den 90ern verändert?

Es hat sich eine Menge geändert. Spontan fallen mir zwei Sachen ein. Das eine ist für uns ganz wichtig: In der EU wurde in den 90er Jahren nur französisch gesprochen. Die frankophonen Kollegen haben sich oft sehr ungeniert kringelig gelacht darüber, wie z.B. Dänen oder Holländer ihr Französisch aussprachen. Es ist in der Zwischenzeit, als ich nicht da war, dann durchgesetzt worden, dass auch Englisch gesprochen werden darf, was uns Deutschen oder den Skandinaviern eher liegt. Der zweite wichtige Unterschied ist, dass Europa sehr viel politischer geworden ist. In den 90er Jahren hat es die EU-Kommission vermieden, Mitgliedsstaaten mal auf den Zeh zu treten. Jetzt tritt sie immerhin ab und zu mal auf den kleinen, manchmal auf den mittleren Zeh. Auch das Europaparlament hat deutlich mehr Kompetenzen bekommen, ist viel politischer geworden, wodurch sich die Sujets auch sehr geändert haben.

Die Finanzkrise fordert mehr noch als früher wirtschaftlichen Sachverstand. Muss ein EU-Berichterstatter einen BWL- oder VWL-Abschluss haben?

Ich habe keinen. Trotzdem habe ich die Schwierigkeiten, die wir heute mit dem Euro und in der Eurozone haben, sehr viel genauer vorhergesagt als viele, mit denen ich damals gestritten habe. Was sie brauchen, ist wirtschaftliches Verständnis, Offenheit, Logik und gute kommunikative Skills, denn alleine sind sie hier in Brüssel als Korrespondent nichts. Sie brauchen den Austausch mit anderen und müssen mit Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen eine kommunikative Ebene finden. Und dann brauchen sie die journalistischen Tugenden: sich Fragen, die sich ihnen stellen, auch stellen, nicht Ruhe geben, bis sie es verstanden haben, und sei es noch so kompliziert, sich nicht begnügen mit den Auskünften, die sie im ersten Anlauf erhalten, und den Kontakt zum Publikum nicht verlieren bzw. etwas dafür tun, ihn zu behalten. Dann kann man den Job in Brüssel immer gut machen.

Wie hält man als Fernsehmann in Brüssel den Kontakt zu seinem Publikum in Deutschland?

Das tue ich u. a. dadurch, dass ich versuche, möglichst oft Besuchergruppen im Studio zu empfangen: Leute, die Parlament und Kommission besuchen und dann eben auch zu uns kommen.

Sie machen Beiträge, kommentieren, moderieren auch das „Europamagazin“. Hat Ihr Tag mehr als 24 Stunden und wie sieht so ein normaler Arbeitstag aus?

Das schöne ist, er gleicht nie dem zuvor. Und ja, ein Nine-to-five-Job ist es nicht und er dauert manchmal auch lange, erst recht, wenn sie abends noch Kontakte pflegen wollen, was in Brüssel meistens beim Essen passiert. Aber das ist das schöne, wenn man einen Job hat, den man gerne macht, dann empfindet man ihn nicht als Last. Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, wie viele Stunden ich arbeite.

Die Kommunikation der EU-Kommission hat sich deutlich professionalisiert. Ist das kostenlose Footage-Material eine Gefahr, eine Entlastung oder als Quelle gar eine Bereicherung für den Journalismus?

