Ab in die grüne Hölle

Für die Mitarbeiter von „heute“ und „heute journal“ wird der 17. Juli ein besonderer Tag sein. Dann nimmt das ZDF sein neues Nachrichtenstudio in Betrieb, für das knapp 30 Millionen Euro an Rundfunkgebühren ausgegeben wurden. Die Folge ist nicht weniger als eine kleine Revolution, sowohl in der Anmutung der Sendung, aber vor allem im Alltag der Moderatoren, Redakteure und Korrespondenten.

Das „Studio N“ ist mit seinen 690 Quadratmetern größer als alle anderen Fernsehstudios in Deutschland – und damit auch das Gegenteil zur bisherigen sogenannten Realkulisse der „heute“: einem starren Studio, in dem Claus Kleber & Co. gezwungen waren, sich zu setzen, weil für Bewegung kein Platz war.

Die neue Einrichtung ist ein sogenanntes virtuelles Studio, das bis auf einen wuchtigen Tisch leer ist. Und weil die Wände komplett grün eingefärbt sind, wird der Komplex im Sender schon scherzhaft „grüne Hölle“ genannt.

Sinn des Ganzen: Alles, was der Zuschauer außer dem Tisch, den Moderatoren und Studiogästen sieht, berechnet ein Computer in die grüne Fläche hinein. Und das wird nicht bloß ein Studio-Hintergrund sein. Kern der neuen ZDF-Technik sind nämlich die sogenannten Erklärräume: 3-D-Objekte, an denen die Moderatoren Unglücke rekonstruieren und technische Neuerungen demonstrieren – vom Spaceshuttle über Flugzeug-Abstürze bis zu Chronologien von Terror-Anschlägen.

Vom 17. Juli an wagt das ZDF also ein großes Experiment: TV-Nachrichten sollen ein Erlebnis werden, das endlich wieder mehr junge Zuschauer lockt. „Wir stehen vor einer Renaissance der seriösen Nachrichtenvermittlung, in der wir modernste Technik einsetzen, um verständlicher zu sein“, sagt Elmar Theveßen, Chef der Aktualität im ZDF, zu den Plänen (siehe Interview Seite 24 f).

Seine Redaktion muss sich dafür mächtig umstellen. Die Planung der einzelnen Sendungen etwa muss deutlich früher konkret werden, als das bisher nötig war, weil die Grafiken so aufwendig sind, dass sie mindestens einen halben Tag lang reifen müssen. Der Mainzer Sender hat dafür sogar ein Berufsbild geschaffen, den der Grafikredakteure: Journalisten, die auch eine grafische Ausbildung mitbringen.

Insgesamt müssen alle Beteiligten an der Sendung enger zusammenarbeiten, vom verantwortlichen Schlussredakteur über die Grafiker und Moderatoren bis hin zu den Korrespondenten. „Die Kollegen vor Ort müssen wissen, was wir da treiben, um uns von Fall zu Fall auch mal einen Hinweis geben zu können, was sich für eine Grafik eignet“, sagt Theveßen.

Schauspiel-Talente. Damit alle auf dem neuesten Stand sind, hat das ZDF an den Workflows geschraubt und greift zu einem Trick: Im Agentur-System läuft künftig neben den Meldungen von dpa und den anderen Diensten auch „ZDF“-Material ein: die Fakten, Rechercheansätze und den Planungsstand zum jeweiligen Thema.

Schon seit Monaten proben zudem die Moderatoren im Studio – von Steffen Seibert über Petra Gerster und Marietta Slomka bis hin zu den Experten des Senders wie Michael Opoczynski (Wirtschaft) und Bettina Schausten (Politik). Auch sie sollen in Zukunft noch präsenter sein als bisher und in Erklärräumen etwa die aktuellen Arbeitslosen-Zahlen oder Wahl-Ergebnisse präsentieren.

Das schauspielerische Geschick, das Moderatoren und Experten dabei abverlangt wird, ist sogar so groß, dass Theveßen davon ausgeht, einzelne Elemente vor der Sendung aufzuzeichnen, damit nichts schiefgeht – immerhin stehen die Modelle und Grafiken ja nicht wirklich im Studio. Mit anderen Worten: Damit Nachrichten im Fernsehen zu einem Erlebnis werden, schränkt der Sender ihren Live-Charakter ein. Das gibt es bisher nur in Ausnahmefällen bei Interviewpartnern, wenn die zur Sendezeit nicht greifbar sind.

Wie es die anderen machen: Bei RTL steht Anchor Peter Kloeppel übrigens schon heute nach Unglücken von seinem Platz auf und schreitet zu einer Wand, um dort an Modellen zu erklären, was passiert ist. Mit Erklär-Räumen hat das aber bislang nichts zu tun. So werden die 3-D-Grafiken, auf die das ZDF setzt, in Deutschland zunächst einmalig sein.

Das wiederum könnte sich aber schon bald ändern: RTL will im Herbst, direkt nach der Bundestagswahl, sein neues Sendezentrum auf der Kölner Messe in Betrieb nehmen. Das wird nicht nur auf Federn gelagert sein, damit die News nicht vom nahen ICE-Bahnhof Deutz gestört werden, sondern soll ebenfalls auf neue Technik setzen. Details hierzu verrät der Sender aber bislang nicht.

Und auch bei der ARD planen sie längst ein neues Studio für „Tagesschau“ und „Tagesthemen“, das allerdings erst im ersten Halbjahr 2011 auf Sendung gehen soll. Erste Pläne sehen Touch-Screens und Touch-Moderationstische vor, wie auch aufwendige Kamerafahrten und mehr Platz für Moderatoren und Gäste.

Der Unterschied: Die Sendungen der Zentralredaktion ARD-aktuell in Hamburg sollen auch künftig aus einem Realstudio kommen. Chefredakteur Kai Gniffke sagt, er produziere vor allem abends fast stündlich Sendungen. „Da haben wir keine Zeit, mit den Moderatoren Effekte und den Gang um Animationen zu proben oder sogar aufzuzeichnen.“ Ein virtuelles Studio sei deshalb zumindest für sein Massengeschäft „absolut untauglich“.

Erschienen in Ausgabe 07+08/2009 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 22 bis 23 Autor/en: Daniel Bouhs. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.