Ein Jahr auf den Fidschis

Die Bilder, die wir sehen wollen, sind auf Henrys Laptop. Nina und ich sind so gut gelaunt, als hätten wir einen Schatz gefunden. Der Neuseeländer vor uns, Ende 20, besitzt den Schlüssel für die Truhe.

Die kleine Bar, in der wir uns in der Abendsonne getroffen haben, liegt auf einer Klippe am Rande einer Bucht und ist ein beliebter Treffpunkt auf Fidschis drittgrößter Insel Taveuni. Am Horizont sehen wir die Silhouetten weiterer Inseln, Rabi, Vanua Levu, viele Wellen und Meilen entfernt. Aber diese Inseln interessieren uns nicht mehr. Sie sind zu groß, zu nah an der Zivilisation, am Supermarkt. Zu langweilig.

Was wir wollen, ist das Paradies. Henrys Vater hat es sich für 99 Jahre geleast. Eine einsame Insel, weit draußen im Meer, versteckt mitten im Nichts. Und so winzig, dass sie auf Karten aussieht wie ein aufgeklebtes Sandkorn, wenn sie überhaupt verzeichnet ist. Kokosnusspalmen, weißer Sand, türkisfarbenes Wasser in einer Lagune – das volle Postkarten-Klischee fächert sich in Henrys Laptop auf. Nanuku heißt das Paradies, das wir kurz entschlossen von Henry mieten. Nun leben wir seit drei Monaten dort, in einem etwas bejahrten Strandhaus zwei liegen noch vor uns. Fidschi besteht aus mehr als 300 Inseln, unsere gehört zu den kleinsten. Zehn Minuten dauert die Umrundung, zwei Stunden die Bootsfahrt zur nächsten Insel. Besucher sind rar.

Diesen Platz hat es früher nur in unseren Träumen gegeben. Schon eine halbe Ewigkeit haben wir mit diesem Gedanken gespielt, irgendwann mal das Leben ohne Zeit und Termindruck, ohne die Bequemlichkeiten der westlichen Zivilisation auszuprobieren. Doch nie gab es einen passenden Zeitpunkt für einen Aufbruch. Immer sind da diese Verpflichtungen. Nina hat studiert, ich mein Volontariat gemacht. Anschließend ging es nahtlos weiter, Nina wurde Grundschul-Referendarin, ich Redakteur. Erst als Nina ihr Referendariat beendet hat, haben wir unsere Chance gewittert. 2006, nach einem Urlaub in Fidschi, stand unser Plan fest: Wir wollten herausfinden, wie sich der Traum lebt. Wenn wir es nicht jetzt wagen würden, dann wohl nie mehr.

Experiment „Geh mir aus der Sonne“. Für Uwe-Ralf Heer, Chefredakteur der „Heilbronner Stimme“, kam mein Anliegen völlig unerwartet. Als ich ihm ziemlich stotternd mein Vorhaben erklärt hatte, schaute er mich an, als wäre mir eine Kokosnuss auf den Kopf gefallen. Was bitte? Wohin? Fidschi?

Ich hatte erst kurz zuvor eine von drei Stellen im neu gegründeten Reporterteam bekommen. Und dann so etwas. Da habe ich endlich meinenTraumjob als Reporter – und gebe das alles freiwillig auf. Ich war mir ja selbst unsicher. Noch dazu der erste Redakteur im Haus, der mit dem Chef über einen Ausstieg auf Zeit gesprochen hat.

Umso überraschender für mich verlief das zweite Gespräch mit ihm. Uwe-Ralf Heer hat meinen Wunsch akzeptiert und eine schnelle Lösung organisiert. Ich weiß nicht, was ihn überzeugt hat. Vielleicht gefiel ihm die Vorstellung, einen Südsee-Korrespondenten zu haben. Oder, was ich eher annehme, er wollte dieser Idee einfach nicht im Weg stehen. Der Verlag genehmigte mir eine unbezahlte Auszeit, zum gewünschten Zeitpunkt. August bis August, plus Rückkehrgarantie. Ein magisches Wort. Diese Garantie hat mir natürlich die Entscheidung deutlich erleichtert. Der Wiedereinstieg ist gesichert. Mein Abwesenheits-Assistent im Mailprogramm antwortet bis dahin: „Bin ab Mitte 2009 wieder zu erreichen.“

meine tägliche Konferenz ist nun eine Verabredung mit den Fischen. An meinem Lieblingsort dafür fällt derSandstrand steil ab und das Wasser wird schnell tief. Bei Flut herrscht viel Strömung. Das mögen die Fische. Deshalb mag ich es auch. Mein rechter Zeigefinger ist ganz zerfleddert vom Auswerfen der Handleine. Er sieht aus, als hätte ich ihn in einen Ventilator gesteckt. Hoffentlich kann ich daheim noch einen Kugelschreiber halten.