Ich bin ein heftiger Kritiker, vielleicht der heftigste Kritiker dieser Praxis der Kommission. Die Kommission macht Dinge, die unanständig sind: Sie finanziert einen Fernsehsender zu großen Teilen, „euronews“, mit einem zweistelligen Millionenbetrag im Jahr, was nach deutschem Verfassungsverständnis unmöglich wäre. Sie hat einen Vertrag mit dem Sender, der „euronews“ verpflichtet, über bestimmte Dinge zu berichten, womit die erste redaktionelle Entscheidung, nämlich die, worüber berichte ich, schon gekauft ist. Und die Kommission stellt haufenweise Material, sogar ganze Filme in jeder EU-Sprache zur Verfügung, die sie kostenlos senden können, wobei die Kommission als Produzent und Adressat nicht kenntlich ist. Das finde ich verwerflich. Bei dem ganzen Material, auch dem von „Europe by Satellite“, kommt es natürlich immer darauf an, wie es benutzt wird. Mir ist es so lange als Ergänzung willkommen, wie ich mein Kamerateam in die Pressekonferenz  schicken kann. Wir haben aber immer wieder erlebt, dass sowohl die Kommission als auch der Ministerrat mit Hinweis auf EbS und dessen Material versucht hat, unseren Kamerateams den Zutritt zu verwehren. Das haben wir oft auch nur mit politischer Unterstützung verhindern können. Es hat immer wieder solche Vorstöße gegeben, unsere Arbeit zu behindern und die Herrschaft über die Bilder zu gewinnen. Bei den Fotografen ist das übrigens fast schon gelungen.

kostenloses Material der Europäischen Kommission
Kostenloses Video- und Fotomaterial der Europäischen Kommission.

Was heißt das? 

Die EU bietet von jedem Event kostenlose Bilder zum Download an. Das sind natürlich alles 0-8-15-Fotos, die den wenigen freien Fotografen das Leben aber wirklich schwer machen. Die freien Kollegen können von den wenigen Anfragen nach abseitigen, originellen Motiven allein nicht leben, sie brauchen auch das Schwarzbrot der Alltagsfotografie, und diesen Markt hat die Kommission fast schon kaputt gemacht. Das Verhalten der Kommission widerspricht in vielen Punkten nicht nur den eigenen Wettbewerbsregeln, sondern auch den Gepflogenheiten, die sie hinsichtlich freier Berichterstattung von anderen Staaten erwartet. Ginge es nicht um die EU-Kommission selbst, würde sie so etwas nie dulden. Ich finde das Vorgehen einfach nur skandalös.

Ist denn wenigstens der Sprecherdienst so ausgestattet, dass Journalisten ihre Arbeit gut machen können?

Die Kommission hat einen relativ kleinen Sprecherdienst. Mit um die 30 Leute sieht der nur auf den ersten Blick groß aus. Selbst das unwichtigste deutsche Ministerium ist mit bis zu sechs Sprechern ausgestattet, um alle Anfragen schnell beantworten zu können. Ein bedeutender Kommissar wie Olli Rehn z. B., der jetzt für die Währungskrise zuständig ist, hat nur einen Sprecher, der befugt ist, vor Kameras Auskunft zu erteilen. Die nachgeordneten press officer können vielleicht mal eine Sachauskunft geben, für Statements braucht man die aber gar nicht anzurufen, weil sie meisten auch nicht so viel wissen. Und da sind wir wieder bei dem, was ich eingangs sagte: Wir als Triple A-Medium, das gilt für die BBC, für die Financial Times, für die FAZ, die Süddeutsche, das ZDF, für die Le Monde, El País genauso, wir werden schon einigermaßen gut behandelt, wenn auch nicht gut genug. Der Politikredakteur der „Nürnberger Nachrichten“ oder der „Neuen Westfälischen“ hat da gar keine Chance. Bis der seinen Rückruf kriegt, sind seine Gebeine vermutlich schon vermodert. Also die Auskunftsfähigkeit leidet: Die aber muss eine politische Institution gewährleisten, weil sie rechenschaftspflichtig ist. Da fehlt‘s, und auf der anderen Seite läuft die Propagandamaschinerie auf vollen Touren.

Sind die kostenlosen Bilder und Filme oder der Sparzwang in den Verlagen schuld daran, dass es laut International Press Association (API) immer weniger Journalisten in Brüssel gibt?

