„Wir stehen vor einer Renaissance der seriösen Nachrichtenvermittlung“

Elmar Theveßen (42), Leiter der Hauptredaktion „Aktuelles“  und  stellvertretender Chefredakteur des ZDF, über  das neue Nachrichtenstudio des Mainzer Senders und die Veränderungen für die Nachrichtenpräsentation in „heute“ & Co.  (s.a. „Ab in die Grüne Hölle“ in MM 07+8/2009)

Interview: Daniel Bouhs

Animierte Hintergründe, 3-D-Animationen und sogenannte Erklärräume: Da kommt auf Ihre Zuschauer viel Neues zu. Und auch auf Ihre Mitarbeiter, oder?
Elmar Theveßen: Nehmen wir die Hintersetzer. Bisher illustrieren wir die Anmoderation eines Beitrags mit einem Bild, das wir hinter dem Moderator anzeigen. Künftig können das mehrere Bilder sein, die wie ein Stapel übereinander liegen und gewechselt werden, während der Moderator spricht. Dafür müssen wir die Anmoderation künftig wie eine kleine, in sich geschlossene Geschichte begreifen. Eben so, wie wir auch Beiträge planen: der Text muss genau zum Bild passen – und umgekehrt. Heißt konkret: Der Moderator, der den Text schreibt, muss mit dem Bildredakteur viel enger als bisher zusammenarbeiten. Unterm Strich müssen die Moderationen früher geschrieben sein.

Und die Autoren, die Redakteure?
Da kommen wir zu den Erklär-Infografiken, für die wir künftig einen festen Werkzeugkasten haben. Auf dem Bildschirm wird das zum Teil einfacher aussehen als bisher: unsere Grafiken werden asketischer. Diese Elemente müssen natürlich auch detailliert mit dem Text abgestimmt sein: Wenn sich zum Text etwas in der Grafik bewegt oder etwas markiert wird, muss das stimmen. Auch da braucht es natürlich eine gute Zusammenarbeit zwischen Autoren und Grafikern.

Moderatoren und Autoren müssen künftig noch stärker im Bild denken?
Natürlich, aber sie werden gleichzeitig auch entlastet. Hier ist ein völlig neues Berufsbild entstanden. Bisher gab es einerseits Redakteure, die nichts mit Grafiken am Hut hatten, und andererseits Grafiker, die nicht wie Journalisten dachten. Jetzt haben wir den Beruf des Grafikredakteurs. Das sind Menschen, die sowohl journalistisch Erfahrung haben als auch eine Ausbildung als Grafiker. Sie können nicht nur Fakten recherchieren und bewerten, wie klassische Journalisten, sondern das Material auch grafisch durchdenken. Wichtig ist, dass sie Inhalte verstehen – etwa den Unterschied zwischen Geschäftsbanken und Privatbanken. – um das plastisch und damit für Zuschauer verständlich darzustellen.

Also eine Art Scharnier zwischen Redaktion und Grafik?
Genau. Unsere Grafikredakteure sind Teil der Redaktion, nicht der Grafikabteilung. Einige haben in Ludwigsburg studiert, wo es bereits einen ersten Studiengang in diese Richtung gibt, andere haben wir umgeschult und ein paar von unserer Kindernachrichtensendung „logo!“ geholt. Dort haben die Kollegen ja schon früh gelernt, das komplizierte Geschehen auf der Welt so aufzubereiten, dass es sogar Kinder und Jugendliche verstehen.

Wie binden sie diese Kollegen in Ihren Redaktionsalltag ein?
Sie sollen in den Planungssitzungen ihre grafische Denke einbringen und schon während der Diskussionen erkennen, welche Themen sich für eine aufwändige optische Aufbereitung eignen. Das wird nicht nur eine inhaltliche, sondern auch eine räumliche Zusammenarbeit: Wir werden unser Großraumbüro, in dem die Redaktion für die „heute“-Sendungen sitzt, so verändern, dass Grafikredakteure an einem Tisch mit 3D-Grafikern sitzen, um über den Tag hinweg gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten.

