Redet mit uns – nicht über uns!

In Amerika wäre es ganz leicht, die Jugend wieder zur Zeitung zu bringen. Man müsste nur ein bisschen zahlen und den Darstellern in Teenie-Serien wie „90210“ oder „Gossip Girl“ regelmäßig die „New York Times“ oder den „San Francisco Chronicle“ in die Hand drücken. Was die Gossip Girls cool finden, finden auch Tausende amerikanische Jugendliche cool – die Zukunft der Zeitung wäre gerettet.

Leider ist das in Deutschland nicht so einfach. Mal abgesehen vom Schleichwerbeproblem – das man ja noch durch eine gesetzliche Sonderregelung oder gar staatliche Subventionierung à la Frankreich umgehen könnte –, werden hier einfach keine guten, reichweitenstarken Jugendserien produziert.

Dabei geben sich die Zeitungen doch Mühe: Die „Süddeutsche“ unterhält mit „jetzt.de“ ein Online-Portal und eine extra Jugendseite, die „FAZ“ druckt im Rahmen von „Jugend schreibt“ Artikel von Schülern und dem „Rheinischen Merkur“ liegt regelmäßig das „junge Magazin“ „mercury“ bei. Trotzdem sind Leser zwischen 14 und 29 rar.

Keine Zeit für die Zeitung. In diese Altersgruppe gehören meine Freunde und ich. Ich habe im vergangenen Sommer mein Abitur gemacht, meine ehemaligen Mitschüler ziehen gerade um und fangen an zu studieren. Drei von ihnen haben eine WG in Berlin gegründet, wo sie Medizin, Design, audiovisuelle Medien studieren. Dass sie eine Zeitung abonnieren wollen, war für sie von Anfang an klar. Nach kurzer Diskussion entschieden sie sich für die „Süddeutsche“ – weil man zum Studentenabo ein vierteiliges Topfset dazubekommt und der Designstudent das „SZ Magazin“ nicht missen will, das er schon zu Hause immer gelesen hat, wo das Abo auf Papa lief.

In vielen WGs geht es allerdings so zu wie bei meinen Freunden in Aachen. Sie studieren Chemie, Wirtschaftsingenieurwesen und Kommunikationsdesign. Bei ihnen stand gleich fest: Die Tageszeitung wird eingespart. Julian, der Wirtschaftsingenieur, hat nicht mal einen Fernseher, auf dem er abends die Nachrichten schauen könnte. Er informiert sich ausschließlich per iPhone. „Da habe ich die Apps von SpOn, stern.de und Sport Bild installiert“, sagt er, das reiche völlig.

Julian ist nicht der Einzige, dem das Internet lieber ist. Kilian bekommt über seine Uni das E-Paper der „Zeit“ umsonst. Er könnte sich auch vorstellen, später mal einen E-Reader zu benutzen. Und Johanna hat neben dem Studium einfach nicht genug Zeit für die Zeitung. „Im Internet gibt es Tags, Kommentare, eine Suchfunktion, da kann ich viel schneller querlesen“, sagt sie. „Das geht auch während einer langweiligen Vorlesung.“

Es ist nicht so, dass diese Generation nicht mehr liest – im Gegenteil: Seit wir bloggen, twittern, chatten und ständig neue Statusmeldungen schreiben, gibt es sogar viel mehr zu lesen. Und wöchentlich oder monatlich erscheinende Magazine sind lange nicht so unbeliebt wie Zeitungen. Dafür geben wir gern Geld aus, auch, wenn es nicht um Unterhaltung, sondern um Information geht. Ich erinnere mich an viele Freistunden im Oberstufencafé, in denen der künftige BWLer in der „Wirtschaftswoche“ blätterte und unter den Naturwissenschaftlern das „Bild der Wissenschaft“ herumgereicht wurde. Wir kaufen diese Magazine, weil dort Themen, die uns wirklich beschäftigen, gut aufbereitet werden – und wir uns als Leser ernst genommen fühlen.

So nicht! Das ist etwas, das Deutschlands Tageszeitungen noch nicht beherrschen. Themen, die Jugendliche betreffen, werden zu oft in einem Erklärstil verfasst, der sich nur an Eltern und Großeltern richtet. Es gibt ständig Generationenbeschreibungen, zum Beispiel jüngst während der Revolution im Iran. Diese Betrachtungen sind aber immer von außen verfasst und viel zu selten von innen heraus. Dabei könnten junge Journalisten ihre Generation doch so viel besser erklären als jemand, der gar nicht da reingehört – und zwar, ohne ihre Eltern von den Lesern auszuschließen.