Beides. Dass sich freie Fotografen aus Brüssel verabschiedet haben, hat eindeutig mit dem Verhalten der Kommission zu tun. Dass die Zeitungen zum Teil ihren Korrespondentenstab zurückgefahren haben, hat sicher damit zu tun, dass die Zeitungen sparen müssen. Dass die Privatsender in Brüssel praktisch nicht mehr mit Korrespondenten vertreten sind, hat damit zu tun, dass sie den Eindruck haben, mit Brüssel selbst in den Nachrichten keine Quote machen zu können. Die Gründe sind also völlig verschieden. Dass aber die sogenannten deutschen Nachrichtensender, n-tv oder n24, hier nicht vertreten sind, wundert mich schon. Das ist politisch ein Platz, der für das Leben unserer Zuschauer mindestens so wichtig ist wie Berlin und wo täglich Entscheidungen fallen, die das Leben der Bürger beeinflussen. Und ich finde, da muss man sein. Es gibt Medien, die meinen, dass vom Heimatbüro aus gut machen zu können und die sich die Mittagskonferenz der Kommission z. B. über Satellit anschauen. Manche Verlage wollen sich den teuren Korrespondenten vor Ort nicht mehr leisten.

Kann man die Ereignisse in Brüssel aus dem Heimatbüro adäquat featuren?

Das vordergründige Nachrichtengeschäft können sie mit einer guten Nachrichtenagentur an der Hand und ein paar Schnittbildern, die ihnen über die Eurovision oder den EBS geliefert werden, sicher betreiben. Die Frage ist doch aber, ob sie die Politik so wirklich beurteilen und einordnen können und die Hintergründe dazu ausleuchten. Und das können sie nicht. Und das ist in Brüssel wie in jeder anderen Hauptstadt. Sie kriegen offiziell natürlich immer nur die glänzende Seite der Medaille hingehalten und die andere eben nicht so gerne. Von der erfahren sie nur, wenn sie Kontakte haben. Und Kontakte machen ist in Brüssel schwerer als etwa in Berlin, weil die Interaktion zwischen Politik und Journaille hier eine andere ist. Als ich in Bonn Korrespondent war, wusste ich, dass sich diejenigen, über die ich berichte, meine Beiträge auch anschauen. Das heißt, sie bekamen schneller ein Bild von mir und konnten sich schneller entscheiden, ob sie mir vertrauen wollen oder nicht. Das ist in Brüssel so nur mit den Deutschen, die hier leben. Aber das ist ja nur ein kleiner Teil des Ganzen. Die anderen verstehen die Sprache nicht und schauen daher auch nicht unser Programm. Sie reden nur mit uns, weil sie Deutschland für wichtig halten oder weil wir der größte Sender hier sind. Viel weiter geht’s aber nicht. Gerade was die Vertreter anderer Nationen angeht, hat sich ausgezahlt, dass ich jetzt schon so lange hier bin. Das gilt übrigens auch für Zeitungen, die mit langjährigen Korrespondenten hier arbeiten. Sie erfahren in den informellen Kreisen immer sehr viel mehr, vor allem sehr viel mehr Interessantes, als auf den offiziellen Kanälen.

Ich habe gelesen, dass Sie ein kleines Notizbuch haben mit wichtigen Telefonnummern. Wen rufen Sie denn nach den offiziellen Sitzungen immer so an?

Nach der Sitzung komme ich gar nicht dazu, noch großartig zu telefonieren, da muss ich ja meine Berichte machen. Das Nachrichtengeschäft ist inzwischen ja auch eine Legebatterie, mit dem Unterschied, dass wir manchmal alle Stunde ein Ei legen müssen, ein Huhn aber nur einmal am Tag. Nein, ich habe ein paar Telefonnummern, wo ich notfalls während der Sitzung eine SMS schicken kann und eine zurück kriege. Und das ist manchmal wirklich die Rettung. Für die hintergründige Ausleuchtung ist es bisweilen aber sogar interessanter, mal drei Tage nach einer Sitzung mit jemandem zu sprechen, wie es denn nun wirklich war und dann zu wissen, wo man belogen worden ist. Das hilft einem fürs nächste Mal sehr viel mehr. Und es führt dazu, dass man insgesamt nicht mehr so oft belogen wird, denn als Lügner dastehen will ja keiner.

Wie wichtig ist der Austausch mit Journalistenkollegen aus anderen Ländern?

