Die Münchner Boulevardkämpfe

Im vergangenen Oktober gab es für die „Abendzeitung“ (AZ) auf einmal so etwas wie Hoffnung – eine richtige Zukunftsperspektive. Da verkündete Verleger Johannes Friedmann, dass die Redaktion der „AZ“ in Zukunft mit der großen „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) kooperieren werde.Ein halbes Jahr später ist von der Euphorie wenig übrig. Laut „AZ“-Chefredakteur Arno Makowsky verhandle man noch immer. Aus der „SZ“ hört man dagegen klarere Aussagen: Die Kooperation gibt es nicht. Und wenn es nach der SZ-Redaktion geht, wird es sie wohl auch auf absehbare Zeit nicht geben. So steht die „AZ“ im Moment ohne ein richtiges Konzept für die Zukunft da.

„SZ“-Gründer Werner Friedmann hatte mit der „Abendzeitung“ einst 1948 ein in Deutschland einmaliges Projekt gestartet: eine linksintellektuelle Boulevardzeitung, die Studenten ebenso ansprach wie Arbeiter, in der neben Klatsch, Fußball und Verbrechen auch eine kritische, gut informierte Politik-Berichterstattung und ein Feuilleton-Teil Platz hatten.

Elegant, aber arm. 2008 trat Arno Makowsky (zuvor „SZ“) an, um die bereits länger kriselnde Zeitung wieder zu alter Stärke zu führen. Er unterzog die „AZ“ einem ambitionierten Relaunch, setzte auf Qualitätsjournalismus, schuf Platz für Hintergrundberichte und Analysen, entwickelte die tägliche Magazinbeilage „Die Stadt“, holte die Klatschreporterlegende Michael Graeter zurück und bezog mit seiner Redaktion einen hochmodernen Newsroom im Münchner Bahnhofsviertel. Makowsky verzahnte Online- und Printredaktion und nutzte den Online-Auftritt auch, um einzelne Schlagzeilen für die Printausgabe zu testen. Die „AZ“ wurde wieder eleganter und relevanter, doch dem Verlag fehlt es an Geld. Im Februar verkaufte Verleger Friedmann die Nürnberger Ausgabe der „Abendzeitung“ an den fränkischen Verleger Gunther Oschmann. Im März strich der Verlag 22 Stellen in der Münchner Redaktion. Die Freizeitbeilage „Die Stadt“ wird eingestellt. In Wirklichkeit ist der Kahlschlag noch viel massiver: Weil befristete Verträge auslaufen, Redakteure in Vorruhestand gehen oder freiwillig das Haus verlassen, wird die „AZ“ wohl rund 40 ihrer knapp 90 Redaktionsmitarbeiter verlieren. „Trotz der Einsparungen werden wir auch in Zukunft mit neuen Ideen und Konzepten ein Produkt in der gewohnten journalistischen Qualität herausbringen“, sagte Chefredakteur Makowsky zu den Entlassungen. Wie die „AZ“ mit einer so geschrumpften Redaktion, ohne Kooperationspartner, dauerhaft eine lesbare Zeitung auf den Markt bringen will, ist rätselhaft. Bis dahin lebt die „Abendzeitung“ von dem, was von ihrem guten Ruf übrig geblieben ist, und von ihren prominenten Autoren. Von der legendären Fernsehkritikerin „Ponkie“ oder Klatschkolumnist Michael Graeter. Die schreiben bei allen Sparorgien noch immer für die „AZ“.

Nutzwert als „tz“-Trumpf.

Wer wissen will, was Neues passiert ist in München und in der Welt, den lässt ein Blick auf die Titelseite der „tz“ gerne einmal ratlos zurück. Wo sonst bei Zeitungen die Nachricht des Tages steht, finden sich bei der „tz“ Tipps für die Gesundheit, ein Versicherungstest oder eine Liste mit Münchens 500 besten Ärzten.

Der konsequente Nutzwert-Journalismus hat die tz an die Spitze des umkämpften Münchner Boulevardmarkts geführt – vorbei an „Abendzeitung“ und „Bild“. „tz“-Chefredakteur Rudolf Bögel sagt: „In allen Ressorts zählt für uns der Service-Gedanke. In einer immer komplizierter werdenden Welt bieten wir dem Leser Orientierung und Aufklärung.“ Jahrzehntelang tat sich die traditionell konservative und etwas biedere „tz“ in der Stadt schwer gegen die linke und elegante „AZ“.