Stattdessen scheinen die Redaktionen zu glauben, es reiche, wenn man hin und wieder an fester Stelle über Hip Hop oder YouTube berichte. Doch das ist genau der falsche Weg, denn auf diese Weise werden junge Leser gesondert behandelt. Das ist, als würde man bei einem großen Fest an den Kindertisch gesetzt – man fühlt sich einfach nicht ernst genommen. Außerdem wird „die junge Zielgruppe“ als eine homogene Masse gesehen, in der die Interessen der 14-jährigen Pferdenärrin sich ganz selbstverständlich mit denen des 19-jährigen Hobbyfotografen decken.

Wunschliste! Damit diese Leser nicht ein, sondern sechs Mal die Woche zum Kiosk gehen, sollte junge Themen täglich vorkommen und über die ganze Zeitung verteilt sein. So können sie mal etwas Spannendes im Wirtschaftsteil entdecken, dann wieder im Feuilleton.

Und anstatt alle vermeintlich „jugendgerechten“ Inhalte mit „hippen“ Logos zu brandmarken, sollte das Äußere der Zeitung lieber im Ganzen verjüngt werden. Damit meine ich nicht bunte Farben, lauter Illustrationen oder ungewöhnliche Schrifttypen, die irgendwie modern und jugendlich wirken sollen. Das mag für den „Spießer“ funktionieren, bei Tageszeitungen, die vor allem der Information dienen, ist uns aber immer noch schlichte Eleganz lieber, weil es seriöser und Vertrauen erweckender wirkt.

Zusätzlich kann man aber Links oder Handycodes in Artikel einbauen und ein bisschen Platz für Hinweise auf die hauseigenen Twitter- und Facebook-Profile hergeben. Das ist ein guter Weg, um mit jungen Lesern in Kontakt zu treten. Im Gegensatz zu unseren Eltern sind wir es nämlich gewohnt, nicht nur Empfänger zu sein, sondern auch Sender. Wir benutzen interaktive Angebote, wollen mitmachen, selber machen. Wir wollen mit denen sprechen, die unsere Zeitung schreiben. Ihre Artikel zu kommentieren, ihnen zu followen, einen „Gefällt mir“-Button drücken zu können sind da wahrscheinlich nur die Anfänge.

Bitte handlich und fehlerfrei! Dann ist da noch die Sache mit dem Format. Ein Leser, der am Frühstückstisch als Erstes seinen Laptop einschaltet, anstatt den Politikteil aufzuschlagen, will seine Zeitung mitnehmen können, um sie in der S-Bahn oder der Mensa zu lesen. Doch das ist mit diesen Riesenblättern, die immerzu auseinanderfleddern, einfach viel zu unpraktisch. Das ist keine neue Erkenntnis. Trotzdem haben lediglich das „Handelsblatt“, die „Frankfurter Rundschau“ und „Welt Kompakt“ schon auf das viel handlichere Tabloid-Format umgestellt.

Doch selbst das reicht noch nicht aus. Entgegen manchem Vorurteil spielt auch die Qualität der Texte eine wichtige Rolle. Ein kleiner Rechtschreibfehler genügt, um jugendliche Leser gegen sich aufzubringen. Was uns in einem Blog kaum juckt, wird bei der Zeitung zur Lachnummer. So trug ein sportbegeisterter Mitschüler jahrelang eine ausgeschnittene Zeitungsmeldung in seinem Mäppchen, in der der Name seines Lieblingsstürmers gleich drei Mal unterschiedlich geschrieben wurde – und kein einziges Mal richtig.

Was immer sie sich auch ausdenken, die Redaktionen sollten sich heute jedenfalls nicht mehr darauf verlassen, dass sich die jungen Zeitungsverweigerer in ein paar Jahren nach Papas morgendlichem Blätterrascheln zurücksehnen. Nur deshalb werden sie auch nach Studium oder Ausbildung nicht mehr anfangen, Zeitung zu lesen. Dann nutzt Julian nämlich ein neues iPhone, und Kilian längst einen Kindle.

Zur Person

Eva Schulz (19), mehrfach preisgekrönte Schülerzeitungs-Redakteurin, hat im Sommer 2009 Abitur gemacht und arbeitet zur Zeit als Redakteurin für jetzt.de. Im Frühjahr 2010 startet sie ihr Studium in Friedrichshafen. Sie ist die jüngste der von mediummagazin (Nr. 9/20009) vorgestellten „Top 30 bis 30“ Nachwuchstalente des Jahres 2009., s. a. www.mediummagazin.de

Generationendebatte

In „mm&#x93
; 9/09 hat sich Sprachpapst Wolf Schneider (83), Gedanken über die Zukunft der Zeitung gemacht. Seine Thesen „Verzicht als Chance“, siehe www.mediummagazin.de, (Archiv) oder http://bit.ly/4yg1fY

Erschienen in Ausgabe 12/2009 in der Rubrik „Special“ auf Seite 44 bis 45 Autor/en: Eva Schulz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.