Es ist das wichtigste. Ohne das geht es hier überhaupt nicht. Wenn ich beispielsweise wissen will, wie die Krankenversicherung in Dänemark organisiert ist, kann ich bei der Botschaft anrufen, einen unglaublichen Prozess auslösen und habe am Ende 200 Seiten Papier auf dem Fax. Wenn ich zu meinen Kollegen vom dänischen Fernsehen gehe, dann erzählen die mir in fünf Minuten das, was ich wissen muss. Außerdem kann ich mich mit den Kollegen hervorragend darüber austauschen, was die einzelnen Regierungen z. B. bei einem Gipfel erreichen wollen. Jeder kriegt von seiner Botschaft oder seinem Regierungssprecher Informationen, die für die Einordnung wichtig sind, und auch hier findet natürlich ein kollegialer Austausch statt, der einem die Arbeit erleichtert. Das ist dann ja auch kein Vertrauensbruch, weil die Briefings ja unter Zwei, „aus Regierungskreisen“, laufen. Um einigermaßen vorhersagen zu können, wo die Konfliktlinien und Interessenlagen liegen, sind solche Informationen unerlässlich.

Es gibt also keine Konkurrenzsituation unter den Journalisten in Brüssel?

Doch, wir reden hier über zweierlei. Mit Kollegen aus anderen Ländern natürlich nicht, denn wir senden in verschiedene Gebiete, unsere Zeitungen erscheinen in verschiedenen Ländern. Das ist quasi wie ein Gebietsschutz. Trotzdem gibt es auch eine sehr enge Kooperation mit deutschen Kollegen, mit denen wir schon auch zusammensitzen und uns fragen, was Dinge nun eigentlich bedeuten. Wir haben mit dem ZDF und der Deutschen Welle auch eine Kooperation auf technischer Ebene. Oft genug kriegen wir ja nur eine deutsche Kamera in die Sitzungssäle rein, so dass man ohnehin poolen muss. Die Konkurrenz findet eher statt bei der Frage, wie gut verkaufe ich‘s meinem Sender, da vergleichen wir schon, wer was ins Programm bekommt, wer hat die bessere Art der Darstellung gefunden und wer hatte am Ende die besseren Informationen. Das ist ein Wettbewerb. Den gewinnen sie manchmal, manchmal nicht. Wenn sie ihn aber ein bisschen häufiger gewinnen als verlieren, sind sie einigermaßen froh.

Immer mehr Menschen wenden sich von Europa ab, weil ihnen die Geschehnisse zu komplex oder zu abstrakt sind, manch einer empfindet Europa mittlerweile gar als Bedrohung. Wer trägt die Schuld daran: Medien oder Politik?

Weder die Medien, noch die Politik in erster Linie. Die tragen schon auch dazu bei, aber das Problem ist ein anderes. Wenn Besuchergruppen zu uns ins Studio kommen, debattiere ich oft mit ihnen und frage sie natürlich auch, ob sie unser Europamagazin kennen oder den Bericht aus Brüssel und wie oft in der Woche sie die Tagesschau sehen. Und meine Erfahrung ist, dass Europa nur die besonders scharfe Form einer Abwendung von der Politik allgemein ist. Ich sage mit großem Selbstbewusstsein, dass die Tagesschau eine der besten Nachrichtensendungen der Welt ist, wenn nicht die beste. Ich könnte das auch begründen, verzichte jedoch darauf. Aber wenn wir die Tagesschau senden, gucken zwei Drittel bis drei Viertel der Zuschauer etwas anderes. Wohlgemerkt: Derjenigen, die vor der Glotze sitzen. Und die Alternative zur Tagesschau um 20 Uhr ist Unterhaltung. Und diesen Schuh muss sich das Publikum einfach anziehen, denn es heißt nicht nur, ich werde informiert, sondern in erster Linie, ich informiere mich. Und wenn ich das nicht tue, weiß und vor allem verstehe ich auch nichts. Und dann kann ich auch nicht andere dafür schuldig sprechen. Europa macht es den Menschen in einer Hinsicht schwerer als die nationale Politik. In Europa sind die Akteure nicht so greifbar wie in Berlin, wo sie Daumen hoch, Daumen runter jederzeit urteilen können. Weil sie die Leute im O-Ton hören und damit unmittelbare Eindrücke erhalten. Die meisten Akteure in Brüssel müssen wir übersetzen, Barroso spricht in meinen Berichten mit meiner Stimme. Das ist fremd. Aber wer will, kann etwas erfahren. Es gibt ein paar Zeitungen, die berichten mehr über Europa als andere, und allein in den Programmen der ARD gibt es auch beinahe täglich irgendeine Sendung, die sich mit Europa befasst.