Mit animierten Grafiken arbeitet das Fernsehen aber doch schon seit Jahren.
Aber nicht in dieser Form. Außerdem produzieren wir künftig nicht nur Grafiken, die in Beiträgen zu sehen sind, sondern auch sogenannte Erklärräume. Das sind 3D-Grafiken, die ins Studio eingeblendet werden, damit Moderatoren an ihnen komplizierte Sachverhalte illustrieren können. So etwas ist extrem aufwändig, weil sich dabei auch die Kamerapositionen ändern.

Wie früh müssen Sie beginnen, eine 3D-Grafik zu bauen, damit sie es in die Sendung schafft?
Das hängt wie so oft immer vom Thema ab. Vieles ist planbar, wie beispielsweise der 40. Jahrestag der ersten Mondlandung oder eine Wahl. Da lässt sich einiges vorbereiten, das am Tag nur noch mit aktuellen Daten gefüllt werden muss – wenn überhaupt. So wie wir Themen in eigenen Sitzungen planen, um in unseren Studios Beiträge zu bestellen und Gesprächspartner anzufragen, planen wir künftig eben auch den Einsatz von 3D-Grafiken. In der Regel passiert das in der Woche bevor das Thema aktuell wird, also vier bis fünf Tage vor einer Sendung.

Was ist mit Unglücken, etwa einen Tsunami oder einem Flugzeugabsturz? Wenn Sie einen so großen Vorlauf brauchen: Werden Sie tagesaktuell mit 3D-Grafiken aufwarten können?
Auch das wird klappen. Dann werden die Animationen im Zweifel eben nicht so aufwändig, wie wir das mit mehreren Tagen Vorlauf schaffen würden. Außerdem halten wir uns viele Modelle in Datenbanken vor. Und wenn wir etwas schnell selbst modellieren müssen, können wir notfalls auch auf ein paar Details verzichten – auf Außenmarkierungen oder Fenster etwa. Wir werden sicher auch noch passable Animationen auf den Sender bekommen, wenn wir sie erst am Mittag vor der jeweiligen Sendung angehen. Und wir werden nichts übers Knie brechen: Wir haben ja immer die Möglichkeit zu entscheiden, auf eine Grafik zu verzichten.

Also alles eine große Zeitfrage?
Ja, denn vor allem die Animationen für die Erklärräume müssen auch erprobt werden. Der Moderator steht immerhin in einem Studio, das bis auf den Tisch komplett grün sein wird. Die Grafik sieht nur der Zuschauer, weil sie in das Bild hinein gerechnet wird – wie auch das Design der Sendung. Auch das ist neu: heute haben wir ja noch eine sogenannte Realkulisse. Manches werden wir in den Erklär-Räumen sogar aufzeichnen, vor allem am Anfang, damit nichts schiefgeht.

Welche Themen eignen sich für 3D?
Das spielen wir gerade durch. Es könnte aber beispielsweise zum Standard werden, dass unser Wirtschaftsexperte Michael Opoczynski die Arbeitsmarktzahlen monatlich im Erklärraum vorstellt und Bettina Schausten die neuen Ergebnisse unseres „Politbarometers“. Auch Chronologien eignen sich sehr gut für diese Form der Präsentation. Wir haben dafür einen wunderschönen Zeitstrahl entwickelt, wie wir finden.

Können Sie die Erklärräume in das Internet übersetzen?
Daran arbeiten wir noch. In jedem Fall werden wir viele 3D-Grafiken als Aufzeichnung ins Netz stellen, so wie die Modelle auch in der Sendung zu sehen sein werden. Wenn wir das Studio in Betrieb genommen und Routine im Umgang mit den Erklärräumen gewonnen haben, werden wir uns aber auch daran machen, das ein oder andere Modell als interaktive Version ins Netz zu stellen. Gut denkbar wäre doch, dass sich bei einem Zeitstrahl hinter jedem Element ein Film aus dem Archiv verbirgt, den Zuschauer per Mausklick abrufen können. Im Tagesgeschäft werden wir es aber sicher nicht immer hinbekommen, für die Online-Version eine eigene Tiefe zu schaffen.

