„Verstehen Sie keinen Spaß?“

?Wozu brauchen Lokalredakteurinnen ein Moderationscoaching, Frau Thomas?

Carmen Thomas: Beim Coaching der ModerationsAkademie geht es nicht nur um fachliches Können – etwa das Schreiben von Artikeln. Es geht da-rum, eine andere Kultur des Miteinanders einzuüben. Kultur hat etwas mit Können zu tun. Wissen, wie Auftreten geht, und wie die eigene Wirkung ist. Wissen, wie sich Lampenfieber in Vorfreude wandeln lässt. Wie gelingt es, dass in Redaktionsrunden nicht immer dieselben zu viel reden oder schweigen. Wie sich systematische Gruppenklugheit erzeugen lässt.

Gruppenklugheit?

Das Motto lautet: „Keiner ist so klug wie alle.“ Erst wenn sich alle Beteiligten trauen, in einer Gruppe auch das scheinbar Dumme und Unfertige zu äußern, wenn alle zusammentragen, was zur Sache beiträgt, ohne vorab zu urteilen – entsteht das Kluge ganz freiwillig.

Warum ist das so schwierig?

Weil „die Weisheit der Vielen“ nur in einem Klima entstehen kann, das nicht hämisch ist. Ein solches Klima existiert nur in wenigen Redaktionen. Dort finden Sie häufiger lauter Einzelkämpferinnen, die typgemäß im bolzenden oder stichelnden Konkurrenzkampf darum ringen, einen Platz im Medium zu bekommen. Devise: „Wer darf, statt wer kann“.

Wäre es dann nicht gut gewesen, neben den Redakteurinnen auch die Redakteure zum Coaching einzuladen?

Coaching hat besonders viel mit Diskretion zu tun. Deshalb werde ich Ihnen zu den Aktivitäten selbst nichts sagen. Grundsätzlich ist wichtig, dass Frauen und Männer wahrnehmen, dass sie eher wie zwei Hälften sind und nicht wie zwei Blöcke. Bedeutsam ist, aufzuhören, die andere Seite dafür zu verachten, dass sie anders ist. Beide können erfahren, sich gegenseitig besser wertzuschätzen. Wie lohnend wäre, wenn sich die Erkenntnis, wie verschieden Männer und Frauen sind, noch deutlich konstruktiver gerade auch in den Medien niederschlüge.

Das heißt konkret?

Viele Frauen brauchen zum Beispiel als Zielgruppe in Zeitungen andere Themen, andere Bilder, eine andere Ansprache, andere Vokabeln als Männer. Oft sprechen Frauen leichter auf emotionale Bilder an und tun sich schwerer mit aggressiven. Frauen haben vielfach mehr Interesse an Schönheit und Ästhetik. Männer dürfen sich so etwas weniger oft erlauben. Frauen reagieren auch anders auf Farben. Nicht nur im Marketing und im Journalismus kann lohnen, solche Dinge bewusster zu nutzen. Die Telekom würde dann vielleicht neu darüber nachdenken, ob sie ein Produkt „T-DSL“ nennt – vor allem ein Begriff für Männer. Schließlich wächst der Markt der Userinnen beständig.

Lassen Sie uns kurz bei den Unterschieden der Geschlechter bleiben: Sind Frauen in Gruppen stiller als Männer?

Häufiger. Sie haben zu oft „eins in die Schnauze gekriegt“ (Zitat einer Teilnehmerin), sodass sie dann nichts mehr sagen. Wenn Kollegen (auch Kolleginnen) beim zarten Vorstoß für ein Thema bereits kollektiv mit den Augen rollen, haben viele Frauen weniger Lust darauf, durchzukämpfen.

Klingt nach einem Beispiel für eine wenig kluge Gruppe?

Es gibt eine Unkultur von Kommunikation in Redaktionen, eine Kultur von Ruppigkeit. Da wird jemanden eins übergebügelt und an Lähmung mit Sätzen wie „Sie verstehen wohl keinen Spaß“ gearbeitet.

Auf Ihrer Homepage umschreiben Sie Ihre Arbeitsweise mit Sätzen wie „Interesse wecken – den Funken ins Herz“ oder „Schrott zu Steigbügeln – Umnutzstrategien“. Mir erscheint das recht vage für eine Methodenbeschreibung.