Sie sind u. a. durch Ihr Buch („Europa auf der Kippe – 14 Argumente gegen den Vertrag von Maastricht, München 1992″) als Euro-Skeptiker bekannt. Fühlen Sie sich durch die Krise in Ihren Einschätzungen bestätigt?

Leider ja. Und leider noch schlimmer, als ich es befürchtet hatte. Ich bin kein Rechthaber. Ich hätte gerne gehabt, ich hätte mich geirrt. Wenn man historisch auf das schaut, was hier passiert, dann glaube ich wirklich, dass Europa zur Zusammenarbeit verdammt ist, weil wir uns sonst in der globalisierten Welt nicht behaupten werden. Uns ist nicht garantiert, dass wir immer die Sahneschicht auf der Erde sind. Wenn sie an frühere Hochkulturen denken, an die Inkas, Majas, Azteken, Rom, das antike Griechenland, niemandem ist garantiert, dass er nicht untergeht. Und das gilt für uns auch. Die Frage ist, wie vermeiden wir das. Deswegen glaube ich, dass wir in Europa zusammenarbeiten müssen. Der Euro sollte eine Klammer sein. Leider erweist er sich im Moment eher als ein Sprengsatz, ein Spaltpilz. Was all die Leute damals übersehen haben, die meinten, das rein politisch, nicht mal ökonomisch, lösen zu können, ist die unterschiedliche Kultur in den Ländern. Und die Politik ist bis heute bei diesen Fragen nicht angekommen. Nehmen sie einfach die Kultur der Lohnfindung, wie Tarifverhandlungen in Deutschland und in anderen Ländern verlaufen. Das sind fundamentale Unterschiede, die man mit ihren Auswirkungen aber nicht negieren kann. Meine Skepsis gegenüber der politischen Klasse ist da schon auch gewachsen im Laufe der Zeit.

Hat es Sie mal selbst in die Politik gezogen?

Wissen Sie, das juckt sie immer mal, aber dann fragen sie sich, was soll ich da. Ich würde da doch nur stören…

In ihren Kommentaren kritisieren Sie deutsche Politiker, die Kanzlerin, das Finanzministerium – und zwar heftig und unverblümt. Hat man in Brüssel anders als in Berlin z.B. Narrenfreiheit?

Die Freiheit haben sie überall, es ist immer die Frage, was sie aus der Freiheit machen wollen. Martin Luther King hat gesagt: Freiheit ist auch eine Frage des Willens. Ich jedenfalls finde, dass ein Kommentar – und er ist ja nun nicht die attraktivste Form im Fernsehen –, klar sein muss. Da soll sich das Publikum drüber freuen oder ärgern, aber es soll nicht gleichgültig bleiben. Und ich mache mir mit der Bildung meiner Meinung sehr viel Mühe, also bevor ich da zulange, denke ich viel nach und lasse mir im Gespräch mit anderen immer mal auch Zähne ziehen, aber wenn ich dann schreibe, möchte ich, dass das klar und deutlich ist. Das gehört sich so für einen Kommentar, wenn mir die Zuschauer eineinhalb Minuten ihrer Zeit schenken.

Warum begnügen sich so viele Journalisten damit, die O-Töne ihrer heimischen Politiker wiederzugeben, statt die Ereignisse durch Kommentare und Hintergrundberichte einzuordnen?