Weil das Wasser die Sonne so stark reflektiert, muss ich mich dick eincremen, trage zwei T-Shirts – eines ganz normal, das andere um den Nacken geschlungen – einen Strohhut und eine zusammengeklebte Sonnenbrille. Das Licht am Strand ist so grell, dass ich das Neonlicht aus Zeitungsredaktionen fast vermisse.

Fischen fühlt sich gut an. Es hat etwas, sich sein Essen selbst aus dem Meer auf den Teller zu holen – auch, wenn es anstrengend sein kann. Makrelen haben am Haken eine solche Kraft, dass ich mir nur noch Wasserski an schnallen bräuchte und durch die Lagune brettern könnte. Die Beute nehme ich an einem Felspool aus, schneide sie in Filets und ab damit in die Pfanne. Ich bin ein richtiger Jäger geworden.

Unsere Uhr auf Nanuku ist die Sonne. Welchen Tag wir haben, ist belanglos. Unsere Zeit richtet sich nach Ebbe oder Flut. Fidschianer verwenden für diese Lebensart einen speziellen Begriff: Fijtime. Niemand hier scheint zu wissen, was Terminstress ist. Bis wir diese Art zu leben begriffen haben, ist unser erstes halbes Jahr in Fidschi vorbei gewesen. Die ersten sechs Monate unserer Auszeit haben Nina und ich auf der Insel Qamea, deren Hügel die Wolken aufspießen. Sieben Dörfer gibt es dort. Wir hatten einen Garten und nach Regen einen Wasserfall hinterm Haus. Wir waren auf einer Hochzeit unterm Wellblechdach eingeladen und haben alle paar Tage mit Nachbarn Kava aus Kokosnussschalen getrunken, ein Getränk, das Zunge und Lippen betäubt, und gute Träume macht.

Nur eines haben wir dort vergessen. Wir wollten den Tag ohne Terminkalender genießen, stattdessen haben wir geputzt, gehämmert, gestrichen, gepflanzt. Sogar den Strand haben wir aufgeräumt und mit dem Rechen bearbeitet. Einfach leben war zuerst doch nicht so einfach für uns. Oder wie unser Freund und Helfer Jonny – ein Auswanderer aus Südafrika – sagt, „Einfach zu leben ist das Komplizierteste überhaupt.“

Auf Nanuku hat sich alles verändert. Geschwitzt hab‘ ich in den vergangenen Wochen nur beim Bau eines Palmwedeldachs. Wir haben dicke Astgabeln in den Sand gebohrt, ein paar Äste zum Halt quergelegt und mit Winden zusammengebunden. Nina baumelt nun in der Hängematte und trinkt Pina Colada mit selbst geraspelter Kokosnusscreme.

Unser Leben ist spärlich, und wir wussten nicht, ob wir das so aushalten können. Aber es geht, gut sogar. In der Hitze kippen wir uns eine Blechschale voll Wasser über, sehr erfrischend. Regenwasser kochen wir ab, bevor wir es trinken. An westlichem Luxus haben wir einen Gasherd und Solarenergie, die wir für Licht in der Küche und für einen Kühlschrank, groß wie ein Zimmertresor, nutzen. Wir haben einen Schrank voll Dosenfutter, jede sechste Woche kommt Jonny mit seinem Boot und Nachschub. „Ihr seid echte Fidschianer geworden“, sagte er neulich.

Jetzt, wenige Wochen vor unserer Rückkehr, fangen wir an, davon zu reden, wie es dann werden wird. Natürlich freuen wir uns auf die Familie und Freunde. Auf das Land, ein Eis mit Sahne. Auf den Job. Den Kontakt haben wir auch in unserer selbst gewählten Isolation gehalten. Um nicht aus der Übung zu kommen, führe ich ein Internet-Tagebuch: www.fijiblog.de und schreibe eine Kolumne für die „Heilbronner Stimme“. Weil es auf Nanuku kein Internet gibt, leitet die Beiträge ein Bote via USB-Stick mit dem Versorgungsboot weiter. Und uns haben auch Kollegen aus der Betriebsfußballgruppe besucht.

Das Jahr in Fidschi ist für uns mehr als ein Abenteuer geworden. Wir haben es geschafft, aus einem Traum Wirklichkeit zu machen. Das gibt uns eine Portion Gelassenheit, die wir mit in unser neues altes Leben nehmen werden. Wenn ich abends auf der Sandbank stehe, sehe ich links und rechts das Meer, die leuchtenden Kerzen auf der Veranda, über mir den Sternenhimmel. Klingt pathetisch, mag sein. Aber dieses Bild werde ich nie vergessen.

Linktipp:

Mehr Fotos vom Insulanerleben unter www.mediummagazin.de, Rubrik Foto

Erschienen in Ausgabe 06/2009 in der Rubrik „Leben“ auf Seite 58 bis 58 Autor/en: Adrian Hoffmann. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen z
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