Was ist da aktuell das Problem?
Unser System, mit dem wir die Grafiken für das Fernsehen bauen, kann noch nicht mit dem Content-Management-System für das Internet zusammenarbeiten. Ein Beispiel: Für die Fußball-Bundesliga würde es sich ja anbieten, eine Standard-Grafik zu haben, in die die Redaktion nur die neuen Entwicklungen eines Spieltages einpflegen müssten, damit sich die Grafik von selbst für die unterschiedlichen Versionen in verschiedenen Sendungsformaten oder im Internet aktualisiert. Das alles dürfte aber nur eine Frage der Zeit sein. Und unser Ziel ist es natürlich, möglichst viele Grafiken aus dem Fernsehen auch auf heute.de nutzen zu können. Alles andere wäre Geldverschwendung.

Kommen mit der neuen Technik auch auf Ihre Korrespondenten in den Landes- und Auslandsstudios neue Herausforderungen zu?
Nur bedingt. Die Kollegen vor Ort müssen natürlich wissen, was wir da treiben, um uns von Fall zu Fall auch mal einen Hinweis geben zu können, was sich für eine Grafik oder für eine Geschichte für die Anmoderation ihres Beitrages eignet. Die grafische Arbeit wird aber weitgehend zentralisiert passieren, in der Mainzer Zentrale. Das ist übrigens ein Trend, den wir insgesamt im Blick haben müssen. Das Stichwort hier: Content-Management. Wenn wir inzwischen unsere Inhalte für immer mehr Plattformen aufbereiten müssen, müssen wir auch schauen, wie wir schnell an das Material kommen, das wir auch zu früher Stunde im Netz oder auf unserem digitalen Info-Kanal brauchen, das aber vielleicht erst später im Hauptprogramm zu sehen sein wird. Ein Beispiel ist die Frage, wie wir in der sogenannten ARD-Woche aktuelle Bilder im Netz zeigen können, in der die ARD mit ihrem „Morgenmagazin“, ihrer „Tagesschau“ und ihrem „Mittagsmagazin“ bis 14 Uhr auch für das ZDF die aktuellen Sendungen produziert.

Hört sich nach einem großen Aufwand an. Brauchen Sie mehr Personal?
Nein, denn wir sparen an anderer Stelle durch Synergien und neue Technik einiges. Unsere neue Nachrichten-Regie versetzt uns etwa in die Lage, Sendungen statt bisher mit bis zu 13 Leuten auch nur mit drei bis vier zu „fahren“. Außerdem brauchen wir keine Menschen mehr im Studio, die von Sendung zu Sendung die Kulissen tauschen, weil das jetzt per Knopfdruck passiert. Da werden Stellen frei, die wir für andere Aufgaben einsetzen können, zu denen wie gesagt auch völlig neue Berufsbilder gehören. Neben den bereits erwähnten Grafikredakteuren brauchen wir jetzt auch erstmals einen Set-Operator, der die bewegten Hintersetzer und 3D-Grafiken in unserem neuen Studio steuert. Und bei der Frage, wie wir auch in ARD-Wochen vormittags sowie am Wochenende wichtige neue O-Töne von Politikern und Bilder von Ereignissen im Netz anbieten können, greifen wir auf den Info-Kanal zurück, für den quasi ständig neue Ausgaben der „heute in 100 Sekunden“ produziert werden. Die Kollegen, die dieses Projekt betreuen, können auch mal eben schnell etwas ins Netz stellen und bei unseren Studios O-Töne anfordern, die wir sonst später bräuchten.

Für Sendungen, die lebendiger werden. Das Studio wird größer. Was ändert sich sonst noch?
Eigentlich die ganze Art, wie wir Nachrichten präsentieren. Wir kommen weg von der klassischen Bühne: dem Tisch, an dem ein Moderator bisher weitgehend starr saß, sich allenfalls mal leicht bei der Übergabe zum Sportmoderator oder Experten aus dem eigenen Haus eindrehte. Nehmen wir auch die Interviews: Bisher war es so, dass sich die Gesprächspartner nicht in die Augen schauten. Der Zuschauer sah beide nur gleichzeitig im Bild, wenn sie im sogenannten Altar zu sehen waren, bei dem in einem Ausschnitt der Gesprächspartner und in dem zweiten der Moderator eingeblendet war. Die schauten aber beiden den Zuschauer an, nicht sich gegenseitig.