Was sie machen wollen als Journalist, entscheiden sie immer auch selbst. Zum Teil jedenfalls. Die Tatsache, dass gerade bei Zeitungen die Verleger viele Jobs gestrichen haben, hat die Arbeitsverdichtung zum Teil so erhöht, dass viele zu einer gründlichen Recherche gar nicht mehr kommen. Und das ist ja das Gemeine: Der Unterschied zwischen gutem und sehr gutem Journalismus ist für den Leser, Zuschauer oder Hörer gar nicht so groß wahrnehmbar. Aber der Unterschied macht sehr viel Mühe. Und vor diesem Hintergrund verstehe ich auch, dass es Menschen, die überlastet sind oder die eigene Arbeits-Ökonomie im Auge behalten müssen, einfach dabei bewenden lassen, korrekt zu berichten, was ihnen gesagt wird. Aber so ein Journalist, und ich komme ja aus einem Journalistenhaushalt, mein Vater war auch Journalist, wollte ich nicht werden. Das bedeutet natürlich, dass man manchmal mehr arbeitet als andere, aber noch mal: Wenn ich Spaß an der Sache habe und mich etwas interessiert, schaue ich nicht auf die Uhr. Zumal ich finde, dass wir einen Job haben, der sehr privilegiert ist.

Die Juroren des Deutschen Fernsehpreises kennen offenbar den Unterschied zwischen gutem und sehr gutem Journalismus und so waren Sie letztes Jahr für ihre EU-Berichte in der Kategorie Information nominiert. Waren Sie sehr enttäuscht, als Ihr ARD-Kollege Ranga Yogeshwar letztlich den Preis bekam?

Nein, denn Ranga ist ein total netter Kollege, dem ich das vollends gönne. Außerdem war es so, dass ich mich bei der Feier, je länger sie dauerte, umso fremder fühlte. Man überlegt sich ja im Vorhinein schon, was man sagen will, wenn man hoch gerufen wird. Das weiß man ja vorher nicht. Aber das, was ich sagen wollte, hätte da überhaupt nicht hingepasst. Und so war ich dann eher erleichtert…

Was hätten Sie denn gesagt?

Ich wäre da sehr politisch gewesen und hätte was über die Lage der Medien in Ungarn gesagt, denn es gibt in Europa nicht nur eine Eurokrise, sondern auch noch eine ganz andere Krise, die leider kaum ein Mensch weiter beachtet.

Sie sind jetzt 61. Bleiben Sie bis zur Pensionierung in Brüssel?

Die Rentenversicherung hat mir gerade geschrieben, dass ich das gesetzliche Renteneintrittsalter im Juli 2016 erreiche. Mein Arbeitsvertrag geht immer über zwei Jahre – Ihre Frage erinnert mich übrigens daran, dass er Ende des Monats ausläuft…

Wenn Sie noch nichts aus Köln gehört haben, will Ihr Chef sicherlich nicht an Ihrem Engagement rütteln. Und Sie haben doch sicher auch keine Ambitionen, zu wechseln. Oder?

Nein. Ich kann mir im WDR vielleicht zwei Jobs vorstellen, die ähnlich interessant sind…

… Die da wären?

Das sage ich Ihnen nicht. Die sind besetzt… Die finde ich interessant, aber nicht besser als meinen. Ich empfinde mich als ziemlich privilegiert. Ich habe einen Job, der mich fesselt, der mich engagiert, bei dem ich mit einer tollen Mannschaft hier im Studio zusammenarbeiten kann, über den ich in meiner Freizeit noch mit Freunden reden kann, der mich beschäftigt und den ich gerne habe, auch weil er ganz viel mit mir selbst zu tun hat. Ich habe Glück gehabt. Ich habe mit meiner Arbeit nur versucht, diesem Glück ein Netz zu spannen, damit es sich darin verfängt. Insofern, wenn man mich lässt, wonach es im Moment aussieht, bleibe ich diese letzte Zeit gerne in Brüssel.

Bitte wagen Sie eine Prognose: Überstehen wir die Eurokrise als vereintes Europa oder wird die Vision eines starken europäischen Staatenbundes in einer globalisierten Welt in absehbarer Zeit zerbrechen?

Da sind wir im Bereich der Prophetie und darin bin ich nicht so gut, denn das kann man nicht recherchieren. Ich glaube nicht, dass eine gemeinsame Zukunft völlig gesichert ist. Ich hoffe natürlich, dass wir die Eurokrise wenigstens als EU gemeinsam durchstehen. Ob alle Länder, die heute den Euro haben, ihn auch behalten können, wage ich zu bezweifeln.