„Tage der Angst“

Carl-Wilhelm Macke über das Buch des Auslandsreporters Daniele Mastrogiacomo: „Tage der Angst“:

“Zu den spektakulärsten Entführungen von Journalisten im letzten Jahrzehnt gehört das Schicksal von Daniel Pearl im Jahre 2002. Über ihren Mann und die entsetzlichen Details seiner Hinrichtung im pakistanischen Karatschi hat seine Frau ein herzzerreissendes Buch geschrieben.

Und ebenso bewegend war dann die Jahre später gedrehte Verfilmung des Buches mit Bratt Pitt als Regisseur und Angelina Jolie in der Rolle von Marianne, der Frau von Dany Pearl. Aber trotz eines riesigen Medienrummels ( Pitt & Joel !) für Buch und Film ist eigentlich nichts Bemerkenswertes von ihnen in Erinnerung geblieben. Dany Pearl hatte eine schöne Frau, die dann auch von der ebenfalls schönen Jolie in einem mit allen gängigen Hollywood-Effekten aufgemotzten Film dargestellt wurde. War da sonst noch etwas? Ja, vielleicht das in irgendeiner amerikanischen Zeitung veröffentlichte Gespräch mit dem Schauspieler Dan Zuckermann, der in dem Film die Rolle von Dany Pearl übernommen hatte. Was Futtermann da über die Aufgaben eines Journalisten in Kriegs- und Krisenregionen sagt ist es wirklich wert, das es Buch und Film überdauert. „Es ist natürlich besonders tragisch, wenn Journalisten getötet werden oder sogar bewusst ins Visier genommen werden. Doch ist dieser Berufsstand der Garant dafür, dass all die Geschichten erzählt werden, die sonst unbekannt bleiben würden. Es wäre doch schlimm, wenn wir uns nur auf das verlassen müssten, was uns unsere Regierung erzählt!“ Besser kann man es nicht sagen, warum der unabhängige Journalismus so wichtig ist und warum gut geschriebene Reportagen auch im Zeitalter von Twitter und Facebook ihren eigenen unersetzlichen Stellenwert behalten ( müssen).

Journalisten wie Dany Pearl oder Jahre vorher der in Kroatien erschossene Egon Scotland (Süddeutsche Zeitung) – und viele andere im Beruf ermordete Journalisten – gehörten zu den besten Repräsentanten dieser Reportergeneration, von denen wir viel über die Welt erfahren haben. Auch der Italiener Daniele Mastrogiacomo (oben im Bild) gehört zu ihnen und das wir von ihm nicht in der Vergangenheitsform schreiben müssen, ist ein großes Glück für ihn, seine Angehörigen, seine Kollegen und seine Freunde.

Mastrogiacomo, geboren im pakistanischen Karatschi, gehört seit Jahren zu den erfahrensten Auslandsreportern der Tageszeitung „La Repubblica“. Und um sich in den Grenzregionen zwischen Afghanistan und Pakistan zu bewegen, bedarf es auch weniger Mut als Wissen, um die besondere Mentalität der dort lebenden Menschen zu verstehen. Mastrogiacomo besaß dieses Feingefühl gegenüber den Menschen, viel journalistische Erfahrung und ein solides historisches Wissen um die Hintergründe des Konflikte in dieser Region.

Und trotzdem wurde er zusammen mit zwei afghanischen Mitarbeitern im März 2007 von einer Taliban-Gruppe entführt. Sehr rasch bemerkte er, daß es sich nicht „nur’ um eine Tat handelte mit der die Entführer lediglich Geld erpressen oder die Freilassung inhaftierter anderer Talibani erzwingen wollten. Mastrogiacomo und seine beiden Mitarbeiter wurden der Spionage und der Zusammenarbeit mit den verhaßten Amerikanern und Engländern bezichtigt. Dass die ständigen Todesdrohungen ernsthaft waren, zeigten schon die ständigen Torturen, denen die drei ausgesetzt waren. In seinem zwei Jahre später in Italien und jetzt auch in Deutschland veröffentlichten Aufzeichnungen hat Mastrogiacomo die erlebten Tage von einer Gruppe zu allem entschlossener Entführer mit großer Genauigkeit rekonstruiert. Manche Passagen etwa über die Umstände einer Auspeitschung sind mit einer so packenden Direktheit beschrieben, daß man fast glaubt, sich selber in der Nähe der Gefolterten zu befinden. „Ich bitte meinen Gott, mir neue Verhöre zu ersparen. Ich bin bereit, noch viele Tage Gefangenschaft zu ertragen, aber die Vorstellung, Folter und Erniedrigungen ausgesetzt zu sein, macht mir Angst.“ Sehr schwer zu lesen sind auch die Erinnerungen an die barbarische Enthauptung einer seiner Mitentführten. Was Mastrogiacomo hier beschreibt ist so ungeheuerlich, daß man das Buch an dieser Stelle sofort zuklappen und am liebsten vergessen möchte.

Bernardo Valli, einer der ganz großen italienischen Reporterlegenden des XX. Jahrhunderts, schreibt in seinem Vorwort: „Wenn Mastrogiacomo die Peitschenhiebe beschreibt, die ihm die Taliban zufügten, dann fühlen wir die Peitsche auf seiner Haut. Er läßt sie uns auf unserer eigenen Haut spüren.“ Und Valli nennt dann diese Aufzeichnungen von Daniele Mastrogiacomo in einem Atemzug mit Joseph Conrad’s Meisterwerk „Herz der Finsternis“. Bei Mastrogiacomo jedoch handelt es sich nicht um eine literarische Fiktion, sondern um eine journalistische Reportage über eine in erster Person erlebte Gewalterfahrung. Und wir erfahren in dieser Chronik einer Entführung auch sehr viel über die Mentalität seiner Entführer, die man kennen muß, um zu einem Urteil über den schon seit Jahren schwelenden Afghanistan-Konflikt zu kommen.

„Wir werden überwacht von neun blutjungen Kerlen, die gerade frisch aus der Koranschule kommen, sehr religiös und bereit, dem kleinsten Befehl von oben zu gehorchen.“ Und später dann zum Schluß dieser Chronik einer erzwungenen Reise in das Grauen, erfahren wir auch noch von dem geretteten Daniele Mastrogiacomo, daß es sein Übersetzer Adjmal Nashkbandi genauso barbarisch hingerichtet wurde wie sein Reporterkollege Daniel Pearl. Beide wurden enthauptet…Der Preis dafür, daß man als Journalist Geschichten erzählen will, die uns unsere Regierungen vorenthalten, kann manchmal hoch sein, entsetzlich hoch.
Carl-Wilhelm Macke, JHJ

Daniele Mastrogiacomo
„Tage der Angst“
Aus dem Italienischen von Judith Elze,
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart, 2010, 200 S.
17,95 €