Recherchepraxis: „Dramatischer Pfusch“

Dramatisch, das klingt immer gut. Also hat die Prüforganisation Dekra Anfang des Jahres eine Pressemitteilung „Pfusch am Bau nimmt dramatisch zu“ verschickt. Und die Redaktionen quer durch die Republik haben sich prompt auf die vermeintlich skandalösen Zustände gestürzt, die ihnen der zitierte Bauschadenbericht 2008 aufzeigen wollte. Fragt sich nur, wie: Beispiel „Welt Online“. Die Springer-Redakteure haben sogar die Überschrift 1:1 übernommen.

Die Dekra-Zahlen sind jedoch derart drastisch, dass sich misstrauische Gedanken aufdrängen. Im Vergleich der Jahre 2003 und 2007 sollen die Mängel auf deutschen Baustellen um mehr als hundert Prozent gestiegen sein. Interessant sind vor allem zwei Sätze aus dem Vorwort zur Studie: „Die Vorteile eines baubegleitenden Qualitätscontrollings von Immobilien liegen auf der Hand. Die Kosten sind gering und stehen in keinem Verhältnis zu den möglichen finanziellen Folgeschäden.“ Wenig Beachtung fand übrigens in der Wiedergabe der Pressemitteilung das Geschäftsfeld der Herausgeberin der Studie, die Dekra Real Estate Expertise: Qualitätskontrolle im Bausektor. Eine Information, die für die eine oder andere hochgezogene Augenbraue hätte sorgen können.

Die Statistiker haben für ihren Bericht außerdem die Bauqualität von nur 50 der „fast 900 Gebäude“ ausgewertet. Lassen sich daraus repräsentative Zahlen ableiten? „Das ist eine Größenordnung, die man auch bei Meinungsumfragen gerne verwendet“, sagt Pascal Klein, der bei Dekra Real Estate Expertise für das Prüfwesen zuständig ist. Jede Studie habe eine „gewisse Genauigkeit“, und die „Nachkommastellen“ würde auch er nicht bewerten wollen. „Aber die Größenordnung halte ich für absolut zutreffend.“ Zum Vergleich: Das Statistische Bundesamt zählte allein 2006 knapp 223.000 Neubauten.

„Ob eine Stichprobe groß genug ist, hängt nicht vom Auswahlsatz ab. Einzig und allein interessant ist die Größe der Stichprobe. Und die ist hier mit 50 eher klein“, sagt Walter Krämer, Professor am Institut für Wirtschafts- und Sozialstatistik der Technischen Universität Dortmund. Selbst jene „fast 900“ Gebäude seien nur eine Stichprobe aus der Gesamtheit der Bauvorhaben. Und weil schon das „ganz klar keine Zufallsstichprobe“ sei, bezeichnet Krämer jede Hochrechnung auf dieser Basis als „statistisch unseriös“. Sein Resümee: „Das ist als Statistik verkaufte Werbung für die Dekra.“

Ein zentraler Satz der Mitteilung lautet übrigens: „Die durchschnittliche Schadenhöhe je Gebäude liegt bei 10.287 Euro (2007: 8.975 Euro).“ Die von Kollegen „recherchierte“ Version liest sich so: „‚Die durchschnittliche Schadenhöhe ist von 8.975 Euro auf nunmehr 10.287 Euro gestiegen‘, sagte Dekra-Experte Pascal Klein zu Welt Online.“ Heiner Siefken

Erschienen in Ausgabe 4/2008 in der Rubrik „Spektrum“ auf Seite 9 bis 9. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.