Viele Schultern

Text und Bild – in Zeitungen und Magazinen funktioniert eins nicht ohne das andere. Im Büroalltag finden freie Schreiber und Fotografen eher selten zusammen. Bei uns ist diese Zusammenarbeit Konzept: Acht Autorinnen und Autoren, dazu zwei Fotografinnen und eine Grafikerin, die sich nicht nur Räume teilen, sondern auch gemeinsam Geschichten produzieren.

Fünfzehn gemeinsame Geschichten sind so seit Mitte 2007 entstanden. Im Idealfall schicken Redaktionen wie „Stern“ oder „Stadtansichten“ ein Reporter-Duo auf Recherche. Manchmal planen und verwirklichen Autoren und Fotografen Geschichten auf eigene Faust, manchmal bietet man gemeinsam ein Thema an. Die Redaktionen reagieren darauf ganz unterschiedlich. Einige wollen sich bei der Besetzung nicht reinreden lassen, andere sind froh, wenn sie wissen, dass das Team sich bereits gemeinsam bewährt hat.

Startphase. Als wir uns Ende 2006 zusammenfanden, um das Journalistenbüro „freizeichen“ in Hamburg zu gründen, war unser Antrieb zunächst die Flucht aus der Einsamkeit. Das gemeinsame Mittagessen ist heute mehr als ein Wohlfühlfaktor – bei dieser Gelegenheit findet sich auch der Kontakt für eine Fallgeschichte leichter als über Xing. Es gibt immer jemanden, der den Text mal gegenliest, und zwischendurch wird noch ein Foto fürs Editorial gemacht. Die Visitenkarten und die gemeinsame Webseite hat unsere Grafikerin entworfen. Wir profitieren von den unterschiedlichen beruflichen Fertigkeiten, aber auch von den Erfahrungen, die bei elf Leuten zusammenkommen. Honorarforderungen, Rechercheprobleme, Ansprechpartner – kleine Alltagsfragen können im Büro oft von Schreibtisch zu Schreibtisch gelöst werden. Man teilt untereinander Steuertipps genauso wie Schokolade.

Das allein ist eigentlich schon die Kosten für Miete, Telefon, Versicherungen wert. Unsere Gemeinschaft der Einzelkämpfer macht sich aber auch auf der Auftragsseite bezahlt. Nach zwei Jahren hat jeder von uns zwei bis drei neue Kunden hinzugewonnen, zum Teil, ohne selbst zu akquirieren. Denn meistens funktioniert eine simple Methode: Wenn es passt, bringt man die Namen von Kollegen ins Spiel. So kommt es, dass die Grafikerin demnächst das Sachbuch einer unserer Autorinnen illustriert. Und so klappt es auch unter den schreibenden Kollegen – sei es, dass mehrere Autoren ihre Stücke zum selben Themenschwerpunkt für „NZZ Folio“ schreiben oder dass wir zu fünft ein Titelthema ausarbeiten.

Teamarbeit. „Da sitzen doch noch andere in Ihrem Büro – Sie können das gerne gemeinsam machen“, kommt zum Beispiel ein Anruf aus der „Emotion“-Redaktion. Und wir liefern erst das Konzept für die Titelgeschichte, dann das Hintergrundstück mit Interviews, Protokollen und Kurzporträts – schneller und in einer bunteren Mischung, als es einer alleine könnte. Unser Vorteil liegt darin, dass wir die Aufgaben je nach Auslastung und Interesse auch kurzfristig umschichten können. Der Redaktion bleiben die vielen kleinen, aber zeitraubenden Absprachen im Entstehungsprozess erspart. Wir können auch die gesamte Produktion vom Inhalt bis zum Layout in unserem Büro abwickeln, darin sehen wir noch Entwicklungsmöglichkeiten. Bei Gemeinschaftsaufträgen verhandelt immer einer von uns mit der Redaktion das Honorar. Die Einzelhonorare machen wir dann untereinander aus. Vertragspartner sind die jeweiligen Autoren, ohnehin stellen wir unseren Anteil immer einzeln in Rechnung: Würde einer von uns die Gesamtsumme erhalten und die anderen später auszahlen, müsste er als „Auftraggeber“ auf Dauer Sozialabgaben an die KSK abführen.

Fallstricke. Das ist nicht der einzige mögliche Fallstrick bei unserer Art von Kooperation. Unbedingt zu vermeiden ist die gegenseitige Haftung. Spätestens seit wir auch im Internet gemeinsam auftreten, werden wir nicht mehr automatisch als reine „Kostenteilungsgemeinschaft“ gesehen. Das heißt: Wenn einer von uns wegen Rufschädigung verklagt wird, den Schadensersatz aber nicht zahlen kann, könnte der Geschädigte versuchen, auch den anderen Büro-Mitgliedern in die Tasche zu greifen. Wir haben die Risiko-Übernahme durch Verträge geregelt (siehe Kasten). Aber auch die ausgeklügeltsten Verträge nützen natürlich nichts ohne gegenseitiges Vertrauen. Die Gründungsidee kam von einer Fotografin und einer Journalistin, die befreundet sind; weitere Gründer stießen über den 21. Lehrgang der Henri-Nannen-Schule dazu. Aufnahmekriterien haben wir nicht. Wir legen nur Wert darauf, dass alle überwiegend journalistisch arbeiten – und dass die „Chemie“ stimmt. Bei allen Unterschieden in der Ausrichtung – es gibt bei uns Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturspezialisten – eint uns eine ähnliche Einstellung zum Beruf: Wir sind frei nicht aus Not, sondern aus Überzeugung; wir arbeiten alle für Qualitätsmedien und keiner sieht im Anderen Konkurrenz. In zwei Jahren hat es nur einen Wechsel in der Besetzung gegeben, und immer noch wird alles Wichtige im Konsens entschieden. Ja, das ist manchmal umständlich: Unsere Büroeinweihung haben wir noch namenlos gefeiert, weil wir ein Jahr miteinander gesucht und verworfen haben, bis wir mit „freizeichen“ auf einen Nenner kamen. Doch unterwegs niemanden zu verlieren, war uns von Anfang an sehr wichtig. Und heute sind „Text & Bild“ auch an der Büro-Klingel als Einheit zu sehen.

Erschienen in Ausgabe 06/2009 in der Rubrik „Beruf“ auf Seite 16 bis 16 Autor/en: Alexandra Werdes. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.