Heute verströmen die Texte in der servicelastigen „tz“ nur noch wenig politische Haltung. Dafür begegnet man, seit bei der „AZ“ massiv gespart wird, der renommierten Konkurrenz auf einmal auf Augenhöhe: Mit ihrer seit Jahren gleich bleibenden Stärke von rund 50 Redakteuren ist die tz heute beinahe gleich stark aufgestellt wie die „AZ“, die auf fast die Hälfte ihrer früheren Redakteursstärke abgemagern muss. Die „tz“ hat sogar Ressourcen, von denen die „AZ“ nur träumen kann: Die Redaktion steht im ständigen Ideen-Austausch mit anderen Redaktionen der Ippen-Gruppe. Mit der Ippen-Abonnementszeitung „Münchner Merkur“ teilt sich die „tz“ Auto- und Reiseredaktion. Auch online kooperieren beide Redaktionen eng – offiziell beschäftigt die „tz“ selbst nur drei Online-Redakteure. Die „tz“-Redakteure übernehmen die Texte auf ihren Kulturseiten aus dem „Merkur“ und können bei Geschichten aus dem Münchner Umland, aus Ebersberg, Fürstenfeldbruch oder Freising auf ein Netzwerk aus „Merkur“-Heimatszeitungsredaktionen zugreifen. Bis vergangenes Jahr teilte man sich mit anderen Ippen-Blättern gar ein Redaktionsbüro in Berlin. Dann verließen die Korrespondenten den Verlag, Ines Pohl ging zur „taz“, Holger Eichele zu Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner. Verleger Dirk Ippen ließ die Außenstelle kurz danach schließen. Seine denkwürdige Begründung: Es sei fraglich, welche Bedeutung ein Berliner Büro „im Internet-Zeitalter“ noch habe. Mit aktuellen Insider-Informationen aus den Bundesministerien oder anderen investigativen Enthüllungen will man bei der „tz“ eh kaum Leser gewinnen. Die „tz“ konzentriert sich auf das Leben in München und dem Umland. Besonders stolz ist Chefredakteur Rudolf Bögel auf die täglichen nutzwertigen Special-Interest-Seiten in seiner Zeitung. Sie tragen Namen wie „Bürgeranwalt“, „Akte Tier“ oder „Zukunft Alter“. Damit, so Bögel, gehe man ganz nahe an die Leser heran.

(Siehe auch Kommentar von Claus Larass, Seite 32)

Verlag: Verlag Die Abendzeitung Gmbh & Co KG, München. Geschäftsführer: Dieter Schmitt. Zu 100 Prozent im Besitz der Familie Friedmann. Die hält auch 18,75 Prozent an der „Süddeutschen Zeitung“. Gründung: 1948. Chefredakteur: Arno Makowsky, seit 2008.

Redaktionsstärke: bisher ca. 80 Stellen in der Redaktion, seit März unbestätigt zwischen 50 und 60. Ressorts: Thema des Tages, Aktuell, München/Bayern, Kultur, Sport, Gesellschaft. Korrespondenten: keine. Redaktionelle Kooperationen: Vom Verleger geplant: mit der Süddeutschen Zeitung, bisher nicht umgesetzt.

Slogan: „Mehr als Zeitung“

Redaktioneller Schwerpunkt: Am liebsten ganz nah an ihrer Heimatstadt. Leichte Lokalgeschichten, intime Neuigkeiten (z. B. zu den Proficlubs Bayern und 1860), kritische Artikel über die Landespolitik.

Besonderheiten: Ein ambitioniertes Feuilleton; die innovative täglichen Veranstaltungs- und Freizeitbeilage „Die Stadt“ (wird wegen des Sparprogramms eingestellt), Autoren wie die legendäre Fernsehkritikerin Ponkie oder Michael Graeter.

Verlag: Zeitungsverlag tz München GmbH & Co KG (Ippen-Gruppe). Geschäftsführer: Dirk Ippen und Alfred Backs. Der bisherige Geschäftsführer Christoph Mattes hat den Verlag im März verlassen. Gründung: 1968.

Chefredakteur: Rudolf Bögel, seit 2006. Redaktionsstärke: rund 50 Redakteure (Zahl seit Jahren in etwa konstant). Ressorts: Nachrichten, Wirtschaft, Lokales/Bayern, Boulevard, Sport, Fernsehen, Reise, Auto. Korrespondenten: keine. Redaktionelle Kooperationen: enger Kontakt innerhalbt der Ippen-Gruppe, aber kaum direkter Austausch von Texten. Ausnahme: Kooperation zwischen „tz“ und „Merkur“ (Auto- und Reiseredaktion gemeinsam, Austausch bei Kultur und lokalen Themen).

Slogan: „Mehr Zeitung“

Redaktioneller Schwerpunkt: Zielregion ist das Umland und Bayern, weniger Fokus allein auf München. Nutzwertiger Service-Journalismus.B
esonderheiten: Mehr Special-Interest-Service-Seiten als jedes andere Blatt (wie „Zukunft Alter“, „Akte Tier“, „Multimedia“ oder „Bürgeranwalt“).

Erschienen in Ausgabe 04+05/2010 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 30 bis 31. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.