Und jetzt?
Jetzt haben wir zwei Möglichkeiten: Haben wir Gäste im Studio, was wir im „heute journal“ öfters machen wollen, kann der Moderator seine Position verlassen, zum Interviewten gehen und sich von Angesicht zu Angesicht mit ihm unterhalten. Und schalten wir unsere Gesprächspartner, sieht es so aus, als würden wir sie per Beamer auf die Studiokulisse werfen. Dann steht der der Moderator dem Politiker, Unternehmer oder Kollegen direkt gegenüber, der ihn wie aus einer Art Schaufenster ansieht. Der Vorteil dabei ist: Wir können mit den Kameras um die Situation herumfahren, also etwa den Moderator anschneiden und den Gesprächspartner voll zeigen oder beide von der Seite zeigen. Damit können wir Gespräche endlich auch in unseren Nachrichten richtig als Gespräche auflösen, was bisher vor allem Talkshows vorbehalten war und Magazinen, die Monitore im Studio einsetzten.

Wie trainieren Sie das alles?
Schon seit Monaten und zwar mit allen Kollegen, die sich in der Sendung bewegen müssen. Das klappt bei dem einen mehr oder minder auf Anhieb, andere brauchen dafür länger. Ich selbst musste als Terrorismusexperte für die Erklärräume trainieren, um da etwa die Struktur der Al- Kaida zu erläutern. Anfangs stand ich da wie ein Brett. Inzwischen kann ich mich aber ganz gut durch die Situationen bewegen. Michael Opoczynski, der seit Jahren montags durch „Wiso“ führt und sich dabei viel bewegen muss, brauchte dafür deutlich weniger Übung.

Steigt mit den gewachsenen Anforderungen an TV-Nachrichtenjournalisten nicht die Hürde für den Nachwuchs, um es in die Redaktionen von „heute“ & Co. zu schaffen?
Das glaube ich nicht. Ich glaube das Gegenteil ist sogar der Fall: Wir sehen, dass sich vor allem junge Leute hier gut machen, weil sie oft besser Multi-Tasken können als ihre älteren Kollegen. Und das ist wichtig, denn die Kollegen müssen nicht zuletzt mehr Informationen im Blick haben.

Wie schaffen Sie das?
Indem wir uns besser vernetzen und einen ungehinderten Kommunikationsfluss ermöglichen. Dafür haben wir uns zum Beispiel bei den Kollegen von NOS in den Niederlanden einen Trick abgeschaut: Wir haben in unser Redaktionssystemen iNews, in das alle Tickermeldungen einlaufen und in dem wir unsere Sendungsabläufe bearbeiten, eine eigene Agentur „ZDF“ eingepflegt. Darüber können wir alle wichtigen Informationen zu einem Thema auf Knopfdruck an alle Sendungsmacher verteilen – logistische Hinweise, aber auch Recherchen und gecheckte Zahlen, die in eine Grafik einfließen.

Wo ziehen Sie denn Grenzen zur Albernheit: Werden künftig wie bei CNN zur US-Wahl auch Korrespondenten ins Studio „gebeamt“?
So etwas wird es bei uns nicht geben. Wir „beamen“ niemanden ins Studio. Und auch unsere 3D-Animationen werden immer klar als am Computer geschaffene Modelle erkennbar sein, nie zu detailgetreu. Natürlich könnten wir Hubschrauber im Studio landen lassen, bei denen die Rotoren sogar Schatten über den Moderationstisch und den Moderator werfen, wenn sie sich drehen. Aber wir wollen eines auf keinen Fall: Realität konstruieren. Auch wenn es hochtrabend klingen mag: Wir stehen im Gegenteil vor einer Renaissance der seriösen Nachrichtenvermittlung, in der wir modernste Technik nur einsetzen, um verständlicher zu sein.

Foto: ZDF/Sauerbier