Das Vage hängt zusammen mit dem wunderbaren Hegelsatz „Man erkennt nur, was man kennt.“ Natürlich wäre wortreicher möglich, die Werkzeuge und Instrumente des Akademie-Coachings zu erklären. Doch Sie würden sich weiter wundern und fragen, wovon ich da bloß rede. Gänzlich Unbekanntes muss erlebt werden, weil es erst mal so fremd ist.

Versuchen wir es mit einem Beispiel: Am Anfang des Coachings haben Sie den Redakteurinnen das Foto einer Frucht gezeigt. Was hat es mit diesem Instrument auf sich?

Es ist ein „Tür-Öffner“ – ein Tool, wie sich Aufmerksamkeit mit Hirn und Herz in 10 Sekunden in den Raum zaubern läßt. Das Foto zeigt einen scheinbar wenig appetitlichen Apfel, aus dem etwas Bläulich-Lilafarbenes herausguckt. Manche Teilnehmerinnen vermuten, es handele sich um eine Taube, eine Maus oder einen Wurm, der da im Apfel steckt. Es ist nicht erkennbar, weil es im linken Hirn auf kein Muster stößt. Die erste (im Übrigen sehr gesunde) Reaktion darauf ist: Ekel. Es ist zu Recht ein unangenehmes Gefühl, etwas nicht zuordnen zu können. Dann erfahren die Teilnehmerinnen, dass auf dem Bild die Frucht des Acajou-Baums zu se-hen ist. Ihre Hülle ist so giftig, dass sie von Arbeiterinnen mit verbundenen Händen aus der Schale gelöst werden muss. Keiner erkennt sie. Das Schöne: alle haben diese Frucht schon einmal gegessen.

Ich verstehe nicht: Warum ist das ein Türöffner?

Erst jetzt wird aufgedeckt, was es ist: die Cashew-Nuss. Wenn Sie schon mal Cashew-Nüsse gekauft und sich gewundert haben, warum die so teuer sind, dann verstehen Sie jetzt, weshalb. Als Türöffner steht das Foto für ein Sinnbild: Wer sich auf etwas ganz Neues einlässt, muss meist erst einmal Abstand und Widerstand überwinden. Sonst gelingt nicht, an das Unbekannte heranzukommen. Und genauso fremd wie der Acajou-Baum sind die Tools zum Optimieren.

Also muss ich erst die Perspektive wechseln.

Genau das gehört zu den Zielen von Coaching. Es geht nicht um auswendig gelerntes, deklinierbares Wissen, sondern darum, neue Erfahrungen zu machen. Das macht den Prozess auch so schwer beschreibbar und so individuell.

Coaching als Persönlichkeitsbildung?

Und ob. Darum geht es letztendlich. Es geht um sicheres Auftreten. Aber nicht um die selbstverliebte, dämliche Variante, sondern um ein Auftreten, in dem Wertschätzung eigener Stärken und den Stärken anderer möglich ist und Versöhnung mit eigenen Schwächen und den Schwächen Anderer integriert wird.

Ticken Journalistinnen anders als andere berufstätige Frauen?

Ja, natürlich. Jede Berufsgruppe hat ihre professionellen Deformationen. Und es ist kein Zufall, ob jemand Krankenschwester, Journalistin oder Ingenieurin wird.

Wie ticken Journalistinnen denn?

Es sind oft schwierigere Menschen. Narzisstischere. Sie brauchen häufig besonders viel Anerkennung. Sie suchen Zustimmung dadurch, dass sie andere kritisch beurteilen. Journalistinnen – das gilt auch für ihre männlichen Kollegen – sind oft bissiger als andere Menschen, weil das einen Teil des Images ausmacht: Gute Journalist-innen sind dauernd grundkritisch. Eine ebenso klare wie zugleich respektvolle Wertschätzung des Gegenübers ist eine Haltung, die unter Journalis-tinnen wenig angesehen ist.

Erschienen in Ausgabe 9/2007 in der Rubrik „Beruf“ auf Seite 20 bis 21 Autor/en: Interview: Andrea Mertes. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.