Kaum war „16vor" online, da sorgte eine Neuerscheinung über die Geschichte der ältesten Stadt Deutschlands für Aufsehen: „Trier wurde vermutlich im Jahre 17 v. Chr." gegründet, behaupteten die Autoren des Buchs. Eine Mutmaßung. Träfe sie zu, stünde am Anfang unserer Arbeit ein Recherchefehler.
Unstrittig ist: „16vor" wurde am 19. März 2007 gestartet, als Projekt zweier Journalisten, die seit Jahren eine enge Freundschaft verbindet – und der Wunsch, den Trierern ein weiteres journalistisch überzeugendes Angebot neben der einzigen Tageszeitung am Ort zu machen. Von Beginn an stand fest, dass wir uns auf das Wesentliche, auf lokalen Qualitätsjournalismus konzentrieren wollten. Für den Aufbau eines Wochen- oder Monatsmagazins fehlte uns jedoch das Geld.
Im Herbst 2006 entstand so die eigentlich naheliegende Idee, ein Online-Magazin zu gründen. Schließlich drängen sich die Vorteile des Internets regelrecht auf: geringe Kosten, Tagesaktualität, lokale und weltweite Erreichbarkeit – Letzteres wissen vor allem Exil-Trierer zu schätzen, die zu unseren Stammlesern zählen. Außerdem benötigten wir kein Startkapital und hatten mit Jörg Halstein, einem der Gründer des Trierer Online-Veranstaltungsportals „hunderttausend.de", einen Freund und Fachmann fürs Webdesign an unserer Seite.
„Weniger ist mehr" – auf diese Formel lässt sich der Anspruch von „16vor" bringen; ausgewählte Themen, mehr Information und Hintergrund. In der Regel greifen wir täglich ein bis zwei Geschichten auf. Das kann ein Stück über die bevorstehende Kommunalwahl sein oder der Bericht über den Selbstversuch eines Mitarbeiters beim Model-Casting der Fachhochschule. Auch tagesaktuelle Ereignisse greifen wir auf, doch Substanz geht vor Schnelligkeit, weshalb wir uns nicht um jeden Preis einen Wettlauf mit den Mitbewerbern liefern.
Natürlich ist aber auch für uns eine gut recherchierte Exklusivgeschichte der Idealfall, und bei einigen Themen hatten wir tatsächlich die Nase vorne. So deckte „16vor" unter anderem auf, dass die Stadt Trier in großem Stil seit zehn Jahren von ihr gemietete Flächen in bester Citylage zu wesentlich günstigeren Konditionen untervermietet, unter anderem an ein Privatradio. Kaum war der Beitrag erschienen, hatten wir auch schon einen Werbekunden verloren – eine Medienagentur, die mit dem Sender verbunden war. Am Heiligen Abend 2008 vermeldeten wir dann exklusiv den Namen der künftigen Chefredakteurin des „Trierischen Volksfreunds"; das Blatt informierte seine Leser erst Wochen später über die Personalie.
Rund 2.000 Besuche täglich und weit über 100.000 Seitenzugriffe monatlich verzeichnet „16vor" inzwischen. Von der Existenz unseres Online-Magazins erfahren die Leser vor allem über Suchmaschinen sowie Mail- und Mundpropaganda. Die Möglichkeit, Beiträge zu kommentieren, nutzen sie rege. Bewusst haben wir uns dafür entschieden, eingehende Leserkommentare nicht automatisch freizuschalten, sondern zunächst gegenzulesen. So können wir verhindern, dass Hasstiraden, Verunglimpfungen oder Drohungen, die es immer wieder mal gibt, auf die Seite gelangen. „16vor" versteht sich weder als Placeblog noch als Plattform für Bürgerjournalismus, bei uns kann nicht jede und jeder über alles und jeden schreiben. Vielmehr bauen wir auf ein Team von einem Dutzend freien Mitarbeitern, unter denen sich Musikwissenschaftler, Kunsthistorikerinnen und Medienwissenschaftler finden, die allesamt journalistische Erfahrung mitbringen. Manche schreiben sporadisch, einige regelmäßig, alle erhalten für ihre Texte ein kleines Honorar.
Neben der Möglichkeit, sozusagen weltweit über das Trierer Stadtgeschehen zu berichten, bietet das Internet einen weiteren Vorteil: Es existiert kein Zeichenlimit. So können wir einem Beitrag schon mal 1.000 und mehr Wörter einräumen – vorausgesetzt, die Geschichte gibt es her.
Ob dem so ist, entscheidet der jeweilige Ressortchef. Während Christian Jöricke für Kultur und Sport zuständig ist, kümmere ich mich um Politik und Stadtthemen sowie die Campusberichterstattung. Auch die Zuständigkeit für die mehr als 20 Pressemitteilungen, die täglich bei uns eingehen, ist klar geregelt. Dank dieser Aufteilung kommen wir mit einem Minimum an Absprachen aus. Die Wochenplanung entsteht im Café und dauert kaum mehr als eine halbe Stunde, die tägliche Abstimmung geschieht weitgehend über Mails, sonst arbeitet jeder von seinem Büro aus. Geschieht etwas Unvorhergesehenes und muss die Planung für den nächsten Tag geändert werden, genügt ein Griff zum Hörer.
Doch auch das gehört zu den Erfahrungen der ersten beiden Jahre: Es ist nicht leicht, gute Lokalberichterstatter zu finden. Für das Politikressort ist es fast aussichtslos: Wer Interesse an Kommunalpolitik hat, ist entweder parteipolitisch engagiert, schreibt bereits für die Regionalzeitung oder hat oft nicht das Zeug zum Journalisten.
Nur mit einer guten Portion Idealismus und engagierten Mitstreitern lässt sich ein Projekt wie „16vor" stemmen. Denn eine tagesaktuelle Berichterstattung ist mit quasi permanenter Erreichbarkeit verbunden. Einer von uns beiden muss immer vor Ort sein, jeweils 20 bis 30 Stunden investieren Christian Jöricke und ich wöchentlich in unser Online-Magazin. In der Anlaufphase lag der Arbeitsaufwand oft bei 50 Stunden und mehr pro Woche und Person.
Dieses Pensum neben unserer freiberuflichen Tätigkeit für andere Medien zu leisten ist nur möglich, weil wir von Beginn an auf eine überwältigende Resonanz stießen. Noch heute, zwei Jahre nach dem Start, erreichen uns regelmäßig Mails, in denen sich Leser dafür bedanken, dass es in Trier nun eine weitere, kritische Quelle für Informationen übers Stadtgeschehen gibt. Mit „16vor" können wir unserer lokaljournalistischen Leidenschaft frönen, innerhalb der Stadt genießen wir ein beachtliches Renommee, sorgt unsere Berichterstattung für Gesprächsstoff.
Unser mittelfristiges Ziel ist es, rund die Hälfte unseres Einkommens mit Werbeeinnahmen aus „16vor" zu decken. Bislang kümmert sich Christian Jöricke um die Akquise, einige Werbekunden stammen aus dem persönlichen Umfeld, andere traten auf uns zu. Uns beiden ist bewusst, dass wir auch künftig für weitere Auftraggeber, beispielsweise für überregionale Zeitungen werden arbeiten müssen, um unseren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Gerade für lokalpatriotische Freischreiber, in deren Heimatstadt eine einzige Regionalzeitung das mediale Geschehen beherrscht, kann ein Online-Stadtmagazin jedoch eine spannende journalistische Plattform sein, und für den überrregionalen Verkauf lokaler Geschichten nützlich sein.
Übrigens: Die Mutmaßung, dass Trier eventuell schon um 17 vor Christus gegründet wurde, konnte uns nicht dazu verleiten, unser Online-Magazin gleich wieder umzubenennen. Schließlich schwelgen wir noch in Erinnerungen an die 2020-Jahr-Feiern der Stadt, und die fanden nachweislich 2004 statt.
Serie: „Freie Köpfe"
Freie Journalisten sind mehr als Mediendienstleister und Lohnschreiber. Hinter welchen innovativen Ideen und Projekten Freie stehen, zeigen die Beispiele, die „Medium Magazin" gemeinsam mit Freischreiber e.V., dem Berufsverband freier Journalistinnen und Journalisten, künftig hier vorstellt.
Erschienen in Ausgabe 04+05/2009 in der Rubrik „Beruf“ auf Seite 58 bis 58 Autor/en: Marcus Stölb. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.